Ausgabe Oktober 2011

Stramm rechts: Die Deutsche Burschenschaft

Der diesjährige Burschentag in Eisenach begann mit einem Eklat: Die Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn hatte den Antrag eingereicht, die Studentenverbindung Hansea Mannheim aus dem Dachverband auszuschließen. Diese hatte einen in Mannheim geborenen deutschen Studenten aufgenommen, der sowohl die nötigen Fechtmensuren geleistet als auch bei der Bundeswehr gedient hatte – und sich überdies offen zum deutschen Vaterland bekennt. Der Makel des Neumitglieds besteht jedoch darin, chinesische Eltern und somit das „falsche Blut“ zu haben.

Die Aufnahme eines „Chinesischstämmigen“ verstoße, so die Alten Breslauer, gegen die Verfassung der Deutschen Burschenschaft (DB).[1] Diese versteht das Volk als „eine Gemeinschaft, die durch gleiches geschichtliches Schicksal, gleiche Kultur, verwandtes Brauchtum und gleiche Sprache verbunden ist“ (Art. 9). „Schicksal“ und „Abstammung“ stellten jedoch, so die weitere Argumentation, unveränderliche Konstanten dar, die in einem wechselseitigen Kausalverhältnis zueinander stünden: „Zur geschichtlichen Schicksalsgemeinschaft des deutschen Volkes kann nur derjenige gehören, dem diese Eigenschaft durch seine Abstammung zuteil wurde.“ Es sei daher „besonders in Zeiten fortschreitender Überfremdung […] nicht hinnehmbar, dass Menschen, welche nicht von deutschem Stamme sind, in die Deutsche Burschenschaft aufgenommen werden.“ Der Antrag argumentiert zudem unverhohlen rassistisch: „Beispielsweise weist eine nichteuropäische Gesichts- und Körpermorphologie auf die Zugehörigkeit zu einer außereuropäischen populationsgenetischen Gruppierung und damit auf eine nicht deutsche Abstammung hin.“

Unterstützung für ihr Vorhaben, das Abstammungskriterium im Verband durchzusetzen, erhielten die Antragsteller durch ein Gutachten des Rechtsausschusses, der höchsten innerverbandlichen juristischen Instanz der Deutschen Burschenschaft.[2] Weil der Antrag in der Öffentlichkeit für erhebliche Aufmerksamkeit gesorgt hatte, zogen die Raczeks ihn vor Beschlussfassung zurück. Ein eilends erstelltes neues Rechtsgutachten sollte verdeutlichen, dass der Vorwurf eines „Ariernachweises“[3] haltlos sei. Doch auch dieses Gutachten bestätigt die rassistische Abstammungslehre: Die Herkunft sei, so heißt es dort, zwar nicht alleiniges, aber „wesentliches“ Merkmal „zur Beurteilung der Volkszugehörigkeit.“ Korporationen müssten daher prüfen, ob der Bewerber „von Eltern abstammt, die beide nicht dem deutschen Volk angehören oder beide nicht die vorbezeichneten Staatsangehörigkeiten besitzen“.[4]

Der Vorfall macht deutlich, dass die Frage der Volksgemeinschaft auch heute noch den Kern des Selbstverständnisses zahlreicher Korporationen berührt – trotz gravierender ideologischer Differenzen zwischen den einzelnen Verbindungen und ihren gut 25 Dachverbänden. Denn diese unterscheiden sich nicht nur bezüglich ihrer internen Organisationsprinzipien (farbentragend bzw. schlagend), sondern auch hinsichtlich ihrer weltanschaulichen und politischen Orientierungen.

Der überwiegende Teil der bundesdeutschen Korporationen vertritt eher traditionell-konservative Einstellungen. Nicht wenige bewegen sich dabei in einer Grauzone zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus. Vor allem aber lassen sich zahlreiche Burschenschaften – Mitglieder des wohl bekanntesten Korporationsverbands, der Deutschen Burschenschaft – dem rechtsextremen Spektrum zuordnen.

