Knigge-Expertin «Besser ein Kompliment zu viel machen als eines zu wenig»

Von Gil Bieler

1.3.2020

Schweizer würden oft davor zurückscheuen, ein Kompliment auszusprechen – oder eines anzunehmen, bedauert die Expertin. (Symbolbild)
Schweizer würden oft davor zurückscheuen, ein Kompliment auszusprechen – oder eines anzunehmen, bedauert die Expertin. (Symbolbild)
Bild: Getty Images

Was macht ein gelungenes Kompliment aus? Und wann sollte man besser einfach schweigen? Zum heutigen «Welttag des Kompliments» haben wir bei einer Knigge-Trainerin nachgefragt.

Frau Künzle, wird die Kunst des Komplimentierens in der Schweiz noch genügend gepflegt?

Leider nein. Oft scheuen wir uns davor, dem Gegenüber ein Kompliment auszusprechen. Dabei sind Komplimente wie kleine Lichtblicke. Sie machen den Alltag heller und freundlicher. Sie stärken das Selbstbewusstsein und beseitigen kleine Unsicherheiten, die fast jeden Menschen hin und wieder beschleichen. Allerdings können wir auch oft ein erhaltenes Kompliment nicht richtig entgegennehmen.

Wie meinen Sie das?

Das kennen wir doch alle. Wenn jemand zum Beispiel sagt «Das ist aber ein schöner Pulli», dann reagieren wir oft, indem wir das Kompliment gleich relativieren. «Der ist doch uralt» oder «den habe ich ganz günstig gekauft» – mit solchen Aussagen setzen wir das Kompliment herab und machen dem Absender keinen Gefallen. 

Ist das denn unhöflich?

Etwas unhöflich, ja. Als wüsste das Gegenüber nicht, was ihm gefällt. Besser wäre es, dass Kompliment einfach anzunehmen. Auch das zwanghafte Erwidern im Sinne von «Dein Pulli ist aber auch ganz toll» muss nicht sein. Vor allem, wenn es gar nicht stimmt. Dann lieber nichts sagen.

Zur Person
zVg

Katrin Künzle ist Geschäftsführerin der Künzle-Organisation in Oetwil an der Limmat und lizenzierte Knigge-Trainerin.

Wann machen Sie persönlich jemandem im Alltag ein Kompliment?

Ich mache Komplimente spontan. Gestern war ich zu einem Essen eingeladen und habe der Gastgeberin ein Kompliment für das tolle Menü gemacht.

Was zeichnet ein gelungenes Kompliment aus?

Mit einem Kompliment drücke ich aus, was mir gefällt. Man sollte deshalb auch die «Ich»-Botschaft verwenden – und nicht «man». Machen Sie nie ein Kompliment, hinter dem Sie nicht stehen. Sonst wird man schnell als Schleimer entlarvt. Unehrliche Komplimente sind wertlos. Und: Konkret begründete Komplimente sind für die Empfänger auch leichter anzunehmen. Je enger die Freundschaft ist, desto intimer darf ein Kompliment sein.

Hat sich die Art, Komplimente zu machen, durch die #MeToo-Bewegung verändert?

Mit dem Kompliment «Sie haben wirklich einen tollen Busen» hat man noch nie gepunktet. Solch ein «Kompliment» erzeugt in den meisten Fällen nur Ärger und Ablehnung. Aber mit der #MeToo-Bewegung könnte dieses «Kompliment» auch weitere Konsequenzen haben.

Es muss ja nicht gleich so plump sein – darf Mann zum Beispiel einer Arbeitskollegin Komplimente für Äusserlichkeiten machen?

Da ist Fingerspitzengefühl gefragt. Das Kompliment muss zur Situation passen und im richtigen Umfeld erfolgen. Im Geschäftsleben würde eine Bemerkung wie «Sie sind zauberhaft» nicht gut ankommen. Eine Frau fühlt sich in der Rolle der «Zauberhaften» sicher nicht wohl, wenn es um berufliche Belange geht und sie wegen ihrer Fachkompetenz geschätzt werden will. Im Geschäftsleben ist allzu Persönliches meist unpassend.

Sind Männer aus Vorsicht zurückhaltender geworden?

Bei Grossbanken ist es zum Beispiel explizit nicht erwünscht, dass man sich unter Kollegen solche Komplimente macht, weil das schnell nach hinten losgehen kann. Bei der Arbeit treffen ganz unterschiedliche Menschen aufeinander, von denen manche sensibler reagieren als andere. Darum gilt im Geschäftsleben: Lieber auf der fachlichen Ebene bleiben. Weil #MeToo hin oder her, wir alle sind heute sensibilisierter für das Thema.



Wann geht ein Kompliment in die Hose? 

Sarkasmus oder Zweideutigkeiten zum Beispiel haben in einem Kompliment nichts zu suchen. Dies wirkt verletzend. Beispiele wie «Sie tragen eine schöne Bluse, sie schmeichelt Ihren breiten Hüften» oder «für eine Frau kannst Du erstaunlich gut einparken» verfehlen ihren Zweck.

Braucht es zwingend auch Charme, damit ein Kompliment gut ankommt?

Mit oder ohne Charme: Besser ein Kompliment zu viel als eines zu wenig. Sagen Sie spontan, was Ihnen an der anderen Person gefällt. Ein gelungenes Kompliment ist ein Zeichen guter Gesinnung und hilft dabei, Freundschaften zu erhalten und neue Beziehungen aufzubauen. Ehrlich gemeinte Komplimente vermitteln Glücksmomente und sind Balsam für die Seele.

Zum Thema Kompliment fiel Frau Künzle auch diese Trouvaille noch ein: Der bekannte Schriftsteller Mark Twain führte einst eine Dame zu Tisch und machte ihr dabei folgendes Kompliment: «Sie sehen heute wunderbar aus, gnädige Frau!» Die Dame allerdings reagierte darauf zickig und erwiderte: «Schade, dass ich Ihnen dieses Kompliment nicht zurückgeben kann!» Mark Twain antwortetet seelenruhig: «Machen Sie es doch wie ich: Lügen Sie!»

Die besten Unterwasserfotos 2020

Zurück zur Startseite