Gauland bei Maybrit Illner: Froh, dass die Ukraine nicht in der Nato ist

AfD-Altmeister Alexander Gauland (82, AfD) verbreitet die russische Weltsicht

AfD-Altmeister Alexander Gauland (82, AfD) verbreitet die russische Weltsicht

Foto: ZDF/Jule Roehr
Von: Josef Nyary

Augen rechts! Die Meinungsforscher von „Ipsos“ messen die AfD mit 22 Prozent, da hilft nur noch der klare Blick auf die Realitäten. Maybrit Illner holt sich mit Alexander Gauland den vermeintlich am wenigsten radikalen Rechtsaußen an ihren Talk-Tisch. Thema: „Sicherheit für die Ukraine – Nato stärken, Russland provozieren?“

Die Gäste

Alexander Gauland (82, AfD). Der Partei-Patriarch feierte den 9. Mai mit Ex-Kanzler Schröder und Ex-SED-Chef Krenz in der russischen Botschaft. Nur Höflichkeit?

Alexander Graf Lambsdorff (56, FDP). Der designierte Botschafter in Moskau übernimmt den Job „in dem Bewusstsein, dass die politischen Beziehungen zu Russland zurzeit in einer ganz schwierigen Phase stecken“.

Roderich Kiesewetter (59, CDU). Der Sicherheitspolitiker kritisiert es als „falsche Entscheidung“, dass die Nato der Ukraine vorerst keine formelle Einladung aussprechen will.

Melanie Amann (45). Die Journalistin („Spiegel“) urteilte 2017 über die AfD: „Es gibt vereinzelte Rechtsextremisten, es gibt auch Rechtsradikale in dieser Partei, aber ich würde trotzdem noch sagen, es ist insgesamt jetzt keine rechtsradikale Partei.“ Und heute?

Die Gäste mit ihrer Gastgeberin von links: Melanie Amann, Alexander Graf Lambsdorff, Maybrit Illner, Roderich Kiesewetter, Alexander Gauland

Die Gäste mit ihrer Gastgeberin von links: Melanie Amann, Alexander Graf Lambsdorff, Maybrit Illner, Roderich Kiesewetter, Alexander Gauland

Foto: ZDF/Jule Roehr

Schlangenlinien, Schleuderkurse, Schlaglöcher! Das Zoff-o-Meter zurrt den Sicherheitsgurt noch enger.

Bitterste Bilanz

Über den Nato-Gipfel im litauischen Vilnius sind sich die Politiker aus dem Bundestag nicht einig. FDP-Lambsdorff begrüßt „eine Annäherung der Ukraine“ an das westliche Verteidigungsbündnis „auf eine Art und Weise, wie es sie in der Vergangenheit noch nie gegeben hat.“ CDU-Kiesewetter dagegen murrt: „Chance vertan!“

Alexander Graf Lambsdorff (56, FDP) ist für die Annäherung der Ukraine an die Nato

Alexander Graf Lambsdorff (56, FDP) ist für die Annäherung der Ukraine an die Nato

Foto: ZDF/Jule Roehr

Denn, so der Verteidigungspolitiker und Oberst a.D. über den „Knackpunkt“ der Verhandlungen: „Wenn Putin das Abkommen liest, dann weiß er, die Nato war nicht einig, es gibt keine Einladung.“ Ihm fehle, so Kiesewetter, die klare Botschaft, „dass die Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato nicht mehr verhandelbar ist“, und das erfülle ihn „mit Sorge“.

Unverständlichstes Lob

Die Talkmasterin strahlt in Lila wie ein Milka-Model mit viel Zucker in der Schokolade: „Herr Gauland, wie haben Sie auf die Ergebnisse dieses Gipfels geschaut?“, flötet sie freundlich.