Die DB vereint derzeit über 120 Korporationen und zählt insgesamt etwa 1500 aktive Mitglieder sowie knapp 11 000 „Alte Herren“, die die Geschicke der einzelnen Verbindungen und des Dachverbandes maßgeblich prägen – durch die Finanzierung des Verbindungslebens und durch die Protektion einzelner Bundesbrüder oder ihre ideologische Einflussnahme.[5]

Spezifika des burschenschaftlichen Rechtsextremismus

Gemein ist nahezu allen Verbindungen ein meist grob verzerrter Traditionsbezug. Dabei genügt schon ein oberflächlicher Blick auf die deutsche Vergangenheit, um zu erkennen, dass im „Zeitalter der Katastrophen“ (Eric Hobsbawm), das von Imperialismus, Militarismus, Nationalismus und Antisemitismus geprägt war, gerade auch die studentischen Verbindungen eine entscheidende und unrühmliche Rolle gespielt haben.

Die besonderen Eigenschaften des heutigen burschenschaftlichen Rechtsextremismus lassen sich dabei aus der Geschichte des Verbandes und den eingeschriebenen Traditionsbeständen wie organisatorischen Besonderheiten erklären. Nicht zufällig verteidigen Burschenschafter am rechten Rand vehement althergebrachte Formen studentischen Brauchtums. Eine tradierte Trias aus völkisch-nationaler Weltanschauung, männerbündischer Sozialstruktur und spezifischen Brauchtumsformen stabilisiert seit über einem Jahrhundert den antiegalitären, antiemanzipatorischen wie auch antidemokratischen „Virilitätshabitus“ der Burschenschafter:

Erstens waren es lange vor 1933 nicht zuletzt die Studentenschaften an den Hochschulen, die rechtsradikales Gedankengut vertraten und die sogenannte Machtergreifung schließlich emphatisch begrüßten. Dies lag mit Sicherheit auch am Einfluss der Korporationen, die in Kaiserreich und Weimarer Republik etwa 60 Prozent der Studierenden organisierten. Sie sozialisierten jene „Untertanen“, die „von der Korporation, dem Waffendienst und der Luft des Imperialismus erzogen“ (Heinrich Mann), autoritären Stimmungen den Weg ebneten.

Die Wurzeln des burschenschaftlichen Rechtsextremismus reichen aber noch weiter zurück: Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts zeigt die Burschenschaftsbewegung eine eigentümliche Mixtur aus oppositionellem Rebellentum gegen Fürstenherrschaft und Kleinstaaterei auf der einen und Deutschtümelei auf der anderen Seite – Franzosen- sowie Judenhass eingeschlossen. Herbert Marcuse ist wohl am schärfsten mit den frühburschenschaftlichen Überzeugungen ins Gericht gegangen: Er erkannte bereits früh in ihnen „die Ideologie der faschistischen Volksgemeinschaft“.[6] Dies mag überzogen erscheinen; die „Zerstörung der Vernunft“ (Georg Lukács), die „völkische Droge“ (Lutz Hoffmann) wurzelt gleichwohl auch in den Anfängen der Urburschenschaft. Sie radikalisierte sich im Zuge imperialistischen Weltmarktstrebens und in den Jahren der Weimarer Republik.

Zweitens ging die Idee der Volksgemeinschaft von Anfang an einher mit der Vorstellung wehrhafter Männlichkeit und heldenhafter Kameradschaft. Auch diese Ideen waren und sind mit rechtsextremen Traditionen aufs Engste verknüpft. Vor allem im Männerbund wird das Prinzip der Ungleichheit sowohl gepredigt als auch gelebt. Der Ausschluss von Frauen, ein militärisch geprägtes Gesellschaftsbild, „männliche“ Stereotypen, Kategorien von Über- und Unterordnung, Heroismus und gleichzeitige Kollektiv-Sentimentalität im Männerkreise – all dies trägt sowohl zur individuell-psychologischen Disposition als auch zur kollektiven Praxis rechtsextremen Denkens und Handelns bei. Der Männerbund gilt daher nicht nur in der Vergangenheit als ein zentraler Bestandteil rechtsextremer Subkultur bzw. Lebensform.

