Nur im Erfolgsfall geliebt Immer sind die Migranten schuld – ein leidiges Thema

pat

23.7.2018

Paul Pogba, Romelu Lukaku und Mesut Özil: Sie alle sind, wie viele Doppelbürger, im eigenen Land umstritten.
Paul Pogba, Romelu Lukaku und Mesut Özil: Sie alle sind, wie viele Doppelbürger, im eigenen Land umstritten.
Bild: Getty Images

Kaum eine Nationalmannschaft kommt heutzutage ohne Doppelbürger aus. Alle WM-Halbfinalisten hatten mindestens einen im Kader, insgesamt waren es 34 Spieler (von total 92) mit Migrationshintergrund. Bei Weltmeister Frankreich waren es 15 von 23! Bei einem nicht zu vernachlässigen Teil der Bevölkerung fühlen sich Migranten nur dann beliebt (oder geduldet), solange ihre Mannschaft erfolgreich ist. Es gibt unzählige Beispiele.

Mesut Özil hat am Sonntagabend auf Twitter seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft bekanntgegeben. Er musste in den letzten Wochen viel Kritik einstecken, nun teilt er selber aus. Er erhebt Rassismus-Vorwürfe gegen den Deutschen Fussball-Bund (DFB), Medien und Sponsoren. Unter anderem schreibt Özil: «Mit schwerem Herzen und nach reichlicher Überlegung werde ich der jüngsten Ereignisse wegen nicht mehr für Deutschland auf internationaler Ebene spielen, solange ich dieses Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit spüre.»

Lukaku: «Wenn ich die Leistung nicht bringe, dann bin ich der belgische Stürmer kongelesischer Abstammung»

Romelu Lukaku, der belgische Rekordtorjäger, gab vor der WM ein Interview und gewährte einen tiefen Einblick in sein Seelenleben. Er erzählt von seiner Kindheit in Armut und wie er es nach ganz oben geschafft hat. Aber Lukaku klagt auch, dass er in Belgien nicht besonders beliebt sei: «Ich weiss nicht, warum mich manche Landsleute scheitern sehen wollen. Ich weiss es wirklich nicht.» Und weiter: «Wenn ich gut spiele, dann bin ich für viele Lukaku, der belgische Stürmer. Wenn ich die Leistung nicht bringe, dann bin ich der belgische Stürmer kongelesischer Abstammung.»

++ Romelu Lukaku: Keiner verdient mehr Respekt! ++

4 Tore und Platz 3 an der WM: In solchen Momenten wird Lukaku in Belgien geliebt.
4 Tore und Platz 3 an der WM: In solchen Momenten wird Lukaku in Belgien geliebt.
Bild: Getty Images

Durmaz erhielt Morddrohungen – das Team reagierte cool

Der Schwede Jimmy Durmaz foulte im WM-Spiel gegen Deutschland kurz vor Schluss Timo Werner. Toni Kroos hämmerte den Freistoss in die Maschen, Schweden ging als Verlierer vom Platz. Anschliessend wurde der Mittelfeldspieler mit türkischen Wurzeln in den sozialen Medien übel beschimpft, es gab sogar Morddrohungen. Durmaz sagte: «Das ist nichts, was mich interessiert. Ich stehe stolz hier und repräsentiere mein Land.» Stürmer John Guidetti meinte nach dem Spiel: «Er rennt und kämpft das ganze Spiel. Es ist total idiotisch, ihn dafür zu hassen.» Und am nächsten Tag veröffentlichte die schwedische Nationalmannschaft ein Video, stellte sich geschlossen hinter Durmaz und verurteilte rassistische Kommentare aufs schärfste. Die unmissverständliche Botschaft: «Fuck Racism»!

