Der Kapitalismus als Erfolgsgeschichte. Rückblick auf den Vortrag von Prof. Dr. Werner Plumpe

Prof. Dr. Werner Plumpe stieß mit seinen Thesen auf lebhaftes Interesse.

Armut, soziale Ungleichheit, (vermeintlich) überflüssiger Konsum, Umweltzerstörung – dem Kapitalismus werden seit seinen Anfängen negative Folgen zugeschrieben. So gesehen ist es erstaunlich, dass es ihn immer noch gibt: Mit dieser Problematisierung eröffnete der Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Werner Plumpe (Goethe-Universität Frankfurt/Main) seinen Vortrag „Der Kapitalismus im langen 19. Jahrhundert“ im Historischen Bahnhof Friedrichsruh.

Den negativ konnotierten Stichworten stellte Plumpe zunächst gegenüber, was nie erwähnt werde: die bezahlbare Milch im Supermarkt. Der preislich erschwingliche Zugang zu Konsumgütern sei aber der Grund für den Erfolg des Kapitalismus. Von Anfang hätten vor allem auch die ärmeren und unterprivilegierten Menschen davon profitiert, dass ihre Bedürfnisse „entdeckt“ worden seien. Nicht zufällig seien Brauereien zu den ersten kapitalistischen Fabriken geworden.

Plumpe versteht den Kapitalismus ausdrücklich nicht als ein System, sondern als eine Art und Weise des Wirtschaftens. Seine Kennzeichen seien eine hohe Produktivität und die kapitalintensive Massenproduktion. Zur Erfolgsgeschichte komme es allerdings nur, wenn die Bedingungen stimmten. Dies zeige der Blick auf Holland und England, die im 17. und 18. Jahrhundert als erste Länder zu prosperieren begannen: Die Menschen müssten frei über ihr Privateigentum verfügen und handeln können, sodass sich preisbildende Märkte herausbildeten. Eine wichtige Rolle spiele außerdem der Staat als Garant stabilen Geldes. Der Kapitalismus sei damit eine „kalte Veranstaltung“, erläuterte Plumpe. Aber gerade diese Herzlosigkeit sei seine Stärke, nur so komme es zu Innovationen. Marx und Engels hätten diese Dynamik ebenso verkannt wie den Charakter der sozialen Missstände ihrer Zeit. Diese seien stets historische Erscheinungen, die politisch veränderten werden könnten.

Adolph Menzel, Das Eisenwalzwerk, 1872–1875 (© Foto: Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz). Eine großformatige Reproduktion dieses Gemäldes ist in der Dauerausstellung „Otto von Bismarck und seine Zeit“ im Historischen Bahnhof Friedrichsruh zu sehen.

Unter den genannten Bedingungen sei die massenhafte, kostengünstige Produktion von Gütern möglich, womit Arbeitsplätze geschaffen würden. Mit dem verdienten Einkommen könnten die Menschen der Armut entkommen und am Konsum, der ihren Alltag verbessere, teilnehmen. Die soziale Ungleichheit allerdings – die ebenso wie die Sklaverei keineswegs erst mit dem Kapitalismus entstanden sei, wie Plumpe betonte – werde allein durch diesen wirtschaftlichen Kreislauf nicht überwunden; dies sei nicht einmal in den Ländern im nordwestlichen Europa und in Nordamerika geschehen, in denen dieses Wirtschaftsmodell besonders erfolgreich sei. Plumpe wies aber auf die vielfältigen Möglichkeiten hin, die den Gesellschaften mit der Etablierung von Sozialversicherungssystemen zur Verfügung stünden.

In der Kürze dieser Abendveranstaltung war es nicht möglich, alle Aspekte zu beleuchten, wie auch bei der an den Vortrag anschließenden, lebhaften Diskussion deutlich wurde. Offen blieb etwa die Frage, wie kapitalistisch agierende Gesellschaften ihre Energieversorgung marktkonform und zugleich umweltfreundlich gestalten könnten.

Aus dem Publikum wurde abschließend noch eine Frage gestellt, die auf ein Phänomen verweist, das sich spiegelbildlich zur andauernden Kritik am doch erfolgreichen Kapitalismus verhält: Wieso schwärmten noch heute Kapitalismuskritiker für den Sozialismus, der doch untrennbar mit historischen Gewalterfahrungen verbunden und bisher immer gescheitert sei? Als Wirtschaftshistoriker könne er diese Frage nicht beantworten, sagte Plumpe. Er nehme an, dass der Sozialismus immer noch als eine Erlösungshoffnung funktioniere; der Mensch schäme sich des kapitalistisch erwirtschafteten Wohlstands und sehne sich immer weiter nach einer Welt, mit der er sich eins fühlen könne.

Lektüreempfehlung:
Werner Plumpe
Das kalte Herz. Kapitalismus: die Geschichte einer andauernden Revolution
Hamburg 2019