Schließlich zielen drittens wesentliche Bestandteile des männerbündischen Brauchtums auf die Negierung vermeintlich weiblich-ziviler Eigenschaften. Ritualisierter Alkoholkonsum erbringt beispielsweise den Nachweis, körperliche Zumutungen zu ertragen und Widerwillen wie auch Unwohlsein zu bezwingen, kurz: individuelle Grenzen in der und für die Gemeinschaft zu überwinden. Am sichtbarsten wird der männliche „Härte-Konnex“ bei der Mensur, der hinsichtlich der Erziehung zu martialisch-heroischer Männlichkeit („den Kopf hinhalten“) wohl die gewichtigste Funktion zukommt. Bei ihr wird männliche Reife als Fähigkeit verstanden, Schmerz ertragen und Schwäche besiegen zu können. Die Mensur symbolisiert die Abgrenzung zur Welt der (verweichlichten) Frauen und Kinder und trägt so entscheidend zur Herausbildung eines „Habitus ohne Mitleid“ (Norbert Elias) bei.

Volksgemeinschaft und differenzierter Rassismus

Neben der Vorstellung autoritärer Härte bestimmt bis heute vor allem die völkische Ideologie das politische Denken und Handeln der Burschenschaften. So ruht der gemeinschaftliche Zusammenhalt – anders als beim demokratisch-republikanischen Politik- und Staatsverständnis (ius soli) – auf der zum Mythos verklärten Volksgemeinschaft (ius sanguinis). In diesem Sinne wird im „Handbuch der Deutschen Burschenschaft“[7] das Volk zuvorderst durch das Prinzip der „Abstammung“, als „natürlicher Zusammenschluss“ bestimmt, während ein staatsbezogener Vaterlandsbegriff explizit verworfen wird. Alle anderen „Grundbegriffe burschenschaftlicher Politik“ – so lautet die Überschrift eines zentralen Kapitels – werden von dem „volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff“ „abgeleitet“, das heißt mit ihm in Übereinstimmung gebracht.

Der „volkstumsbezogene Vaterlandsbegriff“ liegt somit dem gesamten Staats- und Politikverständnis der DB zugrunde. Die vorrangigen Ziele staatlichen Handelns sieht der Verband – statt in der Regulierung gesellschaftlicher Interessen – daher vor allem in der machtpolitischen Durchsetzung nationalgemeinschaftlicher Gesamtinteressen.[8] Demokratische und soziale Bewegungen oder auch Freiheitsrechte gegenüber dem Staat erscheinen diesem Denken als gefährliche Prinzipien des klassischen politischen Liberalismus, welche die staatliche Autorität untergraben.

Die Wiener Burschenschaft Olympia brachte die aus dem völkischen Denken resultierende Gegnerschaft zum liberal-demokratischen Politikverständnis auf den Punkt: „Dieser Glaube an die besondere Bestimmung und Bedeutung des Volkstums richtete sich gegen die übersteigerten individualistischen und weltbürgerlichen Tendenzen der Aufklärung. Man wusste oder fühlte zumindest, dass es der Gemeinschafts-Mythos ist, der der Gesellschaft ihren Zusammenhalt als Nation gibt. Der westliche Liberalismus aber, dessen Ideal die bloße individuelle Freiheit ist und der daher das menschliche Handeln auf die materielle Daseinsvorsorge beschränken will, zerstört die Gemeinschaft, indem er sie systematisch um ihre Tiefen-Dimension bringt.“[9]

Der auf der Grundlage des „natürlichen Volksbegriffes“ beschworene Integrationsmythos erfordert Abgrenzungen zu anderen Kulturen und Nationen. Im Gegensatz zu einem Rassismus, der von der Überlegenheit der „arischen Rasse“ ausgeht, argumentiert der „Ethnopluralismus“ allerdings differentialistisch: Rassisch definierte Kulturen werden hier nicht als Kollektive unterschiedlicher Qualität verstanden, sondern als gleichermaßen wichtig für die Entwicklung der gesamten Menschheit erachtet. Aus dieser – scheinbar egalitären – Annahme folgern zahlreiche Burschenschaften, dass sich Kulturen fremder Einflüsse und damit einhergehender Einebnungen von Differenzen erwehren müssen – jenseits eines universell geltenden Gleichheitsprinzips.

