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Ethan Hawke in Locarno – Bescheidenheit eines Vielbegabten

Sein Eifer wirkt freundlich: Ethan Hawke mit dem Excelence Award des Filmfestivals Locarno. Foto: Massimo Pedrazzini (Locarno Festival)

Ethan Hawke macht vieles, aber kein Aufhebens um sich. Selbst wenn er über sich redet, redet er über andere. Es gibt so viele Menschen, die ihn beeindruckt haben, dass er zuerst von ihnen erzählt, um etwas über sich zu sagen. Im Gespräch im Hotel am Filmfestival Locarno erwähnt er Mark Twain, Gérard Depardieu, Tennessee Williams, Chet Baker, Denzel Washington und Gene Hackman, und das waren die ersten fünf Minuten. Sogar das Konferenzzimmer, das abgesehen von Tischchen und zwei Sesseln völlig leer ist, erinnert ihn an etwas: die «Truman Show».

«How are you, man?», fragt der 47-jährige Schauspieler, Regisseur und Autor aus Austin, Texas, und dreht seinen Sessel Richtung Fenster. Er strahlt die relaxte Energie eines Profis aus. Sein Eifer wirkt freundlich. Man denkt an «Before Midnight» von 2013, den Schluss der Trilogie mit Julie Delpy und Ethan Hawke, worin sie als Paar redend durch den Peloponnes schlendern. In den «Before»-Filmen sieht Kino so mühelos, so echt aus. Dass Hawke immer wieder Figuren spielt, die einem nahekommen, muss daran liegen, dass er ein nahbarer Mensch ist.

Wieso wirkt einer so frei von Eitelkeit, der Theater- und Filmrollen spielt, Filme dreht und Romane schreibt? Auf die Frage macht Ethan Hawke eine Pause. Er hat noch Cappuccinoschaum im Bart, als er erzählt, woher die Ruhe kommt. «Der erste grosse Schauspieler, mit dem ich gearbeitet habe, war Robin Williams. In ‹Dead Poets Society›, ich war 18. Es war schwer, weil Robin Williams einen nie vergessen liess, dass man es mit Robin Williams zu tun hatte.» Kurz darauf habe er in der Komödie «Dad» neben Jack Lemmon gespielt. «Er war enorm bescheiden. Und ich erinnere mich, wie mich das angezogen hat. Weil ich dachte: Das ist mir lieber.»

Der Rhythmus der Komik

Seitdem habe er eine Allergie gegenüber Menschen entwickelt, die einen ständig daran erinnern, wie berühmt sie sind. Es fällt ihm auf, wenn jemand durch Brillanz blendet. «Auf dem Flug hierher habe ich ‹Molly's Game› von diesem grossartigen Autor gesehen, wie heisst er? Aaron Sorkin, genau. Mir war da immer bewusst, dass es so geschrieben wurde. Die Dialoge sind so gut, dass die Schauspieler Schwierigkeiten bekommen, weil sie denken, sie müssten den Text beschützen.» Kino sei dafür zu realistisch. Als er mit Regisseur Richard Linklater am «Before»-Zyklus mitschrieb, habe er verstanden, was Dialoge für ein Durcheinander sein können.

Man kann das in «Blaze» erleben, Hawkes neuem Spielfilm als Regisseur, den er auf der Piazza Grande präsentierte. Es ist die entspannt mäandrierende Biografie des wenig bekannten US-Folksängers Blaze Foley (1949–1989). Das Porträt eines Melancholikers, der in Alkohol und Wahn abgleitet und zerstört, was ihm lieb ist. Darin gibt es vielstimmiges Gequatsche und sehr komische Momente, die mit Rhythmus zu tun haben: Wenn Blaze von einem Vater gefragt wird, ob er um die Hand seiner Tochter anhalten wolle, wartet er lange Sekunden, bevor er ein «... yeah» herauswürgt.

Was Ethan Hawke reizt, könnte ja das sein: Musikalität. Das Tempo von Gesprächen, die Dissonanzen zwischen zwei, die reden. «Das ist schon eine Art Faden. Es gibt eine Energie jenseits der Sprache. Gérard Depardieu hat das. Auch dem Schauspiel eines Denzel Washington kann man zuhören.»

Neben der Spur

Kürzlich hat Ethan Hawke dem Magazin «GQ» ein Interview gegeben, in dem er sagte, ein Mittelklasseleben reiche ihm vollauf. Das Netz machte sich sofort lustig über ihn, man teilte Fotos von seinem Townhouse in Brooklyn mit den sechs Schlafzimmern. Und doch klingt es nicht kokett, wenn er kritisiert, dass seine Generation gelernt habe, Geld und Erfolg gleichzusetzen.

Die Kunst, die er mache, sei nämlich nicht genau das, was das Publikum wünsche. Es habe mal eine Zeit gegeben, da wären seine Filme mit Sidney Lumet oder Richard Linklater richtige Hits gewesen. Aber mit der jetzigen Zeit könne er sich nicht synchronisieren. «Ich bin ‹off cycle›.» Neben der Spur.

Bereits kursieren Oscar-Gerüchte

Dass er zuletzt mit Paul Schrader gedreht hat, dem Autor von «Taxi Driver», passt dazu. Vor der Vorführung von «First Reformed» in Locarno ermunterte er das Publikum, dem Regisseur zu vertrauen, auch wenn man gewisse Dinge nicht mögen sollte. Es war das Beste am ganzen Festival. Das protestantisch strenge Drama eines Pfarrers, der den Glauben wiedererlangt, indem er zur Wut findet, einer Wut über die Zerstörung der Welt.

«Was für eine Scheisse!», rief ein Zuschauer am Ende. Der daneben sagte: «Pssst!» Um Ethan Hawkes Darstellung des obsessiven Pfarrers gibt es mittlerweile Oscar-Gerüchte. Ob das, was er tut, bald wieder zusammenstimmen wird mit dem, was das Publikum möchte? «Ich hoffe es. Gotta be awesome.»

«Blaze» startet am 18. Oktober in den Kinos.