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geborgenheitVon klein auf bis ins Greisenalter sehnt sich ein Mensch nach Sicherheit und Geborgenheit. Wir möchten erfolgreiche Entscheidungen treffen, den richtigen Menschen vertrauen und hätten gerne Eltern/Mentoren/Gott, die uns zeigen, welchen Weg wir gehen sollen. Schon allein, um wieder das Gefühl der Verlässlichkeit und Behütetheit zu verspüren, wie es viele von uns bei Mama und Papa erleben durften. Um keine Fehler zu begehen.

Vom Philosophen Ludwig Wittgenstein erzählt man sich eine interessante Geschichte. In einem seiner Werke erklärt er, das Gefühl "absolut geborgen zu sein" sei ihm wohl vertraut. Er führt aus:

"Ich meine damit den Seelenzustand,
in dem man sagen möchte:
"Ich bin in Sicherheit, und was auch immer geschehen mag,

kann mir nichts anhaben."

Er habe jenes mystische Erlebnis während des Stückes "Die Kreuzelschreiber" gehabt. Daraus folgt hier ein sprachlich angepasster Monolog des Steinklopferhanns, der sein Erlebnis geheimnisvoller Geborgenheitserfahrung in einem engagierten Monolog schildert.

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Auszug aus Ludwig Anzengruber

Die Kreuzelschreiber

STEINKLOPFERHANNS: .... Mit dem Traurigsein müsst ihr mir nicht mehr kommen! Die Welt is a lustige Welt! Geheimnisvoll. Ich weiß’s, daß’s a lustige Welt is! Freilich, ihr wißts 's nit; euch is noch ausm großen Buch vorgelesen wordn, da hab ich schon mei eigentümliche Offenbarung gehabt!

ANTON. Eine Offenbarung?!

STEINKLOPFERHANNS nickt. Seither hat mich a niemand mehr traurig gsehn, und weil sich’s grad schickt, mag ich dir’s wohl erzählen, wie dös gewesen is – nur trag’s net weiter im Ort rum, sonst meinen s', ich wöllt einen neuen Glauben aufbringen, und da könnt mich leicht der Landjager wegen Gewerbstörung aufs Gericht holn!

ANTON legt die Hand aufs Knie des Steinklopfers. Verzähl’s nur!

STEINKLOPFERHANNS.
Die jung Leut kennen freilich nur den lustigen Steinklopferhanns, aber es war schon a ander Zeit vorher; wie ich noch der arm Hannsl war, den a Kuhdirn auf die Welt gebracht hat und zu dem sich kein Vater hat finden wolln. – Jetzt vertragt sich’s ganze Dorf recht schön mit mir, ich kann nit klagn, aber damals, wie mein Mutter Kuhdirn, bald nach meiner Geburt, verstorben is und wie die Gemeind für mich hat Kostgeld zahln müssen, kannst dir schon denken, wieviel Lieb ich da wohl genossen hab!

Jeder hat mir den Groschen, den er für mich beigesteuert hat, spüren lassen. Dies sündig Volk hat nit dran denkt, daß dös für ihre Hallodereien, die im Geheimen bleiben, eh a leicht Abfindung is, wenn s' allezusamm so eins erhalten, dös halt auch unvorgsehn in d' Welt hineingrumpelt is! In der Schul und in der Kirch mußt ich zuruckstehn, und wie ich auf einmal eine Anstellung bei einem reich Bauerssohn hab gfunden ... dürfen, war ich ordentlich froh.

Lang hat’s aber nit dauert, so hon ich vom Militär wieder wegmüssen, weil mich bei ein Manöver a Roß geschlagen hat. – Auf einmal war ich halt wieder da im Dorf – dös mag jetzt wohl vierzig Jahr her sin – da habn s' mich da herauf in Steinbruch gesetzt und zum Bettler »Steinklopfer« gesagt;

Steinbruch

wie ein Einsiedler haben s' mich da sitzen lassen, zwischen Wurzeln und Kräuter und Wasser, ohne Ansprach, und wie mich bald drauf a Krankheit hingeworfen hat, hat mir aber kein Seel die geringste Handreichung getan – nö, ich hab mir später denkt, grad wie zur Zeit, wo mich 's Roß gschlagen hat: Das Vieh versteht’s nit, wie’s einm weh tut!

Damal aber war ich zuerst ärgerlich und hab mir denkt: Meinen s', du bist a Hund – kurierst dich auch wie a Hund – frißt nix und saufst Wasser und brauchst sonst nix!

Nachher aber, wie ich dabei immer matter und matter gewordn bin, und es laßt sich Tag um Tag niemand, aber niemand, kein menschlich Gesicht sehn, da is mir zutiefst in die Seel hinein weh gewordn!

