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Paragraf schreckt Hausbesitzer auf

In diesem Könizer Quartier rumort es. Die Gemeinde will den Eigentümern 40 Prozent der Wertsteigerung ihrer Grundstücke abknöpfen. Das können Hunderttausende von Franken sein.

Ein undurchdachter Paragraf im neuen Raumplanungsgesetz des Bundes wird Hunderte Gemeinden in der Schweiz vor Probleme stellen. Das zeigt sich am Beispiel der Berner Gemeinde Köniz mit ihren über 40'000 Einwohnern. Sie ist als als erste daran, die so­genannte Mehrwertabschöpfung bei Aufzonungen überbauter Grundstücke nach neuem Recht einzuführen.

Sie will 380 Liegenschaften so umzonen, dass die Eigentümer auf ihren Parzellen künftig grössere und höhere Häuser bauen dürfen. Bei den meisten Liegenschaften handelt es sich um Einfamilienhäuser. Der Planungsakt steigert nach Ansicht der Behörden nun deren Wert. Die Gemeinde will 40 Prozent dieses Mehrwerts einkassieren. Der springende Punkt dabei: Sie möchte das Geld nicht erst bei einem ­allfälligen Ausbau der Liegenschaft eintreiben, sondern bereits beim Verkauf oder im Erbfall, sobald ein Nachkomme die anderen auszahlt.

Dieser Zeitung liegen Schreiben der Gemeinde Köniz vor, die zeigen, dass etliche Besitzer mehrere Hunderttausend Franken zahlen müssten, sollten sie ihr Haus veräussern (siehe Beispiel). Nun laufen die Grundeigentümer Sturm gegen den Plan der Gemeinde: Mehr als 300 Einsprachen sind eingegangen. Erzürnte Bürger formieren sich zu Selbsthilfegruppen.

«Ökonomischer Irrtum»

Die Mehrwertabschöpfung als solche ist nicht neu. Weitgehend unbestritten ist sie zum Beispiel beim Einzonen von Landwirtschaftsland. Problematisch wird sie jedoch, wenn dieselben Regeln bei Aufzonungen von bebauten Grundstücken angewendet werden.

Francesco Canonica ist überzeugt, dass das nicht klappt. Der renommierte Immobilienbewerter und Verfasser von Fachliteratur sagt: «Die Gemeinde ist einem ökonomischen Irrtum erlegen.» Es sei unmöglich, den Mehrwert von Aufzonungen heute verbindlich zu schätzen, wenn der Verkauf der Liegenschaft eventuell erst Jahre später erfolge. Die Verhältnisse seien dann vielleicht völlig anders.

«Während die Gemeinde ­kassiert, müsste mancher Hausbesitzer die Zeche bezahlen.»

Francesco Canonica

In seinem Standardwerk zeigt Canonica zudem auf, wie trügerisch theoretische Ausbaupotenziale sein können. Nicht selten sind etwa die Baukosten für die Erweiterung einer bestehenden Liegenschaft höher als der theoretisch hergeleitete Mehrwert. Dann lassen sich nicht einmal die Baukosten amorti­sieren. «Während die Gemeinde also abkassiert, müsste mancher Hausbesitzer die Zeche zahlen.»

Basel zeigt, wie es ginge

An sich existiert bereits eine Möglichkeit, um Mehrwerte auch bei überbauten Liegenschaften abzuschöpfen. Der Kanton Basel-Stadt macht das mit einem eigenen Konzept seit 40 Jahren, ohne dass die Betroffenen auf die Barrikaden gehen. Dort wird sogar die Hälfte des Mehrwerts vom Gemeinwesen eingezogen.

Der Clou: Im Unterschied zu Köniz wird der Mehrwert erst abgeschöpft, wenn ein konkretes Ausbau- oder Neubauprojekt realisiert wird. Und vor allem: Die Abgabe wird nicht aufgrund eines theoretisch möglichen Potenzials berechnet, sondern auf der Basis des tatsächlichen Bauprojekts.

