Notruf einer Kinderärztin: „Alle zwei Minuten ein Patient“

Beate Seger-Fritz ist seit 25 Jahren Kinderärztin aus Leidenschaft – doch die aktuelle Situation setzt ihr zu. Sie sagt: „Wenn es bei diesen Bedingungen bleibt, trage ich mich ernsthaft mit dem Gedanken, die Tätigkeit einzustellen und etwas anderes zu tun“

Beate Seger-Fritz ist seit 25 Jahren Kinderärztin aus Leidenschaft – doch die aktuelle Situation setzt ihr zu. Sie sagt: „Wenn es bei diesen Bedingungen bleibt, trage ich mich ernsthaft mit dem Gedanken, die Tätigkeit einzustellen und etwas anderes zu tun“

Foto: Sven Moschitz
Von: daniela pfad

Frankfurt (Hessen) – Ihre Sorgen und Nöte sind so groß, dass diese Kinderärztin ernsthaft darüber nachdenkt, ihren Job an den Nagel zu hängen.

Zukunfts-Angst, teures Fach-Personal und frustrierte Eltern bereiten Beate Seger-Fritz (59) schlaflose Nächte.

„Wir Ärzte sind wirklich leidensfähig, aber jetzt hat das Leid ein Ende. Wir können nicht mehr leiden“, sagt die Frankfurter Kinderärztin. Aktuell versorgt sie rund 1500 Patienten im Quartal, hat sieben Angestellte, die sie sich eigentlich gar nicht so recht leisten kann – von Überstunden ganz zu schweigen. Neue Patienten nimmt Seger-Fritz aktuell nicht mehr an.

In diesem Frankfurter Ärztehaus betreibt Seger-Fritz ihre Praxis

In diesem Frankfurter Ärztehaus betreibt Seger-Fritz ihre Praxis

Foto: Sven Moschitz

Beate Seger-Fritz ist seit 25 Jahren Ärztin – ihre Praxis ihr Baby, die Arbeit mit Kindern eine Herzenssache. Doch irgendwann geht's einfach nicht mehr. Negativ-Rekord: „In zwölf Stunden hatte ich mal 134 Patienten. Macht zwei Minuten pro Patient.“ Die Ärztin: „Ich will so keine Medizin machen.“

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Quelle: BILD / TikTok

Fehlendes und teures Fachpersonal

„Das Fach der Kinderheilkunde ist sehr personalintensiv. Medizinische Fachangestellte entscheiden sich oft für weniger anstrengende und lukrativere Fachrichtungen bzw. Einrichtungen“, sagt Beate Seger-Fritz.

Wegen der Personalintensität und der geringen Bezahlung des Kinderarztes durch die Krankenkassen könne der Kinderarzt die notwendige Anzahl an Personal nicht einstellen. 2021 bei einer Patientenzahl von etwas unter 1000 pro Arzt pro Quartal gab es 74 Euro im Schnitt für drei Monate Arbeit/Kind – egal, wie oft das Kind in die Praxis kam und welche Untersuchung durchgeführt wurde. Folge: „Die Praxen sind für die Eltern telefonisch nicht erreichbar, Untersuchungen können nicht durchgeführt werden“, so Seger-Fritz.

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Mangelnde Ausbildungs-Möglichkeiten für angehende Kinderärzte

Beate Seger-Fritz bildet seit vielen Jahren Weiterbildungsassistenten (angehende Fachärzte im Bereich Kinderheilkunde) aus. Gefördert werden die Stellen durch das Land Hessen. Problem: Die Zahl ist begrenzt. Beate Seger-Fritz bezahlt ihre Weiterbildungsassistentin deshalb nun von ihrem privat, ersparten Geld. 3600 Euro pro Monat für eine halbe Stelle.

Lange schafft Seger-Fritz die finanzielle Doppel-Belastung nicht mehr: „Entweder bekomme ich im Oktober doch noch irgendwie eine Förderung für die junge Kollegin oder sie muss gehen.“ Monatliche Gesamt-Personalkosten für ihre Frankfurter Praxis: 22 000 Euro.

Arbeit mit Kindern und Eltern immer zeitintensiver

Beate Seger-Fritz: „Die Lücken in der Versorgung der frisch gebackenen Eltern durch fehlende Hebammen füllen wir Kinderärzte. Es gibt nur wenige Spezialisten für die einzelnen Fachrichtungen für Kinder.“ Außerdem seien die Eltern immer weniger aufs Elternsein vorbereitet, die Kinder u. a. durch fehlende Kindergartenplätze unzureichend gefördert. Noch nie hätte sie so viele entwicklungsgestörte und psychisch kranke Kinder versorgt wie jetzt. Eltern seien sehr frustriert.

Die Petition zum Erhalt von Haus- und Facharztpraxen in Deutschland liegt bei Seger-Fritz in den Behandlungsräumen aus

Die Petition zum Erhalt von Haus- und Facharztpraxen in Deutschland liegt bei Seger-Fritz in den Behandlungsräumen aus

Foto: Sven Moschitz

Zunehmende Sprach-Barrieren

Beate Seger-Fritz betreibt ihre Kinderarzt-Praxis in einem sozial schwachen Gebiet. Die Ärztin: „Ich versorge eine hohe Zahl bildungsferner, nicht oder unzureichend deutsch sprechender Familien. Das erhöht den Zeitaufwand weiter.“ Privatpatienten, die die Praxis querfinanzieren könnten, hat die Ärztin kaum.

Die Prognose

Seger-Fritz: „Offensichtlich ist es Ziel der Politik, die Einzelpraxis zu beerdigen, die individuelle Versorgung durch Ärzte nicht mehr zu erlauben.“ Stattdessen würden die Praxen in von großen Privatkonzernen geführten medizinischen Versorgungszentren aufgehen – mit stets wechselnd angestellten Ärzten und Praxispersonal. Womöglich viele aus dem Ausland, „weil Ausbildung von Ärzten hierzulande ja zu teuer ist“, sagt die Kinderärztin.

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Warum tut sich die Ärztin all das noch an?

Seger-Fritz: „Kinder sind authentisch, ehrlich und liebenswert. Sie haben es verdient, die bestmögliche Behandlung und Betreuung zu bekommen.“ Sie weiter: „Eltern und Kinder bringen mir die Wertschätzung entgegen, die mich erfüllt und mich die heutige Situation gerade noch ertragen lässt.“

Aber: „Von Wertschätzung allein kann ich meine Kinder nicht versorgen, mein Leben nicht finanzieren, geschweige denn glücklich und sorgenfreier in meine Zukunft schauen.“

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