„Ich war froh, dass Herr Biden und Herr Scholz dafür gesorgt haben, dass die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen wird“, antwortet der AfD-Ehrenvorsitzende mit unverhohlener Genugtuung, denn: „Wir sind auch grundsätzlich dagegen, dass die Nato sich an die russische Grenze ausdehnt. Daher ist dieses Ergebnis positiv zu sehen.“

Unrealistischste Appeasement-Idee

Uff! Hat der Diktator mit seinem Angriffskrieg nicht sogar bewirkt, dass Russland durch das neue Mitglied Finnland jetzt noch 1300 Kilometer Nato-Grenze dazubekommen hat? Prompt lässt Illner den Zucker weg: „Hat Putin sich nicht selbst einen Bärendienst erwiesen?“

„Ich glaube auch, dass man in der heutigen Zeit das Zarenreich nicht wieder aufbauen kann“, gibt Gauland zu, fordert aber: „Eigentlich müsste unsere Außenministerin täglich zwischen Kiew und Moskau hin und herfahren, damit es einen Kompromiss zwischen diesen beiden Nachfolgestaaten des zaristischen und sowjetischen Imperiums gibt.“ Ächz!

Krachendstes Eigentor

Dann setzt der AfD-Denker zu einer krausen Putin-Rechtfertigung an: „Das Problem ist doch: Es wird immer behauptet, er will die Ukraine vernichten“, klagt er mit vorwurfsvollem Blick in die Runde.

What? „Spiegel“-Amann schlackert mit den Ohren. „Das hat er ja selber gesagt!“, meldet sie verblüfft.

Journalistin Melanie Amann (links) widerspricht Gauland

Journalistin Melanie Amann (links) widerspricht Gauland

Foto: ZDF/Jule Roehr

Unverkäuflichster Ladenhüter

Gauland reagiert darauf wie immer: Was er nicht widerlegen kann, wird überhört. Stattdessen kommt er jetzt mit lupenreinem Kreml-Sprech um die Ecke: „Es hat durchaus Annäherungen von Putin an die westlichen Positionen gegeben“, behauptet er, aber „das haben wir immer zurückgewiesen.“

„Man muss doch sehen, dass wir seit 1990 immer näher an die russische Grenze rücken“, doziert er dazu nach altem Sowjet-Rezept in die kopfschüttelnde Runde. „Das ist für die Russen eine Bedrohung. Das ist eine Großmacht.“ Horrido!

Überfälligste Luftreinigung

Kiesewetter führt den Talk wieder hinter der Fichte hervor: „Die russischen Eliten haben sich nicht vor der Nato gefürchtet, sondern vor der eigenen Bevölkerung, die Freiheit wollte!“, korrigiert er den staubigen AfD-Phrasendrusch.

Illner kontert die Kreml-Lügen ihrerseits mit einem Einspieler über den Söldner-Putschisten Prigoschin, der wütend in die Kamera brüllte: „Die Ukrainer haben nichts gemacht! Das Verteidigungsministerium erzählt die Geschichte, dass die Ukraine sich vorbereitet, uns mit der Nato anzugreifen. Es belügt die Bevölkerung und den Präsidenten!“

Absurdestes Argument

Gauland findet Prigoschin als Zeugen „etwas komisch“, ärgert sich aber trotzdem so sehr, dass er sich in einen selbst für AfD-Leute abwegigen Vergleich verirrt: „Die Amerikaner akzeptieren seit 1823 nicht, dass sich die Europäer auf ihrem Kontinent festsetzen“, schickt er mit Blick auf die längst überholte isolationistische „Monroe Doktrin“ voraus.

Gauland (rechts) gibt sich voll auf Kreml-Kurs

Gauland (rechts) gibt sich voll auf Kreml-Kurs

Foto: ZDF/Jule Roehr

Und dann zündet er mit schlauem Lächeln seine vermeintliche Beweis-Rakete: „Ich wäre mal sehr gespannt, wenn die Kanadier auf die Idee kämen, die Hudson-Bay an die Chinesen zu verpachten, was dann passieren würde.“

Heidewitzka! Auf diesem Level wird also in alternativdeutschen Intellektzirkeln debattiert!

Simpelste Weltsicht

„Sie stellen die Psychologie über das Recht“, hält die Journalistin dem AfD-Altmeister vor. „Sie sagen, die Gefühle und die Sorgen Russlands sind wichtiger als das Völkerrecht!“

„Es ist ein Unterschied, ob Malta Politik betreibt oder Russland“, keilt Gauland sichtlich erbost zurück. „Wir leben immer noch in einer Welt der Großmächte! Es geht nicht nur um Russland, die Amerikaner machen genau dasselbe!“

Propagandistischste Formulierung

„Russland hat den Krieg begonnen“, erinnert Amann. „Ich habe ja gesagt, dass das falsch war“, verteidigt sich Gauland eilig. „Ja“, bestätigt die Journalistin, „aber das ist ja letztlich nur eine hohle Phrase! Was folgt denn daraus? Für die AfD folgt daraus erst mal: Nix!“

Gaulands wütender Konter: „Ich finde es keine gute Idee, wenn deutsche Panzer russische Soldaten töten!“ Kiesewetter greift sofort ein: „Ukrainische Panzer!“ Doch für Gauland zählt, wer die Waffe baute, nicht, wer damit schießt.