Rassismus in Frankreich: Benzema löste eine Debatte aus

Auch der Franzose Karim Benzema – er hat algerische Wurzeln – hat vor der EM 2016 eine Rassismus-Debatte ausgelöst. Nach seiner Ausbootung aus der Nationalmannschaft sagte der Real-Star damals: «Er (Trainer Deschamps) hat sich dem Druck eines rassistischen Teils von Frankreich gebeugt.» Diese Aussage darf allerdings angezweifelt werden. Viel eher hat Deschamps auf Benzema verzichtet, weil dieser in einen Sex-Skandal (der Stürmer hat immer seine Unschuld beteuert) verwickelt war. Die Rassismus-Debatte hat das Land aber gespalten. Der einstige Bildungsminister Benoit Hamon (Sozialistische Partei) sprang Benzema dagegen ein Stück weit bei, verteidigte aber gleichzeitig den Trainer: «Deschamps ist sicher kein Rassist. Aber Benzema liegt richtig, wenn er sagt, dass wir in einem Land leben, in dem der Rassismus zunimmt.»

Weltmeister Paul Pogba wurde wenige Tage vor der WM von den eigenen Fans ausgepfiffen

Im letzten Testspiel vor der WM wurde Paul Pogba in der 87. Minute beim Stand von 3:1 gegen Italien ausgewechselt – und von einem Teil der eigenen Fans ausgepfiffen. Laut einer Umfrage des Fussballmagazins «France Football» wünschten sich satte 73 Prozent der Fans, dass Pogba in Russland auf der Bank sitzt. Einerseits hatte das sportliche Gründe, aber auch in seinem Fall waren speziell in den sozialen Medien rassistische Hasskommentare zu lesen. Gut vier Wochen später ist Paul Pogba Weltmeister – und wird im ganzen Land gefeiert. Die Mannschaft ist gespickt mit Spielern, die ihre Wurzeln in einem anderen Land haben. Jetzt, im Erfolgsfall, werden sie gefeiert und sie stehen als Symbol für die gelungene Integration. Hätte sich Frankreich nach der Gruppenphase verabschiedet, so hätte garantiert ein ganz anderer Wind geweht.

Paul Pogba feiert den WM-Triumph mit seiner Mama und seinen Brüdern.
Paul Pogba feiert den WM-Triumph mit seiner Mama und seinen Brüdern.
Bild: Getty IMages

Auch in der Schweiz ist das Thema ein Dauerbrenner

Hierzulande gibt es diese Diskussionen auch immer wieder. Spielt die Schweiz gut, dann ist alles gut. Doch sobald etwas schief läuft, dreht die Stimmung blitzartig. Einen neuen Tiefpunkt erreichte die ganze Debatte um Doppelbürger, als SFV-Generalsekretär Alex Miescher nach dem Achtelfinal-Aus gegen Schweden im Gespräch mit dem «Tages-Anzeiger» und der «NZZ» die Frage in den Raum warf: «Wollen wir Doppelbürger?»

Ein paar Tage später entschuldigte sich der SFV für eine Doppelbürger-Debatte, die er selber ausgelöst hatte. «Da sind Fehler passiert und wurde eine Aussenwirkung erzielt, die nie beabsichtigt war», so Peter Gilliéron.

Die Diskussionen rund um das Thema arten meistens aus

Wenn man ganz genau hinschaut, dann unterscheiden sich die Fälle alle ein bisschen. Doch etwas ist überall gleich: Die Diskussionen rund um das Thema, besonders in den sozialen Meiden, laufen fast immer komplett aus dem Ruder. Die Migranten-Gegner posten rassistisch angehauchte Kommentare, manchmal weit unter der Gürtellinie. Das provoziert die Gegenseite dermassen, dass sie genau so niveaulos zurückschiesst. Sachlich wird über das Thema so gut wie nie diskutiert, es ist immer ein emotionsgeladenes Pulverfass. Dabei wäre eine sachliche Debatte so wichtig, denn sonst wird es die gleichen Diskussionen auch noch in 100 Jahren geben.

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