Obdachloser Mann schläft auf einer Parkbank (Symbolbild)
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Obdachloser Mann schläft auf einer Parkbank (Symbolbild)

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Immer mehr Menschen wohnungslos - auch auf dem Land

Krankheit, Scheidung, Jobverlust – das sind häufige Ursachen für Wohnungslosigkeit. Allein in Bayern sind mehr als 32.000 Menschen in Notunterkünften untergebracht. Hinter jedem von ihnen steht eine persönliche Geschichte.

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Lange Zeit waren Wohnungs- und Obdachlosigkeit ein Problem der Großstadt. Inzwischen ist es auch auf dem Land angekommen. Bundesweit waren im vergangenen Jahr rund 178.000 Menschen in Notunterkünften untergebracht. Dieses Jahr hat sich die Zahl auf rund 372.000 mehr als verdoppelt. Davon sind allein 130.000 Flüchtlinge aus der Ukraine. Auch in Bayern stieg die Zahl von Menschen in Notunterkünften drastisch: von 17.910 auf 32.380.

Notlösung: Wohnen im Container

Die Gemeinde Eggstätt in Oberbayern mit Blick auf die Chiemgauer Berge: Eine Idylle, die trügt. Zumindest für Christian Appel. Acht Jahre lang hat er dort gewohnt. Eine Zweizimmerwohnung mit Balkon – für 350 Euro Miete im Monat, das konnte er sich leisten. Dann erhielt er im vergangenen Jahr die Kündigung wegen Eigenbedarfs. "Schockstarre", beschreibt Appel sein Gefühl. "Was macht man da? Corona war auch noch, kurz danach ist der Krieg ausgebrochen in der Ukraine. Dann schauen Sie mal nach einer Wohnung."

Der 64-Jährige findet keine neue Wohnung, droht auf der Straße zu landen. Die Gemeinde bringt Appel übergangsweise im Hotel unter. Dann hilft nur noch diese Notlösung: ein Container. Ein Raum mit rund zehn Quadratmetern Wohnfläche. Inklusive Kochgelegenheit, Nasszelle und Notbett. "Schwer zu beschreiben, ist ein Alptraum", sagt Appel über seine Lage. "Ich meine immer, ich habe einen Alptraum und möchte gern aufwachen. Aber ich wach nicht auf. So ist es."

Täglich schaut Appel nach Wohnungsinseraten. Vom Jobcenter stehen ihm 500 Euro Wohngeld zu. Doch das reicht nicht. Angebote gibt es erst ab 700 Euro. Es sei frustrierend, wenn es keine Wohnungen gebe, sagt Appel. "Ich hab es allen Freunden gesagt, mehrmals auf Facebook reingeschrieben, dass ich eine Wohnung suche, ob jemand was weiß." Doch es kämen keine Rückmeldungen, da niemand etwas wisse.

Bürgermeister: "Wünsche mir mehr Unterstützung"

Der Bürgermeister von Eggstätt ist alarmiert. Christoph Kraus ist gerade einen Monat im Amt. Fünf Millionen Euro kostet schon die neue Kindertagesstätte. Da ist für Sozialwohnungen kein Geld mehr da. Bei der Suche nach bezahlbaren Wohnungen fühlt er sich machtlos. "Was sollen wir als kleine Kommune leisten? Was sollen wir machen?", fragt Kraus. "Wenn der Wohnraum nicht vorhanden ist – wir können keinen bauen. Dann sind mir einfach die Hände gebunden. Da wünsche ich mir mehr Unterstützung vom Bund, vom Land, dass man mehr unternehmen kann, weil es hier bei uns ja kein Einzelfall ist."

Auf Anfrage von BR24 erklärte Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU), dass die Beratungs- und Unterstützungsangebote flächendeckend ausgebaut werden, "nicht nur in den Ballungszentren", in denen Obdachlosigkeit vermeintlich weiter verbreitet sei, sondern in ganz Bayern.

Diakonie-Beraterin: "Es trifft mittlerweile wirklich jeden"

Auch Barbara Hein droht ihre Wohnung zu verlieren. Ihr Ex-Partner sei Eigentümer der Wohnung und habe eine neue Freundin – jetzt drohe er mit einer Räumungsklage, sagt Hein. Deswegen lässt sich die 58-Jährige bei der Diakonie in Rosenheim beraten. Denn auch sie findet keine bezahlbare neue Bleibe. "Ist natürlich sehr schlimm, eine Situation, in der ich noch nie in meinem Leben war und natürlich ist es sehr beängstigend."

