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Interview mit Autorin«Ich habe all die Dinge gemacht, die mir Angst einjagten»

Jessica Pan ist eigentlich introvertiert – aber sie hat ein Jahr lang versucht, zu ungewohnten Dingen «Ja» zu sagen.

Fremde Menschen auf der Strasse ansprechen? Vor Publikum auftreten? Eine Dinnerparty geben? Für Jessica Pan lange Zeit der blanke Horror. Dann beschloss sie, sich ihren Ängsten zu stellen. Sie wollte ein Jahr lang leben wie eine kontaktfreudige Extrovertierte. Über ihre Erfahrungen hat sie ein Buch geschrieben.

Jessica Pan, Sie haben nun Übung darin, fremde Menschen anzusprechen. Ihre liebste Frage, um in eine tiefgründige Unterhaltung einzusteigen?

Ich mag die Frage: «Wofür bist du dankbar?» Es ist schön, positive Dinge miteinander zu teilen. Das ist auch eine gute Möglichkeit, um mit jemandem in Kontakt zu treten, der zunächst eher einschüchternd wirkt.

«Ich bin eine stolze Introvertierte.»

Auf den ersten Blick scheint Ihr Buch die verbreitete Ansicht zu wiederholen, dass Introversion ein Makel ist, den es zu überwinden gilt.

Ich bin eine stolze Introvertierte, aber ich habe irgendwann angefangen, das Introvert-Label als Ausrede zu benutzen, um alles zu vermeiden, was mir Angst gemacht hat.

Das heisst?

Ich habe mir die meiste Zeit meines Lebens eingeredet, dass ich diese bestimmte Art von Persönlichkeit habe und dass Netzwerken oder öffentliches Sprechen einfach nichts für mich sind. Deshalb habe ich ein Jahr lang all die Dinge gemacht, die mir Angst einjagten. Ich kenne viele glückliche Introverts, die sich nicht verändern wollen und ich respektiere das. Aber für mich ist es eine unglaubliche Befreiung, dass ich die Fähigkeit besitze, mich zu verwandeln und neue Eigenschaften an mir zu entdecken.

In welchen Momenten schränkt Sie Ihre Introversion ein?

Wenn sie mich davon abhält, rauszugehen und Leute kennenzulernen, mit denen ich mich super verstehen würde oder die mich beruflich weiterbringen könnten.

Kann sie auch eine Bereicherung sein?

Ja. Ich kann allein ein Buch lesen, lange Spaziergänge in der Natur machen oder einfach nur zuhause in meiner Küche sitzen und bin dabei rundum zufrieden.

«Ich habe mich auch schon hinter Mauern versteckt.»

Welches Vorurteil gegenüber Introvertierten nervt Sie?

Dass wir langweilig sind! Nur weil wir nicht unsere Gedanken rausschreien oder auf Partys im Mittelpunkt stehen, heisst das noch lange nicht, dass wir weniger interessant sind.

Das verbreitetste Missverständnis zwischen Extrovertierten und Introvertierten?

Ich glaube, Introverts halten Extroverts oft für oberflächlich und selbstverliebt. Und Extroverts halten Introverts für langweilige Einsiedler. Beides ist falsch.

Pan (vorne links) lebt in England – und schaut mit ihren Freunden zusammen auch mal ein Fussball-Spiel.

Was war Ihr merkwürdigster Introvert-Move?

Ich habe mich auch schon hinter Mauern oder anderen Menschen versteckt, um nicht bemerkt oder angesprochen zu werden.

Müssen sich Introvertierte ändern, um in unserer Gesellschaft zu bestehen – oder muss sich die Gesellschaft ändern?

Ich würde sagen, ein bisschen von beidem. Die Gesellschaft beginnt allmählich, die versteckten Stärken der Introvertierten zu bemerken – dank Büchern wie Susan Cains «Quiet». Aber Introverts sollten sich nicht selbst im Weg stehen, indem sie unangenehme Situationen meiden – egal ob es um die Karriere oder neue Freundschaften geht.

«Introverts sollten sich nicht selbst im Weg stehen, indem sie unangenehme Situationen meiden.»

Inzwischen gibt es zahlreiche Bücher, Blogs und Memes, die Introversion als positive Eigenschaft feiern. Was halten Sie von diesem Trend?

Es ist gesund, stolz darauf zu sein, wer man ist. Aber ich habe mich so sehr an dieses Label «Introvert» geklammert, dass ich Nein gesagt habe zu vielen Dingen, die sich am Ende als sehr erfüllend erwiesen haben.

Das Cover der US-Ausgabe von Pans Buch.

Was haben Sie in diesem Jahr gemacht, das Ihnen sonst nie passiert wäre?

Indem ich mich all dem ausgesetzt habe, habe ich neue Hobbys für mich entdeckt, von denen ich gedacht hätte, dass ich sie hassen würde – wie zum Beispiel Impro-Theater.

Was sollen Introvertierte tun, die mit ihrer Identität hadern?

Nur, weil ich extrovertierte Dinge getan habe, bedeutet das nicht, dass ich ab jetzt nicht mehr introvertiert bin. Aber es ist in Ordnung, wenn wir uns aus unserer Komfortzone wagen. Wir müssen nicht unser Leben lang genau die Dinge machen, die wir schon immer gemacht haben. Für mich ist das befreiend zu wissen.

Jessica Pan: Der Guide für Introvertierte, um ein angsteinflössend abenteuerliches Leben zu führen. MVG Verlag, München 2020. Ca. 26.90 Franken.