Treuhand-Forschung in zwölf Kilometern Akten: Versachlichen und versöhnen

Ein großes Wissenschaftsprojekt ist beendet. Nun liegen Fakten vor. Christian Lindner fordert zum Perspektivwechsel im Umgang mit dem Osten auf. 

Protest gegen die Treuhandanstalt im Mai 1991 in Berlin am Marx-Engels-Forum
Protest gegen die Treuhandanstalt im Mai 1991 in Berlin am Marx-Engels-ForumImago

Die Treuhandanstalt, Mutter ostdeutscher Albträume, Planierraupe des deutsch-deutschen Zusammenwuchtens, die große Zerstörerin von Berufswegen und Lebenswelten, hat es auf die Bühne des Deutschen Nationaltheaters in Weimar geschafft: „Treuhandkriegspanorama“ heißt das Stück. Der Titel spielt auf Werner Tübkes monumentales Schlachtengemälde an – ein visueller Gewaltmarsch durch deutsche Revolutionsgeschichte.

Wenn also das Bundesfinanzministerium eine Debatte zum Thema Treuhand mit Minister Christian Lindner (FDP), dem Ostbeauftragten der Bundesregierung Carsten Schneider (SPD) und Wissenschaftlern veranstaltet und dazu Schauspieler eine Szene aus dem Stück spielen, werden Dimensionen markiert – die Treuhand, ein Schlachtfeld.

Aber dann ging es doch eher darum, die deutsch-deutschen Kombattanten zu befrieden und eben jede „Hyperemotionalisierung“ einzuhegen, die die Beschäftigung mit der Treuhandanstalt seit 30 Jahren prägt. Wobei: Die „Gegenseite“, also Kritiker des Treuhandwaltens, war unter den (ausschließlich männlichen) Protagonisten gar nicht vertreten .

Christian Linder sprach als Hauptredner der Veranstaltung zum Abschluss des Forschungsprojekts Treuhand im Finanzministerium.
Christian Linder sprach als Hauptredner der Veranstaltung zum Abschluss des Forschungsprojekts Treuhand im Finanzministerium.Imago

Der Titel der Veranstaltung fasst die Intention kompakt zusammen: „Die Treuhand – versachlichen, verantworten, versöhnen?“ Man achte auf das Fragezeichen.

Die Grundlage für das Versachlichen haben Wissenschaftler inzwischen gelegt, die Veranstaltung bildete den symbolischen Abschluss ihrer mehrjährigen Arbeit: Sie haben zwölf Kilometer (!) Treuhandakten gesichtet, ausgewertet und inhaltlich eingeordnet. Dieses Material ist auch der Öffentlichkeit im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde frei zugänglich, doch empfiehlt sich zunächst die Befassung mit den Bänden, die das Institut für Zeitgeschichte vorlegt. Einer wurde in der Berliner Zeitung ausführlich besprochen. Schon deren Studium ist eine große Aufgabe. Aber wer es ernst meint, muss sich halt mühen.

Dierk Hoffmann, Leiter des IfZ-Forschungsprojektes, erinnerte an die gewaltige Dynamik der Prozesse Anfang der 1990er-Jahre. In sechs Jahren habe sich im Osten ein Strukturwandel vollzogen, um den die Gesellschaft im Westen jahrzehntelang rang – man denke an das Ende der Steinkohle.

Daran konnte sich auch Christian Lindner, dessen Ministerium die jahrelange Treuhandforschung finanziert hat, gut erinnern. Als seine Partei im Westen für Transformationsprozesse, zum Beispiel im Bergbau, geworben habe, sei sie mit Blumen beworfen worden – „allerdings hingen noch die Töpfe dran“, sagte er.

