Pfund Sterling

Eine verkannte Währung

Das britische Pfund hat von der frühzeitigen Leitzinswende der Bank of England bislang nicht profitiert. Es ist jedoch zu erwarten, dass es gegen den Euro deutlich zulegen wird.

Eine verkannte Währung

Von Dirk Chlench *)

Das Pfund Sterling ist eine der wenigen Hauptwährungen, welche in den zurückliegenden Monaten gegenüber dem Euro an Wert verloren haben. Der Yen gab gegenüber der Gemeinschaftswährung zwar noch stärker nach. Hierfür liegt die Erklärung jedoch auf der Hand. Die Bank of Japan (BoJ) macht entgegen dem weltweiten Trend zur Straffung der geldpolitischen Zügel keine Anstalten, von ihrem ultraexpansiven Kurs abzurücken. Die Tokioter Währungshüter beschlossen noch im Juni dieses Jahres, an Negativzinsen und Anleihekäufen festzuhalten.

Bank of England startet früh

Anders die Lage im Vereinigten Königreich: Dort läutete die Bank of England (BoE) bereits im Dezember letzten Jahres ihre Leitzins­wende ein und ließ in den darauffolgenden Monaten weitere Zinserhöhungen folgen. Auf ihrer jüngsten Sitzung beschlossen die Londoner Währungshüter eine Erhöhung ihres Leitzinses von 1,00% auf 1,25% und stellen für die kommenden Sitzungen weitere Zinserhöhungen in Aussicht. Im Gegensatz dazu hat die Europäische Zentralbank (EZB) die hohe Inflation im Euroraum lange Zeit als temporäres Phänomen abgetan und dementsprechend ihre rekordtiefen Leitzinsen unverändert gelassen. Erst vor einigen Wochen kündigte EZB-Präsidentin Christine Lagarde für diesen Monat eine Erhöhung ihrer Schlüsselzinsen an, und zwar um jeweils einen Viertelprozentpunkt. Damit würde sich aber der EZB-Einlagesatz, der faktische EZB-Leitzins, auch nach der avisierten Er­höhung der Schlüsselzinsen immer noch im negativen Bereich be­finden.

Rezessionssorgen

Es verwundert, dass das Pfund Sterling von dieser divergenten Entwicklung der Leitzinsen diesseits und jenseits des Ärmelkanals nicht profitieren konnte. Eine Erklärung für die Schwäche des Pfund Sterling mag sein, dass die britischen Notenbanker früher als ihre Kollegen in anderen Währungsgebieten das Wort „Rezession“ in den Mund genommen haben. Die BoE hat bereits in ihrem geldpolitischen Bericht von Mai 2022 ihre Wachstumsprojektionen für das Vereinigte Königreich deutlich nach unten genommen und für den Jahreswechsel 2022/23 eine Rezession prognostiziert. Die Stäbe des Eurosystems haben indes noch im Juni 2022 für den Euroraum eine Wachstumsrate von 2,1% für das Jahr 2023 vorausgesagt. Es fällt zudem auch auf, dass im Vereinigten Königreich bereits seit letztem Jahr über drohende Schieflagen von Energieversorgern infolge der in ungeahnte Höhen schießenden Gaspreise be­richtet wird, das Thema hierzulande aber erst seit dem Antrag des deutschen Energiekonzerns Uniper auf Staatshilfe verstärkt durch die Gazetten geistert.

Nach unserer Auffassung ist jedoch nicht erkennbar, warum die Verwerfungen infolge des Ukraine-Krieges die britische Wirtschaft mehr in Mitleidenschaft ziehen sollten als den Euroraum. Das Gegenteil sollte der Fall sein. Während im Jahr 2020 die Nettoimporte von Energie im Vereinigten Königreich 28% des Energieangebots ausmachten, beläuft sich die entsprechende Quote für die EU-Staaten auf rund 58%. Darüber hinaus ist die Abhängigkeit des Vereinigten Königreichs von Energieimporten aus Russland deutlich geringer. Während im Jahr 2022 beispielsweise 55% der deutschen Gasimporte auf Russland entfielen, stammen über 58% der britischen Gasimporte aus den zuverlässig liefernden Staaten Norwegen, Belgien und den Niederlanden. Vor diesem Hintergrund könnte im Extrem für das Pfund Sterling, zumindest im Verhältnis zur neu geschaffenen Gemeinschaftswährung, das Argument des „sicheren Hafens“ angebracht werden. Somit bliebe nur noch der Streit zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich über das Nordirland-Protokoll als Hemmschuh für die Entwicklung des Pfund Sterling. Eine Eskalation dieses Streites könnte im Extrem zu einer Aufkündigung des Freihandelsvertrages führen, was das Vereinigte Königreich mehr schmerzen würde als den Euroraum.

Karten neu gemischt

Nach dem unfreiwilligen Rücktritt Boris Johnsons werden die Karten nun neu gemischt. Aber gleich, wer dem wie ein Hasardeur handelnden Politiker als Tory-Parteichef und damit als Premierminister folgen wird, es ist absehbar, dass sein Nachfolger die Beziehungen zwischen Brüssel und London nicht im gleichen Maße durch Provokation beeinträchtigen wird wie sein exzentrischer Vorgänger. Die Devisenmarktteilnehmer scheinen diese Einschätzung zu teilen. Seit der Bekanntgabe des Rücktritts von Boris Johnson ist das Pfund Sterling wieder fest gegenüber dem Euro.

Nach unserer Einschätzung sollte sich die Erholung des Pfund Sterling in den nächsten Wochen und Monaten fortsetzen, denn das Pfund Sterling ist nach unseren Berechnungen gemäß der Kaufkraftparität gegenüber dem Euro deutlich unterbewertet. Zudem setzen wir darauf, dass immer mehr Devisenmarktteilnehmer erkennen, dass die Wirtschaftslage im Vereinigten Königreich beileibe nicht schlechter ist als im Euroraum, aber die Emissionen des britischen Schatzamtes einen erklecklichen Renditevorsprung ge­genüber ihren Pendants aus dem Euroraum ausweisen.

Nachgebende Euro-Kurse

Von einer Diskussion der dem Euroraum inhärenten Probleme, wie die Fragmentierung der Staatsanleihenmärkte oder das Bestehen eurokritischer Parteien in einigen Euro-Mitgliedstaaten, sehen wir an dieser Stelle ab. Wir erwarten, dass der Kurs des Euro bis Jahresmitte 2023 auf 0,80 Pfund Sterling nachgeben wird.

*) Dirk Chlench ist Senior Economist bei der LBBW.