Die völkisch-nationale Identitätsdiskussion wird aus diesem Grunde mit klaren Absagen an ein offenes Europa, der Bundesrepublik als Einwanderungsland wie auch jeder Form multikultureller Gesellschaft verknüpft. Folgerichtig fanden Ausländer in die Deutsche Burschenschaft daher nur dann Aufnahme, wenn es sich bei ihnen um „Volksdeutsche“ handelte.

Nationalbewusstsein und Geschichtsrevisionismus

Um das auf der völkischen Blut- und Boden-Mythologie basierende Nationalbewusstsein zu stützen, kreieren die Burschenschaften ein Amalgam aus alt- und neurechten Versatzstücken, das von einem völkischen Politik- und Staatsverständnis über einen kulturalistisch begründetem Rassismus bis zu geschichtsrevanchistischen Forderungen reicht.

So versuchen Burschenschaften, das wissenschaftlich fundierte Geschichtsbild durch Vergleiche zu relativieren oder gar zu revidieren, wenn etwa in der bereits zitierten Festschrift der Wiener Olympen die Massenvernichtung in Auschwitz unter dem Postulat der Meinungsfreiheit in Frage gestellt wird. Es waren ebenfalls die Wiener, die den britischen Holocaust-Leugner David Irving einluden – die für den 11. November 2005 anberaumte Veranstaltung konnte allerdings nicht stattfinden, da Irving kurz zuvor verhaftet wurde.

Das Handbuch der Deutschen Burschenschaft sieht die Politik der Entnazifizierung nach 1945 darüber hinaus insgesamt als „Versuch der systematischen Zerstörung des deutschen Nationalbewusstseins und des nationalen Selbstbehauptungswillens durch eine langfristig angelegte und tiefgreifende Umerziehung, die in der Form von Selbstumerziehung und Vergangenheitsbewältigung betrieben wurde“; Umerziehung und einseitige Vergangenheitsbewältigung, stellten, so heißt es ganz im Jargon von NPD und „Nationalzeitung“, „eine Art psychologischer Kriegsführung dar, die in ihren Auswirkungen schlimmer sein kann als selbst die Teilung Deutschlands.“[10]

In diese Beispiele burschenschaftlicher Geschichtsinterpretation reiht sich der Beschluss des Burschentages aus dem Jahr 1997 ein, der sich gegen die „angebliche [sic!] Rehabilitierung von Deserteuren und Wehrkraftzersetzern“ richtete und stattdessen einen „Ehrensold für die noch lebenden Frontkämpfer“ forderte.[11] Die Deutsche Burschenschaft vertritt ebenfalls die Position, wonach „die deutschen Bewohner Österreichs und Südtirols als Teil des deutschen Volkes“ zu betrachten sind.[12] Dass weite Teile der Deutschen Burschenschaft auch nach der Wiedervereinigung bezüglich ihrer Gebietsansprüche nicht saturiert sind, machte 1990 die dem Dachverband Vorsitzende Burschenschaft in einem Interview deutlich: „Für uns existiert die deutsche Nation unabhängig von staatlichen Grenzen“. Daher behalte man wie bisher den Standpunkt bei, „dass auch die Ostgebiete, Österreich, Südtirol usw. [sic!] alles deutsche Länder sind.“[13]

Derartige Auffassungen sind im Verband keine Randerscheinung. Aus Anlass der 450-Jahrfeier der Kaliningrader Universität – dem großdeutschen Selbstverständnis folgend, sind auch vier Königsberger Burschenschaften, die sich in die Bundesrepublik „vertagt“ haben, Mitglied der DB[14] – wurde 1995 in einer Jubiläumsfestschrift verkündet, dass die Bundesrepublik staats- und völkerrechtlich mit dem deutschen Kaiserreich „identisch“ sei. Mithin gehöre auch Ostpreußen „nach wie vor zum territorialen Souveränitätsbestand des fortbestehenden Deutschen Reiches “ – woran weder die Gewaltsverzichtserklärung des Moskauer Vertrages noch der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ von 1990 etwas ändern könnten. Dass es sich beim „Hoch aufs Deutsche Reich“ nicht um das Treiben einer Verbandsminderheit handelt, zeigt die Teilnahme Walter Egelers, damals „Schriftleiter“ der „Burschenschaftlichen Blätter“, wie auch das Grußwort Heinz-Uwe Korells, dem Sprecher der Burschenschaften, in dem letzterer verkündete: „Die Geschichte kennt auch für uns Deutsche kein letztes Kapitel“. Die „Deutsche Burschenschaft“ habe zwischen Memel und Pregel „für die Zukunft ein Betätigungsfeld gefunden, das größer und herausfordernder kaum sein könnte.“[15]

