Wolfgang Kuttner ist Hochschullehrer, Intensivfachkrankenpfleger – und "Travel Nurse". Er hat viele Jahre in Dänemark und Norwegen gearbeitet. In der aktuellen Diskussion hierzulande um ein Verbot von Leiharbeit in der Pflege rät er zu ein wenig mehr Gelassenheit. Der Mangel an Pflegefachpersonal sei auch als Chance zu begreifen, um zeitgemäßere Formen der Mitarbeiterbeschäftigung zu gestalten. Ein Meinungsbeitrag.
In Skandinavien, wie auch in vielen anderen OECD-Ländern, herrscht Fachpersonalmangel in der Gesundheits- und Krankenpflege. Die Betreiber der skandinavischen Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen haben sich deswegen dazu entschlossen, die fehlenden Stellen mit Pflegefachpersonal auf Leiharbeitsbasis abzudecken. Zahlreiche Zeitarbeitsunternehmen bieten Personal für Intensivstationen, Dialyse oder OP-Bereiche an und vermitteln dieses entweder skandinavienweit, inklusive Färöer-Inseln, Island und Grönland, oder spezialisiert auf nationale Bedarfe.
Voraussetzungen für Pflegefachpersonen, um in Skandinavien arbeiten zu können
Um als Travel Nurse, also Leiharbeitnehmerin oder -nehmer, in Skandinavien tätig werden zu können, sind folgende Qualifikationen obligatorisch:
- abgeschlossene Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege (Bachelorabschluss)
- Registrierung bei den nationalen Gesundheitsbehörden im jeweiligen Land
- Fachweiterbildung im jeweiligen Gebiet
- Nachweis regelmäßiger Reanimationsschulungen
- Das Beherrschen von mindestens einer skandinavischen Sprache (dänisch, norwegisch oder schwedisch)
- jahrelange Expertise im jeweiligen Fachgebiet.
Sobald die Pflegefachperson bei den Unternehmen als verfügbare Arbeitskraft gelistet ist, erhält diese Informationen über mögliche Einsätze. Diese können oft nur wenige Dienste beinhalten, zum Beispiel drei Dienste über ein Wochenende, oder auch einen längerfristigen Einsatz, zum Beispiel zwei bis vier Monate in Grönland.
Schulungen vermitteln ortübliche Strukturen
Ist ein Einsatz vereinbart, werden die Buchung des Flugs und der Unterkunft vom Unternehmen vorgenommen sowie die Informationen zum Dienstplan der Pflegefachperson übermittelt. Somit kann sich die Travel Nurse stressfrei vorbereiten und hat alle notwendigen Unterlagen vor Antritt der Dienste zur Verfügung.
Die Leihagenturen sind übrigens in steuerrechtlichen Fragen sehr behilflich, da es gerade bei grenzüberschreitenden Einsätzen diesbezüglich einige Fallstricke gibt.
Die Anfänge von Leiharbeit
Der Einsatz von Pflegefachpersonen als Leiharbeitnehmende hat in Skandinavien bereits eine jahrzehntelange Tradition, dessen Wurzeln in die 1950er-Jahre zurückreichen. In der damals herrschenden Polio-Epidemie wurden in Dänemark nicht nur die weltweit ersten Intensivstationen etabliert, sondern es wurde auf Hilfspersonal (vornehmlich Studierende der Humanmedizin) gesetzt, um die plötzlich aufkommende hohe Zahl an manuell zu beatmeten Patientinnen und Patienten versorgen zu können.
Auch heute noch wird in Teilen Skandinaviens der Begriff "Ventileur" verwendet, wenn studentische Aushilfen für zum Beispiel Sitzwachen im Einsatz sind.
Das Arbeiten als Travel Nurse in Norwegen funktioniert sehr gut. Die Pflegefachpersonen erhalten bei Bedarf entsprechende Schulungen in die ortsüblichen Strukturen. Das kann zum Beispiel vorab über ein E-Learning-Tool erfolgen, das die Kliniken oder Pflegeeinrichtungen zur Verfügung stellt.
Landesweit einheitliche Dokumentations- und IT-Systeme
Diese Form von Personalbereitstellung funktioniert unter anderem deshalb so gut, weil zum Beispiel in Norwegen nahezu einheitliche Dokumentations- und IT-Systeme zur Anwendung gelangen. Darüber hinaus gewährleistet der Zugriff auf die umfangreiche nationale elektronische Krankenakte eine umfassende Informationssammlung.
Pflegefachpersonen von Zeitarbeitsfirmen kommen in Skandinavien vor allem dann zum Einsatz, wenn Arbeitsspitzen oder Langzeitkrankenstände abzufedern sind – oder wenn Arbeitgebende ihrer Stammbelegschaft eine familienfreundliche Urlaubsplanung gewähren möchte, etwa in den Sommerferien oder zu Weihnachten.
Gute Verdienstmöglichkeiten
Als Travel Nurse zu arbeiten ist auch deshalb attraktiv, weil dafür in Skandinavien sehr gute Gehälter bezahlt werden. Gerade für junge und ungebundene Menschen ist diese Tätigkeit eine Möglichkeit, sich eine Existenz aufzubauen. Zusätzlich ermöglicht diese Form der Arbeit, Menschen und Kulturen kennenzulernen und ein Land zu entdecken.
Letztendlich gibt diese Beschäftigungsform die Möglichkeit, seine fachlichen und persönlichen Kompetenzen zu stärken. Umfassende Kompetenzen zu haben, kann für die Ausübung eines Pflegeberufs nur vom Vorteil sein.
Gleitzeit in der Pflege
Statt wie in Deutschland über ein Verbot von Leiharbeit zu diskutieren, sollten Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen daran arbeiten, als attraktive Arbeitgebende aufzutreten.
Der Mangel an Pflegefachpersonal ist als Chance zu begreifen. Es ist an der Zeit, die eigenen, jahrzehntealten Wertebilder abzubauen und an alternative Möglichkeiten der Personalbeschaffung und Mitarbeiterbindung zu denken. Die Einführung einer Gleitzeit zum Beispiel hat auf einer neonatologischen Intensivstation in Kopenhagen dazu geführt, Pflegefachpersonal in der Einrichtung zu halten.
Hinweis: Der Verfasser des Artikels hat einen wesentlichen Teil der Berufserfahrung in Skandinavien erworben. Einerseits mit einer Festanstellung an den Universitätskliniken in Kopenhagen, Dänemark, und andererseits als Travel Nurse, also Leiharbeitnehmer, auf verschiedenen Intensivstationen in Norwegen.
Literatur:
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Dolonen, K. (2017): Kritisk mangel på intensivsykepleiere (Kritischer Mangel von Intensivpflegefachkräften). https://sykepleien.no/2017/05/kritisk-mangel-pa-intensivsykepleiere, abgerufen am 1.3.2023
Gundersen, I. (2013): Nesten ingen vil bli intensivsykepleiere (fast niemend möchte Intensivpflegefachkraft werden). https://aftenbladet.no/lokalt/i/gRxw1/Nesten-ingen-vil-bli-intensivsykepleiere, abgerufen am 1.3.2023
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