Generalinspekteur Zorn über Bundeswehr-Defizite: „Wir haben viel zu wenig Munition“

Seit 44 Jahren Soldat: Generalinspekteur Eberhard Zorn (62). Er war für die UN-Friedenstruppen in Bosnien und Herzegowina im Einsatz

Seit 44 Jahren Soldat: Generalinspekteur Eberhard Zorn (62). Er war für die UN-Friedenstruppen in Bosnien und Herzegowina im Einsatz

Foto: © Wolf Lux @wolf_lux_photograph
Von: Angelika Hellemann, Lydia Rosenfelder Und Wolf Lux (Foto)

Er ist Deutschlands ranghöchster Soldat: Generalinspekteur Eberhard Zorn (62).

Der Vier-Sterne-General, der als Artillerist beim Heer anfing, muss die Bundeswehr wieder fit für die Landesverteidigung machen, Waffenlieferungen an die Ukraine organisieren und der Bundesregierung vorschlagen, welche Waffensysteme mit dem 100-Milliarden-Paket gekauft werden sollen.

BILD am SONNTAG: Herr Zorn, haben Sie Angst, wegen Putin in den Krieg ziehen zu müssen?

Eberhard Zorn: „Ich habe per se keine Angst. Sowohl die Nato als auch der Bundeskanzler haben klar gesagt: In der Ukraine werden wir keine Soldatinnen und Soldaten einsetzen.“

Russland droht der Nato mit dem Einsatz von Nuklearwaffen. Der Bundeskanzler warnt vor einem Atomkrieg. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein?

Zorn: „Wir beobachten die Lage sehr genau, natürlich sind solche Drohgebärden besorgniserregend. Wir sehen militärisch aber keine Anzeichen dafür, dass Putin einen Angriff auf die Nato vorbereitet, weder mit atomaren noch mit konventionellen Waffen.“

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Sind Sie in höherer Alarmbereitschaft?

Zorn: „Formal nicht, aber ich bin immer rund um die Uhr mit zwei Telefonen unterwegs. Und ich habe ein Team um mich, das mich im Ernstfall sofort führungsfähig macht. In der Nacht, als der Krieg begann, rief mich unser Lagezentrum um 3 Uhr an: „Es geht los.“ Diesen Satz werde ich nie vergessen.“

Hilft Deutschland der Ukraine genug in ihrem tapferen Kampf?

Zorn: „Wir unterstützen in gutem Umfang. Alle Waffenlieferungen sind mit unseren Nato-Partnern abgestimmt, wir sorgen zusammen für stetigen Nachschub.“

Bislang hat die Bundeswehr gebetsmühlenartig gesagt, dass sie der Ukraine keine Waffen mehr geben kann, weil dann die eigene Verteidigungsfähigkeit bedroht ist. Wissen Sie überhaupt, wie viele Panzer, Flugzeuge und Schiffe die Truppe hat?

Zorn: „Ja.“

Bei den Panzerhaubitzen 2000 hat das Verteidigungsministerium wochenlang erklärt, dass die Bundeswehr zu wenig habe. Plötzlich können Sie doch sieben Stück liefern. Warum auf einmal?

Zorn: „Die Ukrainer haben während der Konferenz in Ramstein ihren Bedarf an Artilleriegeschützen bekräftigt. Für eine taktisch einsetzbare Feuereinheit benötigt man in etwa ein Dutzend Systeme.

Die Niederländer liefern fünf Panzerhaubitzen. Wir werden das Dutzend komplettieren. Die sieben Systeme sind derzeit zur Wartung bei der Industrie und werden nach ihrer Fertigstellung an die Ukrainer übergeben.

Unsere Verpflichtungen gegenüber der Nato werden dadurch nicht beeinträchtigt.“

Können Sie noch anderes schweres Gerät abgeben?

Zorn: „Wenn ich jetzt Nein sage, dann ist in 14 Tagen vielleicht wieder alles anders. Fakt ist: Die Ukrainer haben wie eben erwähnt uns gegenüber ganz explizit Artillerie gefordert.

Ich habe von der ukrainischen Regierung derzeit keine anderen Forderungen auf meinem Tisch liegen, die den Bestand der Bundeswehr betreffen.“

Video zeigt GegenoffensiveSo wichtig sind die Panzer für die Ukrainer

Quelle: BILD

Der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, hat nach Putins Angriffskrieg beklagt, dass das Heer „blank“ dastehe. Stimmen Sie dem zu?

Zorn: „General Mais schildert knackig die Defizite, die wir in den vergangenen Jahren angesammelt haben.

Ein Beispiel: Wir haben viel zu wenig Munition, da wurde knallhart gespart. Jetzt brauchen wir allein etwa 20 Milliarden Euro, um unsere Munitions-Depots wieder aufzufüllen.

Beim Heer müssen wir die Vollausstattung in jedem Verband erreichen. Der Mangel wurde einmal mit dem Begriff dynamisches Verfügbarkeitsmanagement kaschiert, danach war es die aufgabenorientierte Ausstattung. Wir sind Weltmeister im Erfinden solcher beschönigenden Plattitüden. De facto haben wir über Einsparungen bei Munition und Ersatzteilen andere Projekte finanziert.“

Wie blank ist die Bundeswehr?

Zorn: „In der Corona-Krise haben wir zwei Jahre Pandemiehilfe geleistet. Fanden alle prima, führte aber vor allem beim Heer dazu, dass wir außerhalb der Einheiten, die für die Nato-Verpflichtungen gemeldet sind, nur eingeschränkt ausbilden konnten.

Das heißt, die Frauen und Männer wurden nicht hinreichend in der taktischen Zusammenarbeit geschult. Es wird anderthalb Jahre dauern, dieses Defizit aufzuholen.“

Jetzt soll es ein 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr geben. Zufrieden?

Zorn: „Ja, aber die Summe ist nicht zufällig entstanden. Nach der Wahl haben wir hier im Haus errechnet, wie hoch der Investitions- und Modernisierungsbedarf der Bundeswehr ist, um die wichtigsten Nato-Anforderungen zu erfüllen. Das Ergebnis waren 100 Milliarden Euro.“

Teaser-Bild

Foto: BILD

Wann kommt das Paket bei der Truppe an?

Zorn: „In drei Jahren werden wir deutliche Verbesserungen in vielen Bereichen der Bundeswehr spüren.“

Die neue Verteidigungsministerin Christine Lambrecht steht massiv in der Kritik. Wie kommt die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt bei den Soldaten an?

Zorn: „Ich bin ja selbst Soldat und erlebe die Ministerin persönlich in allen Gesprächen offen und interessiert. Etwas anderes habe ich auch noch nicht aus der Truppe gehört. Sie hat ein Gespür für unsere Frauen und Männer.“

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