Vorreiter am rechten Rand: Die Burschenschaftliche Gemeinschaft

Die zentrale Rolle bei der politisch-ideologischen Formierung des Gesamtverbandes übernehmen die 44 Mitgliedsbünde der Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG), von denen 41 Verbände Mitglied der DB sind.[16] Gegründet wurde dieses Kartell am 15. Juli 1961 auf dem Haus der Münchner Danubia, um den „volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff“ in den eigenen Reihen durchzusetzen. 1971 gelang es der BG, diesen als „verbindlich“ in den Grundsätzen der DB zu verankern. Seitdem können auch die österreichischen Bünder der Deutschen Burschenschaft beitreten und deren Geschicke beeinflussen.

Unmittelbar danach machte sich die BG daran, den Verband nach rechts zu rücken. BG-Verbindungen führten in den 70er und 80er Jahren zahlreiche Seminare und Veranstaltungen durch, auf denen rechtskonservative und rechtsextremistisch orientierte Referenten auftraten. Daneben verbreitete die BG die rechtsextreme Zeitschrift „Der Student“ und verlegte sogar eine eigene Schriftenreihe. Bei der Gründung des neofaschistischen Rings Freiheitlicher Studenten Ende der 70er Jahre waren BG-Burschenschaften ebenso entscheidend beteiligt wie bei der des Republikanischen Hochschulverbandes (RHV) zehn Jahre später.[17]

Die Führungsrolle der BG ist mittlerweile unumstritten. Spätestes seit Mitte der 90er Jahre haben vor allem die Österreicher, die sich seit jeher am rechten Rand positionieren, die Hegemonie im Verband übernommen: „Früher“, so zitierte 1997 „Der Spiegel“ einen ungenannt bleiben wollenden Burschenschafter, „hat man die Ösis nicht für vollgenommen. Heute stecken die die Deutschen glatt in den Sack.“[18]

Dass auch die jüngsten sogenannten Schriftleiter der „Burschenschaftlichen Blätter“, dem Verbandsorgan der DB, Exponenten des rechtsextremen Flügels waren, überrascht daher nicht. Herwig Nachtmann, Burschenschafter der Brixia Innsbruck[19], redigierte die Zeitschrift von 2005 bis 2008. Er galt als eine Führungsfigur der rechtsextremen – und später verbotenen – Nationaldemokratischen Partei Österreichs. Nachtmann war zudem aktiv im Südtirol-Terrorismus und wegen Verstoßes gegen das NS-Wiederbetätigungsgesetz gerichtskundig. Norbert Weidner, einst NRW-Landesgeschäftsführer der 1995 verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei, folgte Nachtmann. Das ehemalige Vorstandsmitglied der noch heute aktiven „Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ ist aktiv bei der eingangs erwähnten rechtsextremen Breslauer Burschenschaft der Raczeks.

