Big Data Analytics in der Versicherungsbranche Per Algorithmus zum Kaufabschluss

Autor / Redakteur: Gerhard Auer, Detecon International / Nico Litzel

Die SV SparkassenVersicherung und Detecon zeigen, wie die Digitalisierung in der Versicherungsbranche aussehen kann: Kaufwahrscheinlichkeiten lassen sich über Big-Data-Analysen berechnen.

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Die SV SparkassenVersicherung ist mit 3,9 Millionen Kunden Marktführer in der Gebäudeversicherung und versichert in Baden-Württemberg und Hessen gut zwei Drittel aller Häuser.
Die SV SparkassenVersicherung ist mit 3,9 Millionen Kunden Marktführer in der Gebäudeversicherung und versichert in Baden-Württemberg und Hessen gut zwei Drittel aller Häuser.
(Bild: SV SparkassenVersicherung)

Versicherungen laufen Gefahr, die Digitalisierung zu verschlafen. Das zeigt die Lünendonk-Branchenstudie aus dem Jahr 2018. Denn die Versicherer konzentrieren sich zwar darauf, Prozesse zu beschleunigen und Kosten zu sparen. Chancen, um Kundenbedürfnisse besser zu erfüllen, bleiben jedoch ungenutzt.

Was fehlt, ist offenbar der Wille zur Umsetzung: Die Gesellschaften zögern, digitale Strategien, IT und Use Cases operativ zu integrieren. Wie die Digitalisierung in der Branche gelingen kann, zeigt die SV SparkassenVersicherung, ein Regionalversicherer mit Sitz in Stuttgart und rund 5.000 Mitarbeitern.

Digitale Technologien unternehmerisch anwenden

Klaus Westen, Hauptabteilungsleiter Initiative SV Digital
Klaus Westen, Hauptabteilungsleiter Initiative SV Digital
(Bild: SV SparkassenVersicherung)

Die SV SparkassenVersicherung ist Marktführer in der Gebäudeversicherung und versichert in Baden-Württemberg und Hessen gut zwei Drittel aller Häuser. 3,9 Millionen Kunden vertrauen beim Schutz ihrer Vermögenswerte auf die Gesellschaft, die das Angebot der Sparkassen-Finanzgruppe in Baden-Württemberg, Hessen, Thüringen und Teilen von Rheinland-Pfalz bündelt. Mit dem Ziel, digitale Technologien unternehmerisch anzuwenden, startete der Versicherer vor gut drei Jahren seine Initiative SV Digital. „Heute gehören zehn Projekte zu unserem Programm SV Digital, mit denen wir reale Geschäftsherausforderungen mit digitalen Technologien lösen“, sagt Klaus Westen, für das Programm verantwortlicher Hauptabteilungsleiter.

Pawel Kozak, verantwortlicher Projektleiter für das Big-Data-Projekt
Pawel Kozak, verantwortlicher Projektleiter für das Big-Data-Projekt
(Bild: Pawel Kozak)

So setzt die SV SparkassenVersicherung beispielsweise auf Big Data Analytics, um Kaufwahrscheinlichkeiten zu berechnen, sagt Pawel Kozak, verantwortlicher Projektleiter für das Big-Data-Projekt.

Das Big-Data-Projekt ergänzt bestehende Business-Intelligence-Anwendungen und Data Warehouses. Im eigens gegründeten Big Data Lab in Stuttgart treffen Fachexperten der SV SparkassenVersicherung auf Datenwissenschaftler der Detecon, der Beratungssäule der T-Systems-Einheit „Digital Solutions“.

„Gemeinsam mit der Management- und Technologieberatung Detecon setzen wir den Use Case agil und interdisziplinär um. Im direkten Austausch arbeiten im Big Data Lab Marketing-, Vertriebs- und Big-Data-Spezialisten zusammen“, beschreibt Pawel Kozak das Vorgehen. Kurze Wege sichern rasche Ergebnisse. Ein Data Engineering Team unterstützt die 15 Mitarbeiter im Lab, die darüber hinaus auch weitere digitale Use Cases erproben wie etwa zur Schadenselbstregulierung.

Cross- und Upselling-Potenziale berechnen

Dr. Igor Schnakenburg, Senior Data Scientist im Detecon Digital Engineering Center
Dr. Igor Schnakenburg, Senior Data Scientist im Detecon Digital Engineering Center
(Bild: Detecon)

Ob Kraftfahrzeug-, Haftpflicht- oder Lebenspolicen: SV SparkassenVersicherung und Detecon berechnen Cross- und Upselling-Potenziale für den Kundenstamm. „Je nach Produkt oder Sparte programmieren wir individuelle Modelle“, erklärt Dr. Igor Schnakenburg, der Senior Data Scientist im Detecon Digital Engineering Center ist. „Dabei setzen wir auf Regressionen, Entscheidungsbäume und -wälder oder neuronale Netze, um die Wahrscheinlichkeiten zu ermitteln.“ Die SV SparkassenVersicherung nutzt einen Hadoop-basierten Big Data Softwarestack und so genannte Notebooks (Notebooks sind Webanwendungen, die alle notwendigen Prozeduren, Programmiersprachen oder Technologien bereitstellen, um datenwissenschaftliche Probleme zu lösen). Die Programmierung erfolgt mit Python, da die Sprache es einfach erlaubt, Rechenoperationen auf einem Hadoop-Cluster parallel zu bearbeiten. So lassen sich große Datenmengen schneller verarbeiten. „Der Notebook-Ansatz unterstützt aber generell auch andere Sprachen wie R, die wir dann dort zur Anwendung bringen, wo sich ihr Einsatz im Projekt anbietet“, erläutert Dr. Schnakenburg.

