Neureichen geht’s jetzt an den Kragen: „Quiet Luxury“ ist der größte Modetrend 2023

Schlicht bis schnöselig: Nach Jahren des überladenen Firlefanzes übt man sich jetzt wieder in nobler Zurückhaltung. Das hat auch politische Dimensionen.

Zugeknöpft und zurückhaltend: Gwyneth Paltrow im März nach einem Gerichtstermin in Utah.
Zugeknöpft und zurückhaltend: Gwyneth Paltrow im März nach einem Gerichtstermin in Utah.Imago

Zuletzt war es ganz schön laut geworden in der Mode. Ohrenbetäubend, grell und gellend geradezu. „Mehr ist mehr“, so die vorherrschende Prämisse – mehr Volumen, mehr Logos, mehr Themen. Sie waren effekthascherisch, die dominierenden Kollektionen der vergangenen Jahre, geprägt von großspurigen Gesten und exaltierten Details.

Doch damit soll jetzt Schluss sein. „Quiet Luxury“ heißt das neue Zauberwort, das suggeriert, dass es in der Mode wieder leiser wird. Gemeint ist damit eine teure Garderobe, die sich als solche nicht sofort zu erkennen gibt: Keine großformatigen Logos sollen mehr verraten, von welcher Luxusmarke eine Tasche kommt, aussagekräftige Ikonenmuster wie die Karos von Burberry oder die Monogrammdrucke von Fendi und Vuitton sind passé.

Stattdessen: würdevolle, schlichte Eleganz höchster Qualität und höchster Preise. Eine Tendenz, die neben dem Schlagwort „Quiet Luxury“ seltener auch unter den Begriffen „Stealth Wealth“ oder „Old Money Style“ firmiert – das Gegenprogramm zum Geltungsbedürfnis der Neureichen also, das sich auch in Form von allzu augenscheinlicher Luxusware postuliert.

Sehen Sie, Sie sehen nichts: Die Milliardäre Mark Zuckerberg (links) und Bernard Arnault kleiden sich diskret.
Sehen Sie, Sie sehen nichts: Die Milliardäre Mark Zuckerberg (links) und Bernard Arnault kleiden sich diskret.imago

Die Vogue schreibt vom „größten Trend des Jahres“, einem Stil, der „weniger streng als Minimalismus, aber ausgefeilter als Normcore“ sei; auf TikTok hat der Hashtag #quietluxury knapp 62 Millionen Views. Auch vorbildliche Stilikonen sind freilich schnell gefunden – von LVMH-Chef Bernard Arnault in dunkelblauen Dior-Anzügen und Berluti-Loafern über Victoria Beckhams schlichte Etuikleider bis zu Mark Zuckerberg im babyweichen Brunello-Cucinelli-T-Shirt für 300 Euro.

Perfekt auch für die Gerichtstermine der Superreichen

Weniger als um spezifische Teile geht es allerdings um eine Grundhaltung; um die Idee, dass sich Reichtum am besten privat genießen lässt und lieber nicht betont werden sollte. Und falls ihn doch jemand erkennen sollte, dann bitte nur die Gleichgestellten – die anderen Reichen nämlich, die kein Logo brauchen, um Luxus zu erkennen.

Nun könnte man von einem simplen „Actio und Reactio“-Modell ausgehen. Davon, dass auf den überbordenden Firlefanz der vergangenen Jahre nichts als das krasse Kontrastprogramm folgen kann. Bei der neuen Lust auf stillen Luxus aber dürften noch ein paar andere Faktoren eine Rolle spielen.

Superreich im Zipperpulli: Brian Cox als Logan Roy in der aktuell so tonangebenden Serie „Succession“.
Superreich im Zipperpulli: Brian Cox als Logan Roy in der aktuell so tonangebenden Serie „Succession“.Imago

Zum einen sind es hochaktuelle Momente der Popkultur, die den Trend befördern. Filme wie Todd Fields „Tár“, in dem sich die von Cate Blanchett gespielte Stardirigentin nicht in Gucci und Chanel, sondern in den sachlichen Entwürfen von Margaret Howell oder Christophe Lemaire kleidet. Oder die Serie „Succession“, in deren aktueller vierter Staffel der Trend sogar zum Thema wird: Als „ludicrously capacious“ kommentiert der Seriencharakter Tom Wambsgans die großformatige Burberry-Tasche einer Dame – als „lächerlich geräumig“.

Auch Gwyneth Paltrow leistet ihren Beitrag zur neu entdeckten Zurückhaltung. Die Garderobe, die sie jüngst zu ihren höchst öffentlichen Gerichtsterminen ausführte – darunter ein cremefarbener Kaschmir-Sweater von Loro Piana für rund 1700 Euro sowie zahlreiche schlichte Teile von The Row – ist klar dem stillen Luxus zuzurechnen.

Bleibt immer ganz ruhig: Der Franzose Christophe Lemaire, hier Designs aus 2022, übt sich in Zurückhaltung.
Bleibt immer ganz ruhig: Der Franzose Christophe Lemaire, hier Designs aus 2022, übt sich in Zurückhaltung.Imago

Überhaupt sind es die hochpreisigen Labels aus der zweiten Reihe, die der Liga der Megamarken nun Konkurrenz machen: Neben Loro Piana sind plötzlich wieder Modehäuser wie Cucinelli und Canali gefragt, Max Mara und Salvatore Ferragamo, Berlutti, Bally, Mulberry und Zegna, Ralph Lauren und Charvet. Labels, die ihre distinguierte Kundschaft mit zeitloser, weil zurückhaltender Mode ausstatten, mit akkuraten Wollmänteln, mit weißen Hemden, schwarzen Hosen, mit Teilen für die Ewigkeit.