Zudem wird der Mehrwert anhand realer Liegenschaftsverkäufe ermittelt. Dazu sammelt der Kanton seit 1968 fortlaufend Daten zu sämtlichen Transaktionen. Laut Miriam Lähns, Leiterin der Basler Bodenbewertungsstelle, akzeptieren die meisten Bauherren die so geschätzten Gebäude- und Landwerte.

Gesetz verbaut Spielraum

Für Köniz und andere Gemeinden ist das Basler Modell aber keine Option mehr. Das neue Raumplanungsgesetz (RPG) ist strenger. Mehrwerte können nicht erst bei der Realisierung geschätzt werden. Das sieht auch Urs Eymann so, ein auf Raumplanung und Mehrwertausgleich spezialisierter Anwalt. Das RPG verlange, dass die Gemeinde bereits bei der Veräusserung ihren Anteil des Mehrwertes einziehe.

Der Jurist, der Gemeinden berät, sieht darin allerdings im Unterschied zu Immobilienschätzer Canonica kein Problem. Er ist überzeugt: «Der Verkäufer der Liegenschaft kann die Wertsteigerung zum Verkaufspreis hinzuschlagen.» Der Käufer sei nicht in erster Linie am Haus interessiert. Er werde das Potenzial eines Neubaus in seine Kaufüberlegungen miteinbeziehen und einen entsprechend höheren Preis bezahlen.

Diese Argumentation wie­derum sorgt bei Canonica für Kopfschütteln: Bei überbauten Grundstücken funktionierten solche Überlegungen nicht. Der Markt reagiere völlig anders. Mit anderen Worten: Kaum jemand wird für ein Einfamilienhaus Hunderttausende Franken mehr zahlen, weil er vielleicht in dreissig Jahren einen grösseren Neubau erstellen kann.

Ein Problem zieht Kreise

Angesichts der gepfefferten Kritik, welche die Könizer Behörden in den vergangenen Tagen einstecken mussten, lässt sich absehen, dass diese heikle Frage viel Stoff für Juristen abgeben wird. Grundsätzlich könnte Köniz aber auch auf die Mehrwertabschöpfung bei Aufzonungen verzichten, weil weder das RPG noch das kantonale Baugesetz die Gemeinden dazu zwingt.

Zu welchen Schlüssen Köniz schliesslich kommt, dürfte auch andere interessieren. Im Kanton Bern sind aktuell 12 Gemeinden auf demselben Weg. Nebst Bern wollen 16 weitere Kantone ihren Gemeinden ähnliche Regelungen erlauben, darunter auch Zürich.

Konkretes Beispiel aus Köniz:

Grundstückschätzungen der Gemeinde Köniz schreckten Anfang April viele Hauseigentümer auf. Sie wurden mit dem Start der Auflage der Ortsplanungsrevision informiert, welche Wertsteigerung ihr Grundstück durch eine vorgesehene Aufzonung erfährt. Dieser Zeitung liegen konkrete Beispiele vor.

Der Wert eines Hauses, das aktuell auf rund 1,7 Millionen Franken geschätzt wird, würde plötzlich auf knapp 2,3 Millionen steigen. Die Gemeinde geht also von einem Mehrwert von 600'000 Franken aus. Der Eigentümer müsste bei einer Veräusserung des Hauses 40 Prozent, also 240 000 Franken, abliefern, und zwar unabhängig vom tatsächlichen Verkaufspreis.

Noch bis Ende Monat können sich die angeschriebenen Liegenschaftsbesitzer zur Post der Gemeindeverwaltung äussern. Erstellt wurde die Schätzung von einem von der Gemeinde beauftragten Immobilienschätzer. Die Grundstückschätzung soll dann in eine Verfügung der Gemeinde einfliessen. Die Gemeinde orientiert sich dabei an Empfehlungen der kantonalen Justiz­direktion.