Läppischste Rechtfertigung

Auch von der Talkmasterin kommt jetzt mächtig Druck: „Mir fällt gerade ein, dass Sie es waren, der die Zeit der Nazi-Herrschaft als Vogelschiss der Geschichte bezeichnet haben“, reibt sie dem AfD-Ehrenvorsitzenden unter die Nase.

„Also, liebe Frau Illner, das ist nicht die feine englische Art, jetzt mit dem Vogelschiss zu kommen!“, beschwert sich Gauland stinksauer. Der Ausdruck habe sich nie auf das Nazi-Regime oder den Holocaust bezogen, sondern „das war ein falscher Begriff für die Kürze der Zeit“. Sein Ernst?

Brutalste Kommentare

Gaulands Trick: Er umkleidet seine kruden Behauptungen stets mit Worthülsen wie „sozusagen“, „im Grunde genommen“ oder „ehrlich gesagt“. Im Streit um das Eingreifen der Nato aber verzichtet er auf rhetorische Abmilderungen. Stattdessen fragt er dramatisch: „Wollen wir bis zum letzten Ukrainer und bis zum letzten Russen kämpfen?“

Seine grob völkerrechtswidrige Einschätzung: „Es sind zwei Kriegsparteien, und wenn ich den Krieg beseitigen will, muss ich zu einem Kompromiss zwischen den beiden Kriegsparteien kommen.“

Historisierendste Irrlichterei

Auf Amanns Einwand, es könne ja auch der Aggressor einfach seine Truppen zurückziehen, poltert Gauland aufgebracht: „Man kann sich auch den Himmel auf Erden wünschen, aber das ist doch Blödsinn!“

Seine Ablehnung wirtschaftlicher Maßnahmen gegen Russland begründet der studierte Historiker mit einem besonders weit hergeholten Beispiel: „Sanktionen habe ich immer für falsch gehalten! Das hat schon 1936 im Abessinienkrieg nicht funktioniert.“ Stöhn!

Verräterischste Reaktion

Der letzte Einspieler zitiert zu der umstrittenen Botschaftsfeier vom 9. Mai russlandkritische Parteistimmen aus einem AfD-internen Chat: „Ihr habt uns ein Drittel unseres Staatsgebiets geraubt, Millionen Deutsche vertrieben, unzählige Frauen vergewaltigt!“ - „Das waren keine Soldaten, das waren barbarische Mongolenstürme!“

Gaulands eisige Erwiderung: „Ich bin in Chat-Protokollen nicht drin. Es interessiert mich nicht, was Leute aus der Quasselgruppe … Wenn ich mich mit jedem beschäftigen würde, der in irgendeinem sozialen Medium aktiv wird, dann könnte ich es aufgeben.“

Erhellendste Analyse

Zum Schluss nimmt sich die „Spiegel“-Frau den alten Schwadroneur noch mal zur Brust: „Es gibt einen Beschluss Ihrer Fraktion, man soll nicht immer kritiklos die russischen Positionen übernehmen“, erinnert sie ihn, „und keine plumpen Antiamerikanismen.“

Amanns Vermutung: „Das verbindende Element, das viele in Ihrer Partei eint, ist weniger die prorussische Haltung, sondern vor allem eine antiamerikanische Haltung.“ So finden dann Links- und Rechtsextremisten harmonisch ins selbe Team.

Zitat des Abends

„Der Gorbatschow hat das litauische Parlament beschossen!“ Roderich Kiesewetter über den Freiheitsdrang der Balten.

Fazit

Qualifiziertes Untersuchungsteam mit gut gezielten Hochpuls-Fragen, der Proband zeigte trotz zur Schau getragener Kaltschnäuzigkeit verräterische Erregungssignale: Das war eine Talk-Show der Kategorie „Lügendetektor“.

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