Mode wird wieder als Wertanlage interessant

Dass für sie und ihr Angebot überhaupt wieder Platz ist in der öffentlichen Wahrnehmung – auch dafür gibt es gute Gründe, und sie sind im Personalkarussell der Prêt-à-porter zu verorten. Dort haben die beiden Designer Alessandro Michele und Demna Gvasalia eine Lücke hinterlassen, die es nun mit neuen Inhalten zu füllen gilt.

Michele musste im November seinen Posten als Chefdesigner bei Gucci räumen, nachdem, so munkelt man, seine Entwürfe auf dem wichtigen chinesischen Markt nicht mehr die gleiche Begeisterung auslösen wollten und sich Michele in seinem Stil wenig flexibel zeigte. Auch Balenciagas Kreativchef Gvasalia ist ins Straucheln geraten, durch eine überaus missglückte Werbekampagne und dem folgenden Knick auf dem Aktienmarkt für den Mutterkonzern Kring.

Teuer und totschick: Paltrows Looks zu den Gerichtsterminen im März sind dem „Quiet Luxury“ zuzurechnen.
Teuer und totschick: Paltrows Looks zu den Gerichtsterminen im März sind dem „Quiet Luxury“ zuzurechnen.Imago

Zuvor galten Michele und Gvasalia als neue Wunderkinder einer eingeschlafenen Branche – die Stilbeilage der New York Times brachte die beiden 2016 gar zusammen aufs Cover. Die Überschrift: „The Age of Influence“, die Zeit der großen Einflussnahme. Verflixte sieben Jahre später wirken ihre lauten Entwürfe – Micheles kitschreichen Seventies-Ensembles und Gvasalias brachialer Ugly Chic – beinahe alt und abgegessen.

So viel Raum hatten diese beiden Extreme, die Hypes um Gucci und Balenciaga eingenommen, dass lange kein Platz mehr für anderes blieb. Schon gar nicht für etwas, dass nicht durch Lärm, sondern durch Ruhe überzeugen will, durch Verarbeitungsqualität und formale Klasse. Jetzt aber scheint abermals die Zeit für diesen Stil gekommen – wohl auch durch die drohende Inflation, durch Energie- und Bankenkrise.

Zwei, die’s lange wussten: Schauspielerin Katie Holmes (links) und Victoria Beckham im dezenten Rich-Look.
Zwei, die’s lange wussten: Schauspielerin Katie Holmes (links) und Victoria Beckham im dezenten Rich-Look.Imago

Denn zum einen wird Mode einmal mehr als Wertanlage interessant – gerade, wenn sie in Form einer luxuriösen Tasche oder teuren Uhr daherkommt, die auch stilistisch alle Zeiten überdauert. Zum anderen dürfte es jetzt auch den größten Selbstdarstellern unangenehm werden, sich mit auffälligen Symbolen des Turbokapitalismus zu dekorieren. Letzteren Aspekt unterstreicht auch ein Blick zurück auf die Finanzkrise des Jahres 2008.

"Quiet Luxury" trägt sonderbare Früchte

Schon damals war eine neue Diskretion zum Thema geworden. Der aus Deutschland stammende Designer Tomas Maier etwa, der bei Bottega Veneta die Logos sämtlicher Taschen von außen nach innen verlegen ließ, war gefragt wie kaum ein anderer. Im Onlinemagazin Slate wurde die zumindest oberflächliche Diskretion der Reichen damals als „letzter verzweifelter Versuch, der Guillotine zu entkommen“ kommentiert; der damalige Goldman-Sachs-CEO Lloyd Blankfein soll seine Angestellten dazu ermahnt haben, keine zu offensichtlich teuren Kleidungsstücke mehr zu tragen.

Auch sonst diente und dient der stille Luxus immer mal wieder als Distinktionsmerkmal: von Coco Chanels revolutionären Jerseykleidern in den 1910er-Jahren über Jil Sanders kompromisslose Geradlinigkeit der Neunziger bis zur Gegenwart. In der die neue Tendenz zum „Quiet Luxury“ übrigens auch kritisch hinterfragt wird.

Auf dem Laufsteg angekommen, am Rande noch nicht: Schwarze Dezenz bei Salvatore Ferragamo im Februar.
Auf dem Laufsteg angekommen, am Rande noch nicht: Schwarze Dezenz bei Salvatore Ferragamo im Februar.Riccardo GIordano/imago

„Der stille Luxus ist eigentlich ziemlich laut“, heißt es etwa auf The Cut, dem Modeformat des New York Magazine. Es sei absurd, dass der Stil der Superreichen gerade bei der jüngeren Generation so viel Anklang findet, die sich doch eigentlich durch eine „Eat The Rich“-Mentalität auszeichne.

Statt die auf Diskretion und Förmlichkeit getrimmten Codes der männerdominierten Geschäftswelt zu kopieren, wird Brenda Weischer, die Moderedakteurin des Berliner Magazins 032c zitiert, täten gerade erfolgreiche Frauen gut daran, ihre Triumphe auch selbstbewusst nach außen zu tragen – durch auffallende Mode zum Beispiel.

Ohnehin trägt der Hype um „Quiet Luxury“ auch sonderbare Früchte. Denn selbst die Massenhersteller – gänzlich frei von jedem Luxus – wollen nun ganz Schick im Stillen sein. Der chinesische Billiganbieter Shein zum Beispiel bot zwischenzeitlich Produkte unter dem Schlagwort „Quiet Luxury“ an: schlichte Blusen in Mauve für 14 Euro und gerade geschnittene braune Röcke für 11 Euro.