Wäre „selbstmörderisch“: Ukraine warnt Deutschland vor „Fehler“ von Angela Merkel

Die Ukraine drängt auf einen Nato-Beitritt. Nun richtet sich der ukrainische Außenminister Kuleba mit deutlichen Worten an die Bundesregierung – und an Viktor Orbán.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba
Der ukrainische Außenminister Dmytro KulebaAmeer Al-Mohammedawi/dpa

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hat die Bundesregierung davor gewarnt, die Aufnahme seines Landes in die Nato zu behindern. In einem Interview mit der Welt, Bild und Politico sagte Kuleba, die heutige Bundesregierung dürfe nicht „den Fehler“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aus dem Jahr 2008 wiederholen, „als sie heftigen Widerstand gegen jeden Fortschritt für die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine leistete“.

Damals hatte sich neben Deutschland auch Frankreich mit Präsident Nicolas Sarkozy gegen einen Beitritt ausgesprochen und ihn somit verhindert. Die USA unter Präsident George W. Bush hingegen war für die Aufnahme der Ukraine und Georgiens. Merkel hatte ihre Entscheidung in den vergangenen Monaten verteidigt. Beide Länder hätten die Anforderungen nicht erfüllt, sagte die Altkanzlerin im Dezember 2022 der italienischen Zeitung Corriere della Sera. Ähnlich äußerte sich Merkels früherer sicherheitspolitischer Berater Christoph Heusgen im Interview mit der Berliner Zeitung. Mittlerweile ist Heusgen der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz.

Die damalige Entscheidung habe die Tür aufgemacht für den russischen Angriff auf Georgien 2008 und die Annexion der Krim-Halbinsel 2014, sagte Kuleba im Interview mit den Springer-Medien. Wäre die Ukraine bereits Nato-Mitglied gewesen, so der Außenminister, hätte es die russische Annexion der Krim und auch den im Februar 2022 von Russland begonnenen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht gegeben.

Laut Kuleba erwartet die Ukraine nicht ihre Aufnahme in die Nato noch während des Krieges. „Aber nach dem Krieg wäre es selbstmörderisch für Europa, die Ukraine nicht als Nato-Mitglied zu akzeptieren.“ Eine Ukraine außerhalb der Nato würde bedeuten, dass Krieg weiter eine Option sei, unterstrich der ukrainische Außenminister. Der einzige Weg, die Tür für eine russische Aggression gegen Europa und den gesamten europäisch-atlantischen Raum zu schließen, bestehe im Nato-Beitritt der Ukraine.

Die Nato-Mitgliedschaft seines Landes werde nicht zu einem weiteren oder gar größeren Krieg mit Russland führen, sagte Kuleba. Vielmehr sei die Nato-Aufnahme der Ukraine „die Straße zum Frieden“. Russland werde es nicht wagen, eine zur Nato gehörende Ukraine anzugreifen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist zum bevorstehenden Nato-Gipfel am 11. und 12. Juli in der litauischen Hauptstadt Vilnius eingeladen. Brüsseler Diplomaten zufolge haben vor allem die USA und Deutschland Vorbehalte gegen eine rasche Aufnahme der Ukraine in die Militärallianz. Polen und die Baltenstaaten gelten hingegen als die größten Befürworter.

Im Gespräch mit der Welt, Bild und Politico äußerte sich Kuleba außerdem zu Aussagen des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. In einem Interview mit der Bild hatte Orbán zuletzt gesagt, dass er Waffenlieferungen an die Ukraine für falsch halte und nicht an einen militärischen Sieg des Landes glaube.

Dazu Kuleba: „Ich bin es allmählich leid, all diese bedeutungslosen Argumente zu widerlegen.“ Das sei alles nur „Blablabla“. Dass die Ukraine keine Chance habe, habe man schon vor dem russischen Einmarsch oft genug gehört. Der ukrainische Außenminister wirft Orbán eine große politische Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin vor. Ungarns Regierungschef sei zwar kein Verbündeter Putins, „aber das politische Verständnis der Situation ist im Büro des ungarischen Ministerpräsidenten und im Kreml sehr ähnlich“. Er hoffe, Orbán sei „immer noch ein Verbündeter der anderen Nato-Mitglieder und der EU-Mitglieder“.