Die wachsende Distanz zur Union

Der Rechtsschwenk der letzten Jahrzehnte ging einher mit einem Loslösungsprozess von den konservativen Parteien in der Bundesrepublik. Die wachsende Distanz insbesondere zu den Christdemokraten war spätestens Mitte der 80er Jahre auch für Außenstehende offensichtlich. In seiner allseits beachteten Rede vom Mai 1985 hatte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker den 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung“ gewürdigt und die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit im Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gesehen.[20] Auf ihrem Burschentag in Landau reagierte die DB nur drei Wochen darauf prompt: Sie sehe sich „außer Stande, den 8. Mai in Deutschland als Tag der Befreiung zu begehen. Der Tag der Kapitulation ist für die Deutsche Burschenschaft ein Tag der Besinnung, des Gedenkens und der Trauer.“[21] Auch in anderer Hinsicht zeigte dieser Burschentag die wachsende Distanz zur CDU: Weil die damalige Vorsitzende Burschenschaft Frankonia Gießen den offiziellen Tagungsunterlagen des Burschentages ein Exemplar der RCDS-nahen Zeitschrift „Civis“ beigelegt hatte, das kritische Äußerungen zur Burschenschaftlichen Gemeinschaft enthielt, wurde ein Untersuchungsverfahren gegen sie eingeleitet, in dessen Folge sie ihres Amtes enthoben wurde.

Auch die „Hohmann-Affäre“ belastet das Verhältnis zwischen den Burschenschaften und den Unionsparteien sehr. Die DB hatte sich hinter den CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann gestellt, nachdem dieser 2003 eine als antisemitisch kritisierte Rede zum Tag der Deutschen Einheit gehalten hatte. Der Verband verteidigte die Äußerungen des Politikers mit dem Verweis auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und sprach sich gegen einen Parteiausschluss aus. Der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel warf der Verband ein „feiges Zurückweichen vor linkem Meinungsdruck“ vor.[22]

Aufgrund des schärferen Tons ging die Union nun ihrerseits mehr und mehr auf Distanz zur Deutschen Burschenschaft. Bereits unter der Regierung Kohl fanden die Burschenschaften erstmals Erwähnung im Verfassungsschutzbericht. Aber auch innerverbandlich hatte der Rechtsschwenk Folgen: Liberale Bünde der sogenannten arministischen Strömung gerieten – im Zuge der wachsenden Dominanz der BG – immer stärker in die Defensive. Kurzfristige Zusammenschlüsse wie der Marburger Ring, der Darmstädter Arbeitskreis, der Hambacher Kreis oder auch die Stuttgarter Initiative vermochten sich nicht als organisatorisches oder gar programmatisches Gegengewicht zur BG zu etablieren. Als schließlich eine Verbandsreform am Widerstand der BG gescheitert war – unter anderem setzte sich die liberale Strömung für die Aufnahme von Zivildienstleistenden ein –, traten im Januar 1996 acht Burschenschaften mit 2200 Mitgliedern aus der DB aus und gründeten die Neue Deutsche Burschenschaft (NDB). Der Dachverband, dem heute 23 Bünder angehören, sieht sich in Konkurrenz zur DB. Carsten Zehm, damals zweiter Vorsitzender der NDB, erklärte kurz nach dem Austritt, man sei es leid, „weiterhin mit Rechtsradikalen in einem Boot zu sitzen“. Und die Marburger Burschenschaft Arminia bekannte öffentlich, dass sie wegen der „rechtsextremen Tendenzen in der Deutschen Burschenschaft“ ausgetreten sei und kritisierte damit erstmals die Aktivitäten des Gesamtverbandes.

Nach dem Austritt der liberal-konservativen Strömung zeigten sich rasch die neuen Machtverhältnisse auf den folgenden Burschentagen: Hardliner des Verbandes, wie die Burschenschaften Danubia München oder Olympia Wien, konnten mit großer Mehrheit nahezu alle ihre Kandidaten bei der Besetzung wichtiger Ausschüsse durchsetzen; inhaltliche Anträge wurden durchweg im Sinne dieser Strömung entschieden. Ihre Protagonisten würdigten den Austritt der liberal-konservativen Strömung denn auch positiv: Nachdem der „liberalextremistische“ Flügel die DB verlassen habe, könne künftig die „nationale Fraktion“ die Verbandspolitik der DB bestimmen. Mit der Wiener Burschenschaft Olympia habe die „von liberalen Geschwülsten weitestgehend gesundgeschrumpfte DB (…) eine würdige Vorsitzende für das laufende Geschäftsjahr bekommen.“[23]