Und wie ich so recht schwach und elendig mal da drin lieg – Mittag war’s grad, und die Sonn hat so freundlich gschienen wie nie – da denk ich mir: Hinaus mußt – hinaus! –

Sollst versterben, stirbst wenigstens drauß; die grün Wiesn breit dir a weiche Tuch unter, und d' Sonn druckt dir die Augen zu, du schlafst ein und wirst nimmer munter, der Tod is nur a Bremsler, was kann dir gschehn?!

Mühselig hon ich mich fortgschleppt aus der Hütt (steht auf und zeigt hinab nach links) – bis dort hinunter – siehst, wo der Wald anhebt –, dort, wo die zwei großen Tannbäum stehn, zwischen denen bin ich ins Gras gefalln, und dort hab ich die Eingebung gehabt.

(Kleine Pause)

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So still war’s dort und so warm in der Sonn zu liegn – vorn die grün Wiesen, die blauen Berg – und das Tal, wie in ein weißen Brautschleier, unten, und über allem der helle, lichte Himmel. Da is a tiefer Friede über mich kommen, und es is mir durch die Seel gezogn: das siehst wenigstens noch amal!

Und dann, dann bin ich wie tot gelegn, ich weiß nit, wie lang!

(Von da ab erzählt er mit steigender Erregung)

Und wie ich wieder munter werd, is die Sonn schon zum Untergehn – paar Stern sein daghängt, nah, wie zum Greifen – tief im Tal hat’s aus die Schornstein geraucht, und die Schmieden unt am Waldrand hat hraufgleucht wie a Feuerwurm – vor mir auf der Wiesen habn die Käfer und die Heupferd sich plagt und a Geschrill gemacht, daß ich schier hätt drüber lachen mögen – über mir im Gezweig sein die Vögel gflattert, und über alls hin is a schöne, linde Luft zogn. – Ich betracht dös – und ruck – und kann ohne Beschwerde auf amal aufstehn, und wie ich mich noch so streck und in die Welt hineinschau, wie sie sich rührt und laut und lebendig is um und um und wie die Sonn und die Stern herunter- und heraufkämmen

... da wird mir auf einmal so verwogen, als wär ich von freien Stücken entstanden, und inwendig so wohl, als wär 's hell Sonnenlicht von vorhin in mein Körper verblieben ...

und da kommt’s über mich, wie wann eins zu einem andern redet:

Es kann dir nix geschehen!

Selbst die größt Marter zählt nimmer, wanns' vorbei is! Ob d' jetzt gleich sechs Schuh tief da unterm Rasen liegest oder ob d' das vor dir noch viel tausendmal siehst – es kann dir nix gschehn! – Du ghörst zu dem allem, und dös alles gehört zu dir! Es kann dir nix geschehn!

Und dös war so lustig, daß ich’s all andern rundherum zugejauchzt hab: Es kann dir nix gschehn! – Jujuju!

Da war ich’s erstmal lustig und bin’s a seither blieben und möcht, 's sollt a kein andrer traurig sein und mir mein lustig Welt verderbn! – No, lustig, lustig, Gelbhofbauer – es kann der nix gschehn!

Sprachlich zum besseren Verständnis von Peter Bödeker angepasst

Die Moral der Geschichte

Die Moral von der Geschichte mag lauten: Wer die Sorge um sich selbst verloren hat, der empfindet volle Geborgenheit. Oder wie Gerd Achenbach diesen Monolog im Hinblick auf Vertrauen auf seine Mitmenschen deutet: Wer um sich selbst zittert, zittert vor anderen.

Müssen wir soweit gehen? Muss gleich das ganze Leben unwichtig werden, um sich wieder sicher wie zu Kinderzeiten zu fühlen?

Nicht in dieser Absolutheit. Die Erkenntnis, dass letztlich die Angst um mich selbst zum Gefühl der Unsicherheit führt, öffnet Lösungsansätze, die für jeden unterschiedlich aussehen. Hier kann anhand der Geschichte vom Steinklopferhanns individuell weiter gedacht werden.

Geschrieben von

Peter Bödeker
Peter Bödeker

Peter hat Volkswirtschaftslehre studiert und arbeitet seit seinem Berufseinstieg im Bereich Internet und Publizistik. Nach seiner Tätigkeit im Agenturbereich und im Finanzsektor ist er seit 2002 selbständig als Autor und Betreiber von Internetseiten. Als Vater von drei Kindern treibt er in seiner Freizeit gerne Sport, meditiert und geht seiner Leidenschaft für spannende Bücher und ebensolche Filme nach.

https://www.blueprints.de

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