In die Modelle fließen die relevanten und stets datenschutzkonform anonymisierten Kundendaten aus den laufenden Geschäftsbeziehungen ein. Diese enthalten eine Vielzahl von Zusammenhängen, die für die Beantwortung der spezifischen Fragestellungen analysiert werden. Pawel Kozak ergänzt: „Darüber hinaus reichert das Big Data Lab die Informationen mit externen Geo-Daten an, um beispielsweise die Kaufkraft bestimmter Regionen berücksichtigen zu können.“ Der Berechnungsalgorithmus funktioniert dann wie folgt: Da die SV SparkassenVersicherung aus ihren Bestandsdaten ermitteln kann, welche Kunden das Zielprodukt bereits gekauft haben, bestimmt sie über die Algorithmen diejenigen Versicherungsnehmer, die sich für das Zielprodukt höchstwahrscheinlich ebenfalls interessieren werden. Ergebnis sind somit Scores und ein Ranking, das Vertriebs- und Marketingmitarbeiter dann für ihre Maßnahmen nutzen.

Präziser als Warenkorbanalysen

Um die Modelle zu bilden und zu trainieren, kommen nur anonymisierte Informationen zum Einsatz. Den ersten konkreten Anwendungsfall für das Projekt gab es im Herbst 2018: In drei Kampagnen unterstützte das Lab die Segmentierung der Zielkunden. „Verglichen mit der Vorschlagsfunktion, die Verbraucher aus dem E-Commerce kennen, arbeitet unser Modell deutlich präziser“, betont Dr. Schnakenburg von Detecon. „Denn in unsere Arbeit fließen weit mehr Kundeninformationen ein, als eine Warenkorbanalyse im Online-Shop berücksichtigen kann.“ Das kombinierte Experten-Know-how der SV SparkassenVersicherung und der Detecon sichert zudem die Aussagekraft der Ergebnisse ab.

Predictive Analytics und Machine Learning waren bis dato Neuland für die SV SparkassenVersicherung. Intern fehlte die datenwissenschaftliche Erfahrung für ein derartiges Projekt. Mit dem Big Data Lab und der SV Digital Initiative brachte der Versicherer jedoch die eigenen Fachabteilungen mit den Digitalexperten an einen Tisch. Um das Projekt zu evaluieren, haben Detecon und die SV SparkassenVersicherung die Algorithmen auch auf historische Datensätze angewendet. „So haben wir die Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt und Streuverluste in der früheren Kundenansprache erkannt, die wir heute minimieren können“, bestätigt Pawel Kozak.

Pirmin Dangelmaier, Hauptabteilungsleiter und Auftraggeber des Big-Data-Analytics-Projektes bei der SV SparkassenVersicherung
Pirmin Dangelmaier, Hauptabteilungsleiter und Auftraggeber des Big-Data-Analytics-Projektes bei der SV SparkassenVersicherung
(Bild: SV SparkassenVersicherung)

Inzwischen hat sich die Big-Data-Technologie im Praxistest bewährt und das Unternehmen sucht weitere Data Engineers und Data Scientists, um die Aktivitäten auszubauen: „Neben den Arbeiten im Big Data Lab forcieren wir den Aufbau einer Big Data Factory, die noch stärker in die IT-Infrastruktur integriert wird, produktive Prozesse unterstützen und zentrales Element der Konzernsteuerung werden soll“, erläutert Pirmin Dangelmaier, Hauptabteilungsleiter und Auftraggeber des Big-Data-Analytics-Projektes bei der SV SparkassenVersicherung.

Relevanz und Mehrwert für die Anwender

Für die Zukunft plant die SV SparkassenVersicherung, die Berechnungen immer weiter zu automatisieren und beispielsweise als Applikation bereitzustellen. Im Idealfall können die Mitarbeiter dann selbst auf alle Wahrscheinlichkeiten zurückgreifen und somit bspw. die Zielkunden für ihre Werbeaktionen bestimmen. Bis es soweit ist, verfeinert das Big Data Lab die Methode und gewährleistet auch, dass das Feedback der Anwender agil in das Projekt einfließen kann. „So sichern wir nicht nur die Qualität der Resultate für das Geschäftsmodell unseres Auftraggebers ab, sondern auch Relevanz und Mehrwert der Big-Data-Analysen für die Anwender“, konstatiert Dr. Schnakenburg von Detecon. „Nur, wenn wir dieses Feedback konsequent berücksichtigen und einarbeiten, sichern wir uns die Akzeptanz des Vertriebs“, kommentiert Pawel Kozak aus Sicht der SV SparkassenVersicherung die bisherigen Erfahrungen.

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