Gegenwart und Zukunft

Dass die Burschenschaftliche Gemeinschaft seitdem den Verband dominiert, zeigt sich im Zugriff auf das Amt der Vorsitzenden Burschenschaft: Ihre Mitgliedsbünde stellten in den vergangenen 15 Jahren gleich mehrfach den Vorsitz. Auch der eingangs beschriebene Eklat des diesjährigen Burschentages verdeutlicht diese Hegemonie. Zwar bemühte sich der Pressesprecher der Deutschen Burschenschaft, Michael Schmidt, um Schadensbegrenzung, als er umgehend versicherte, das von einem neuen „Rechtsruck“ des Dachverbandes keine Rede sein könne. Er dürfte allerdings mit diesen Äußerungen nur unfreiwillig Recht haben: Denn völkisch-nationalistische Positionen bilden schon seit langem die Grundlage der offiziellen Verbandsposition.

Mehr noch: Diese Radikalisierung führt die Deutsche Burschenschaft zunehmend ins rechtsextreme Lager. Ein nennenswerter Widerstand konservativer Verbindungen ist im Verband nicht mehr erkennbar. Gleichzeitig isolieren sich die Burschenschaften immer mehr auf ihrem harten Kurs nach rechts. Diese Entwicklung erschwert die Anschlussfähigkeit an andere Korporationsverbände, die überwiegende Mehrheit der nichtorganisierten Studierenden sowie – nicht zuletzt – an die bundesrepublikanischen Eliten.

Während die katholischen Korporationsverbände gegenwärtig um eine vorsichtige Modernisierung ihrer anachronistisch gewordenen Traditionsbestände bemüht sind – nicht zuletzt, um ihrem elitären Selbstanspruch gerecht zu werden und den seit den 70er Jahren massiven Bedeutungsverlust zu verringern – geht die Deutsche Burschenschaft offenkundig andere Wege: Sie versucht, den gesellschaftlichen Verlierern der Emanzipations-, Modernisierungs- und Globalisierungsprozesse eine geistige Heimat zu bieten, indem sie Gemeinschaftsideale beschwört und auf die Formenwelt martialischer Männlichkeit setzt.

Insgesamt dürfte es den Studentenverbindungen im 21. Jahrhundert schwerfallen, an die Zeiten „alter Burschenherrlichkeit“ – die, in der Selbstwahrnehmung, vom Kaiserreich bis in die Ära Adenauer reichten – anzuknüpfen. Denn die mit dem Untertanengeist der korporierten Blütezeit eng verwobenen Ideale sind augenscheinlich weder mit den gesellschaftlich-kulturellen Öffnungen seit 1968, noch mit modernen Unternehmens- bzw. Managementstrategien und globalen Orientierungen kompatibel. Im Gegenteil: Gerade in Zeiten, in denen sogar die bundesdeutsche Präsidentengattin stolz ihre Tattoos präsentiert, dürften Mensuren und Schmisse biertrunkener Korporierter inzwischen selbst in konservativen Kreisen als gestrige Ehrensymbole gelten.

 

[1]    Die nachfolgenden Zitate der Anträge nach: Deutsche Burschenschaft, Tagungsunterlagen des Burschentages 2011, erstellt und vorgelegt von der Münchner Burschenschaft Arminia-Rhenania, München 2011, S. 52, Antrag 10.7 und 10.8. 

[2]    Gutachten des Rechtsausschuss der Deutschen Burschenschaft vom 21.11.2010, abgedruckt in „Nachrichtenblatt 311“ der Vorsitzenden Burschenschaft vom 7.2.2011.

[3]    Vgl. Florian Diekmann, Burschenschafter streiten über „Ariernachweis“, „Spiegel Online“, 15.6.2011.

[4]    Rechtsgutachten 1/2011 vom 15.6.2011 des Rechtsausschusses der Deutschen Burschenschaft.

[5]    Zu bekannteren Altherren am rechten Rand zählen etwa Uwe Sauermann, Andre Goertz, Michael Vogt, Rolf Schlierer, Hans-Ulrich Kopp und Stefan Rochow. Auch der verstorbene Jörg Haider war Mitglied einer Burschenschaft.

