IT-Dienstleister

„Der Zug ist aufgegleist und beginnt zu rollen“

Der genossenschaftliche IT-Dienstleister Fiducia & GAD drückt bei der Neuausrichtung auf die Tube. Als Nächstes stehen unter anderem eine Umbenennung sowie ein Ausbau der Cloud-Nutzung an.

„Der Zug ist aufgegleist und beginnt zu rollen“

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Unter der Ägide von Vorstandssprecher Martin Beyer erlebt der genossenschaftliche IT-Dienstleister Fiducia & GAD einen rasanten Wandel. Zuletzt hat die Gesellschaft ihren Betrieb anhand agiler Arbeitsformen neu strukturiert, ein neues Portal für das Firmenkundengeschäft in Be­trieb genommen, ein neues Preismodell eingeführt, in dessen Zuge der Dienstleister die 2014 bei der Fusion von Fiducia und GAD in Aussicht gestellten Kosteneinsparungen von jährlich 125 Mill. Euro an die Primärinstitute weitergeben will. Zudem hat sie eine neue Meldewesen-Plattform kreiert, mit deren Hilfe 50 Pilotbanken bereits ihren juristischen Jahresabschluss 2020 erstellt haben.

Geht es nach Beyer, setzen sich die Veränderungen in ähnlichem Tempo fort: Dem neuen Firmenkundenportal soll bis Jahresende ein neues Portal für das Massengeschäft folgen, auch ist eine neue Online-Banking-App geplant. Im zweiten Halbjahr will sich die Gesellschaft zudem auf die Suche nach einem Technologiepartner machen, der ihr eine sichere Umgebung für gemeinsame Entwicklungen mit Fintechs und Start-ups bereitstellen kann. Zuvor sollen die Eigentümer auf der Hauptversammlung am 30. Juni noch einer Umbenennung von Fiducia & GAD in „Atruvia“ ihren Segen geben, was dokumentieren soll, dass beide Unternehmen eins geworden sind. „Der Zug ist aufgegleist und beginnt zu rollen. Er muss jetzt sukzessive Fahrt aufnehmen“, sagt Beyer und deutet damit an, dass sich der Wandel für seinen Geschmack ruhig noch ein bisschen rascher vollziehen dürfte.

Peinliche Sonderprüfung

Der IT-Dienstleister arbeitet sich damit im Eiltempo aus einer Bedrängnis heraus, in welche ihn der digitale Wandel gebracht hatte – und eine peinliche Sonderprüfung. Nach deren Abschluss hatte die Finanzaufsicht BaFin Ende 2018 einen Bericht mit insgesamt 15 Feststellungen präsentiert, davon drei schwerwiegender Natur in der Kategorie F4 – eine solche hatte es zuvor noch nie ge­geben. Neben den Auslagerungs- und Weiterverlagerungsverhältnissen hatte die BaFin das Berechtigungsmanagement durch Fiducia & GAD kritisiert. Im Frühjahr erklärte der langjährige Vorstandsvorsitzende Klaus-Peter Bruns, er wolle seinen zum Jahres­ende auslaufenden Vertrag nicht verlängern.

Kräftiger Personalaufbau

Die Reparaturen am System liegen Beyer zufolge im Plan; letzte Verbesserungen am Berechtigungsmanagement will das Haus in diesem Jahr abschließen. Seinen Angaben zufolge hat die Gesellschaft in den vergangenen zwei Jahren 130 Stellen, das entspricht knapp 3% der momentanen Belegschaft von 3600 Leuten, allein zu dem Zweck geschaffen, die von der BaFin monierten Mängel zu beheben und zugleich mit den allgemeinen Anhebungen der aufsichtlichen Anforderungen Schritt zu halten. Parallel hat das Haus 15 Mill. bis 20 Mill. Euro in die Überwachung von Rechenzentren, in Prozesse und in den Apparat investiert, um Ausfälle und Störungen im Kernbankverfahren, die Kunden 2018 verärgert hatten, abzustellen.

Entsprechend zufrieden zeigt sich Beyer damit, dass Fiducia & GAD nun Stabilität beweist und störungsfrei läuft, nachdem die Gesellschaft 2020 angesichts der Pandemie die Nutzung digitaler Kanäle unversehens hatte hochfahren müssen. Er verhehlt nicht, dass zunächst die Sorge­ kursiert hatte, Probleme in der Stabilität solcher relevanter IT-Dienst­leister wie Fiducia & GAD könnten für Unruhe in der Bevölkerung sorgen.