Der überfahrene Osten

In seiner Rede versuchte er sich in Empathie mit dem Osten: 40 Prozent der Bürger dort seien wenigsten einmal arbeitslos gewesen. Eine Schockerfahrung. Die Wiedervereinigung im Schnelldurchlauf habe die Leute „überfahren“, und er zitierte Treuhandchefin Birgit Breuel: „Der Westen hätte das nicht ausgehalten.“ Respekt also für die Leistung der Ostdeutschen und ein Plädoyer für einen „Perspektivwechsel“: „Wir müssen uns lösen von westdeutschen Standards der Betrachtung“, sagte er.

Ein guter Ausgangspunkt für Carsten Schneider, der zu den Podiumsdiskutanten gehörte und sich freute, dass mit den nun vorliegenden Studien „besseres Streiten“ möglich wird. Er hält es bis heute für ein Problem, dass nach allgemeiner Wahrnehmung die Entscheider allein Westdeutsche waren. Es habe sich in den rasanten Zeiten unter DDR-Bürgern das Gefühl der Wehrlosigkeit eingestellt. Und heute? Bundesweit liege der Anteil von Ostdeutschen in Spitzenjobs bei 3,5 Prozent – „Tendenz fallend“. Es müssten sich Wege öffnen für Leute mit Ost-Abitur.

Staatsminister Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung (r.), und der SPD-Politiker Richard Schröder während der Veranstaltung zum Abschluss des Forschungsprojekts Treuhand
Staatsminister Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung (r.), und der SPD-Politiker Richard Schröder während der Veranstaltung zum Abschluss des Forschungsprojekts TreuhandImago

Mitdiskutant Richard Schröder (SPD), Theologieprofessor und leidenschaftlicher Hobby-Ökonom, wollte nicht so schnell zu Sachlichkeit übergehen und konnte nicht darauf verzichten, altbekannte Halbwahrheiten über die wirtschaftliche Lage am Ende der DDR zu wiederholen: Demnach habe eine Vorlage von Planungschef Gerhard Schürer vom Herbst 1989 die Überschuldung des Landes bewiesen. Die Bundesbank bestätigte allerdings das Gegenteil. In die interne DDR-Bilanz für den Parteigebrauch waren der gesamte Schattenbestand des Bereiches Kommerzielle Koordinierung und etliche andere Guthaben nicht eingegangen. Die Angelegenheit ist von Belang, denn dahinter steckt die Frage: War die DDR-Wirtschaft pleite – oder wäre da mehr zu retten gewesen?

In Illusionen schwelgen

Also zu hohe Erwartung und zu geringe Substanz? Andreas Wirsching, Direktor des IfZ, entdeckte hinter dieser Frage auch ein Kommunikationsversagen: Niemand aus der Regierung Kohl habe je eine „Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede“ gehalten. Stattdessen, man erinnert sich gut, ließ man die Ossis in Illusionen schwelgen – getragen von Westmark, Westauto, Luxseife und blühenden Landschaften. Die wahren Aussichten wären ein Blick in den Abgrund gewesen: Von vier Millionen Industriearbeitsplätzen, die es 1990 noch gab, war am Ende der Treuhand-Privatisierungswelle noch ein Drittel übrig.

Mal abgesehen vom Streit über die DDR-Schulden und die Bewertung ihrer Bestände – allein das Ackerland, die Wälder und Immobilien! – wird man auch vor dem Lesen der Studien einsehen, worin ein von Dierk Hoffman beschriebenes Hauptproblem bestand: in der alternden DDR-Industriestruktur mit den Grundlagen Bergbau, Stahl oder Textil, so wie sie im 19. Jahrhundert angelegt war. Was er nicht sagte, aber der Fairness halber anzufügen ist: Der Umbau zu einer modernen Wirtschaft mit Mikroelektronik etc. wurde von den verhängten Sanktionen enorm behindert.

Fazit: Eine Versachlichung der Treuhand-Debatte ist möglich. Die Verantwortung für die Hinterlassenschaft der Treuhandanstalt marodiert noch umher. Und hinter der Versöhnung steht bis auf Weiteres das Fragezeichen.