[6]    Herbert Marcuse, Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie, Darmstadt und Neuwied 1972, S. 162  f.

[7]    Handbuch der Deutschen Burschenschaft, hg. vom Hauptausschuss der Deutschen Burschenschaft im Geschäftsjahr 1981/82, Bad Nauheim 1982, Abschnitt 8.3.1.001/2.

[8]    Zum Politik- und Staatsbegriff der Deutschen Burschenschaft vgl. auch Frank Deppe, Nationaler Mythos und starker Staat. Zum Politik- und Demokratieverständnis der Korporationen, in: Ludwig Elm, Dietrich Heither und Gerhard Schäfer (Hg.), Füxe, Burschen, Alte Herren. Studentische Korporationen vom Wartburgfest bis heute, Köln 1992, S. 331 ff. Vgl. auch Dietrich Heither u.a., Blut und Paukboden. Eine Geschichte der Burschenschaften, Frankfurt a.M. 1997.

[9]    Wiener akademische Burschenschaft Olympia (Hg.), Wahr und treu, kühn und frei. 130 Jahre Burschenschaft Olympia, Wien 1989, S. 56 f.

[10] Handbuch der Deutschen Burschenschaft, a.a.O., Abschnitt 8.3.1.003

[11] Vgl. Die Verhandlungen des Burschen- und Altherrentages am 22. und 23.5.1997 in Jena, zit. nach „Burschenschaftliche Blätter“, 3 (1997), S. 132-137, hier S. 134.

[12] Zitiert nach 1815-1965. 150 Jahre Burschenschaft. Ein Festbericht (Sonderheft der „Burschenschaftlichen Blätter“), Bad Nauheim 1966, o. S. Auf dem Burschentag in Landau 1955 hatte es bereits geheißen: „Den Deutschen Österreichs fühlen wir uns als Söhne desselben Volks brüderlich verbunden“, vgl. www.rheinfranken.de/archiv/textedokumente/Grundsatzzitate.htm.

[13] Interview mit der Wiener Burschenschaft Olympia, in: „Junge Freiheit“ (JF), 4/1990, S. 8.

[14] Vgl. Handbuch der Deutschen Burschenschaft, a.a.O., Abschnitt 1.3.048.

[15] Zitate und Hinweise nach „Der Stern“, 8.9.1994, S. 164 f.

[16] Vgl. auch Dietrich Heither, Verbündete Männer. Die Deutsche Burschenschaft – Weltanschauung, Politik und Brauchtum, Köln 2000, S. 323 ff.

[17] Mehrere Autoren der Rechtspostille „Junge Freiheit“ sind Mitglieder von Burschenschaften. Burschenschaften und JF greifen sich dabei gegenseitig unter die Arme: So waren Studentenverbindungen am Aufbau des universitären Verteilungssystems der Zeitung beteiligt. Burschenschaften inserieren zudem regelmäßig in der Zeitung und stellen Leserkreisen der JF ihre Häuser zur Verfügung. Im Gegenzug wirbt die JF in den „Burschenschaftlichen Blättern“, die die DB herausgibt.

[18] Zitiert nach „Der Spiegel“, 24/1997, S. 55.

[19] Die Burschenschaft Brixia Innsbruck wurde vom österreichischen Innenministerium als „Kaderschmiede nationaler und rechtsextremer Gesinnung“ eingestuft. Vgl. Bundesministerium für Inneres, Gruppe C, Abteilung II/7: Rechtsextremismus in Österreich. Jahreslagebericht 1994, Wien 1995, S. 11.

[20] Vgl. Richard von Weizsäcker, Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Ansprache am 8. Mai 1985 in der Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages, Bonn 1985, S. 2.

[22] Presse-Information der Deutschen Burschenschaft, Offener Brief der Deutschen Burschenschaft an die Delegierten des CDU-Bundesparteitages in Leipzig zur Hohmann-Affäre, verfasst von Karsten Rausch, Pressereferent der Deutschen Burschenschaft, 1.12.2003.

[23] Jürgen Schwab, Quo vadis Burschenschaften? In: „Staatsbriefe“, 9-10/1996, S. 18-21.

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