Ihre Aufwendungen muss Fiducia & GAD mit einem Ende 2019 aufgelegten Einsparprogramm vereinbaren, das für die kommenden Jahre Kostensenkungen gegenüber 2019 von gut 10% oder 150 Mill. Euro vorsieht. Spielraum eröffnet zugleich die Summe von insgesamt rund 500 Mill. Euro, welche der genossenschaftliche Spitzenverband Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) laut einem 2018 gefassten Beschluss über Jahre hinweg in die Digitalisierung steckt. Dennoch hinterlässt der Umbau Spuren. In den vergangenen Jahren sank der Gewinn, 2019 schrieb Fiducia & GAD einen Nettoverlust von 5 Mill. Euro (siehe Grafik) bei einem Betriebsergebnis von 16,5 Mill. Euro. Für 2020 stellt die Gesellschaft eine Verbesserung in Aussicht und teilt mit: „Unser Jahresergebnis 2020 liegt deutlich über Plan und den Ergebnissen der Vorjahre.“ Der Umsatz sei trotz der Preissenkung zum 1. Oktober moderat gestiegen, heißt es. Gleichzeitig habe man im Zuge eines Effizienzprogramms und pandemieinduzierter Einmaleffekte zum Beispiel bei den Fahrt-, Reise- und Energiekosten entlastende Effekte ausweisen können: „Im Saldo können wir unser jährliches Dividendenversprechen einlösen“, heißt es.

Die Hierarchie verflacht

Stabilität wollte das Haus auch bei seinem Wechsel von einem hierarchiegeprägten Aufbau in flachere Strukturen großschreiben. Die Aufsicht, die Wert darauf legt, dass die in ihren Mindestanforderungen ans Risikomanagement (MaRisk) festgelegten Regularien etwa mit Blick auf Verantwortlichkeiten auch in einem agilen Umfeld beherzigt werden, war Beyer zufolge von Beginn in den Prozess eingebunden. Von einem der großen Prüfunternehmen ließ man sich bescheinigen, dass allen Anforderungen etwa mit Blick auf das interne Kontrollsystem Genüge getan wurde.

Konkret bedeutet der Wandel, dass Fiducia & GAD ihren Betrieb nun nicht mehr in verschiedene Funktionen wie Produktmanagement, Vertrieb, Entwicklung oder IT-Betrieb aufteilt, sondern all diese Funktionen in einem einzigen Geschäftsfeld vereint, um Wege zu verkürzen und das gemeinsame Verantwortungsgefühl für ein Produkt zu stärken. Den sogenannten „Tribes“, die fachliche Verantwortung tragen, sind dabei sogenannte People Leads zur Seite gestellt, die sich ausschließlich um die Entwicklung der Beschäftigten kümmern, zuletzt eben im Homeoffice. „Das Modell hat sich in der Pandemie bereits bewährt“, sagt Beyer, der mit Blick auf die Verbesserung des Feedbacks in Mitarbeiterumfragen von einem Quantensprung spricht. Eine Rolle spielt für ihn dabei auch, dass die Beschäftigten an der Konzeption der neuen Aufbauorganisation beteiligt gewesen seien: „Die Menschen wollten diesen Wandel und dass wir diesen Hebel umlegen, weil es auch ihr Wandel war.“ Große Stücke hält Beyer auch auf die 2018 in Betrieb genommene Plattform für die Steuerungsbank, auf der die Bilanzierung, das Meldewesen sowie Risiko und Controlling laufen und mit welcher das vorherige Agree-21-Meldesystem abgelöst worden ist. Gemeinsam mit dem Bundesverband BVR, einem größeren genossenschaftlichen Primärinstitut sowie Sparkassen und Großbanken beteiligt sich Fiducia & GAD derzeit an einem Pilotprojekt der BaFin, das auf eine Automatisierung des Meldewesens abzielt nach dem Motto: Die Banken stellen der Aufsicht Rohdaten zur Verfügung, und diese stellt sich daraus ihre Berichte selbst zusammen. „Ich sehe da keine technischen Restriktionen“, sagt Beyer auf die Frage, ob das Meldesystem der Fiducia & GAD geeignet wäre für ein „Integrated Reporting Framework“, das der Europäischen Zentralbank analog zum BaFin-Pilotprojekt vorschwebt. Sorgen, dass das von der BaFin erprobte System geändert werden müsse, sobald ein neues Meldewesen in Europa Formen annimmt, zeigt er nicht. „Wenn die BaFin ein solches Projekt auf den Weg bringt, kann ich mir nicht vorstellen, dass es nicht in Grundzügen mit der EZB abgestimmt ist“, sagt Beyer.

Dem 2020 eingeführten Firmenkundenportal will das Haus 2021 ein Retail-Banking-Portal folgen lassen, dessen Erfolg angesichts von 30 Millionen Privatkunden im Verbund hohe Bedeutung zukommt. Beyer betrachtet es als Basis, um das Omni-Kanal-Banking zu forcieren. Vor allem will die Gruppe die Verweildauer von Kunden an der digitalen Schnittstelle verlängern. Viele Kunden überprüften den Kontostand, veranlassten eine Überweisung und verließen das Online-Banking wieder, sagt Beyer. Mehrwerte aber fehlten. Die Einführung eines Vertragsmanagers im laufenden Jahr soll beginnen, dies ändern. Unter anderem will Fiducia & GAD zudem die Möglichkeit schaffen, etwa Verträge für eine Autofinanzierung zu digitalisieren, damit Banken Kunden etwa über Kündigungsmöglichkeiten auf dem Laufenden halten können, oder gewisse Buchungen als relevant für den Steuerberater zu markieren. Auch eine Integration von Request-to-Pay (RTP), eine der Zahlung vorgeschaltete Zahlungsaufforderung, die mit Blick auf Anforderungen der Kundenidentifikation und Geldwäscheprävention derzeit hoch im Kurs steht, ist geplant.

Die Basis soll breiter werden

In den kommenden zwölf Monaten will Fiducia & GAD erst einmal die Nutzung der digitalen App deutlich nach oben bringen, um eine breitere Nutzerbasis zu bekommen. Dazu gehört ein neuer Auftritt mit neuen Funktionen und Optionen. Für zehn Pilotbanken hat die Gesellschaft bereits die Möglichkeit freigeschaltet, ein Konto per Video-Ident-Verfahren rein digital zu eröffnen. Eine dieser Banken habe daraufhin von zehn bis 15 Kontoneueröffnungen täglich berichtet, sagt der Manager: „Wir werden an der digitalen Schnittstelle gegenüber den Neobanken aufholen, davon bin ich überzeugt“, kündigt er an. „Je länger die Verweildauer eines Kunden, um so mehr haben unsere Banken die Option, aktiv Vertriebsimpulse zu setzen“, sagt Beyer. „Dabei spielen Smart Analytics eine wichtige Rolle.“ Vor zwei Monaten hat der Vorstand beschlossen, ein Team von 50 Leuten aufzubauen, die sich insbesondere mit Smart Analytics und Künstlicher Intelligenz befassen sollen.

Nicht zuletzt schweben Beyer hochautomatisierte Vertriebsprozesse vor. In einer heterogenen Gruppe wie den Genossen ist es freilich schwer, Standards zu setzen. „Wir müssen von Neuerungen jeweils 800 bis 900 eigenständige Kunden überzeugen“, sagt er mit Blick auf die Primärinstitute. Im Dezember vergangenen Jahres hatte schon der Chef des sparkasseneigenen IT-Dienst­leister Finanz Informatik (FI), Franz-Theo Brockhoff, eindringlich mehr Konsequenz in der Standardisierung eingefordert und von Strukturen gesprochen, die im Sparkassensektor „historisch und hysterisch“, und zwar wegen des Bedürfnisses, sich abzuheben, entstanden seien. Beyer: „Wir brauchen hochstandardisierte Betriebsmodelle, um bei den Betriebskosten auf ein anderes Niveau zu kommen. Da setzen wir uns schon ein Ambitionsniveau wie bei Direktbanken.“ Auf Sicht will Fiducia & GAD dazu 80% der Prozesse automatisieren.

Wider eine Abhängigkeit

Mit Blick auf die Zusammenarbeit mit Cloud-Anbietern hält es Beyer unterdessen wie Jochen Möller, der Chef der Finanz Informatik Technologie Service (FI-TS). Der hatte im Sommer vergangenen Jahres über eine weitreichende Zusammenarbeit mit Google informiert, sich zugleich aber die Option auf Kooperationen mit anderen Hyperscalern offen gehalten und sich damit von der Deutschen Bank abgegrenzt, die mit Google eine exklusive Partnerschaft vereinbart hat: „Wir legen uns nicht mit nur einem Anbieter ins Bett“, sagt Beyer. „Dies würde nicht nur eine technologische, sondern auch finanzielle Abhängigkeit mit sich bringen, denn mit einer Ein-Lieferanten-Strategie befindet man sich auch in Preisverhandlungen rasch in einer schwachen Position, ganz abgesehen von der technologischen Abhängigkeit.“

In einem ersten Schritt werde Fiducia & GAD ihre private Cloud öffnen und mit Microsoft in eine hybride Cloud gehen, berichtet Beyer: „Wir sind aber auch mit anderen Hyperscalern im Gespräch.“ Im zweiten Halbjahr werde man sich verstärkt „auf die Suche nach Partnern machen, im ersten Schritt, um unsere cloudbasierte Entwicklungs- und Betriebsumgebung auszubauen.“ Was Fintechs angeht, dauert die Analyse an. Beyer: „Wir sondieren gerade den Markt, wer in finanznahen Diensten attraktive Lösungen hat.“