Janett Bodemann berät seit elf Jahren in der Diakonie. Doch so dramatisch wie jetzt sei die Lage noch nie gewesen, bemerkt sie. Immer häufiger muss sie Menschen aus der Mittelschicht bei der Wohnungssuche unterstützen. "Es heißt oft, Obdachlose sind Männer, meistens mit Alkoholproblemen. Das wandelt sich total. Ich habe jetzt einen Zwangsräumungstermin bekommen, mit drei kleinen Kindern. Es trifft mittlerweile wirklich jeden", berichtet Bodemann.

Das bestätigen Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosigkeit, wonach 26 Prozent aller wohnungsloser Menschen im Jahr 2022 Kinder oder Jugendliche waren. Als wohnungslos gelten nicht nur auf der Straße lebende Menschen, sondern auch Menschen ohne jegliche Unterkunft sowie solche, die vorübergehend bei Freunden oder Verwandten unterkommen oder in Behelfs- und Notunterkünften leben.

Krankheit, Scheidung, Jobverlust: Ursachen für Obdachlosigkeit

Wer als Bürger im Landkreis Rosenheim nichts findet, landet in der Wohnungslosennothilfe der Diakonie. So wie Hannelore Trainer. Die 59-Jährige ist schwer krank und hat ein Jahr lang auf der Straße gelebt, bevor sie dort ein Dach über dem Kopf fand. Heute verpackt sie ihre selbstgebackenen Plätzchen, die sie in der Vorweihnachtszeit an Obdachlose verteilt. Die Aussichten auf eine eigene Wohnung: schlechter denn je. "Ich suche seit zehn Jahren eine Wohnung", erzählt Trainer. Sie habe mittlerweile einen Schwerbehindertenausweis, doch die Wartezeit für eine Schwerbehinderten-Wohnung betrage mindestens fünf Jahre. "Das heißt, hier ist wahrscheinlich meine Endstation", resümiert Trainer.

Derzeit ist sie die einzige Frau unter 16 Bewohnern. Krankheit, Scheidung und Jobverlust sind die häufigsten Ursachen für Obdachlosigkeit. Auch Jens Dotzler sucht händeringend eine neue Wohnung. Doch oft scheitert es schon an der Kaution. Selten gebe es Vermieter, die bereit seien, die Kaution in Raten anzunehmen, berichtet Dotzler. "Viele wollen sie auf einen Ruck und wie soll ich, wenn ich einen Job anfange, auf einen Ruck 1.700 Euro Kaution zahlen? Geht nicht."

Besonders jetzt in der kalten Jahreszeit wird die Notschlafstelle der Diakonie immer wichtiger. Robert Schmid ist Sozialarbeiter bei der Diakonie Rosenheim. Es gibt einen Gemeinschaftsraum mit Küche, vier Stockbetten und einen Spind für das Gepäck. Mehr nicht. "Wir kriegen natürlich auch viele Anfragen, fast täglich von Leuten, die eine Wohnung suchen, wo wir primär nicht zuständig sind, in der Beratung für Obdachlose. Ich kann aber den Wohnungsmarkt beobachten und sehe, dass sich da nicht wirklich was tut", berichtet Schmid.

Wohnungssuche wird zum Vollzeitjob

Zurück in der Fachstelle der Diakonie. Janett Bodemann gibt Tipps für das Bewerbungsschreiben bei der Wohnungssuche. Barbara Hein hat früher als Pflegehilfskraft gearbeitet. Jetzt will sie Senioren Hilfe anbieten als Gegenleistung für Wohnraum. Janett Bodemann von der Diakonie Rosenheim bestätigt: "Es geht darum, dranzubleiben. Weil der Wohnungsmarkt so eng ist, dass es mittlerweile ein Vollzeitjob geworden ist, eine neue Wohnung zu finden."

Auch Christian Appel aus Eggstätt gibt nicht auf. Der Container soll kein Dauerzustand werden. Weihnachten in einer richtigen Wohnung – das wünscht er sich. Um mobil zu bleiben, hält er sein 45 Jahre altes Mofa in Schuss und sich selbst bei Laune. "Den Humor nicht verlieren, das ist mein Lebensmut. Was anderes bleibt einem ja nicht übrig", sagt Appel. Aus dem Chiemgau wegziehen, kommt für ihn nicht infrage. Denn dann würde er nicht nur seine Wohnung, sondern auch seine Heimat verlieren.

Obdachlosigkeit: Die Lage in Bayern

Nicht nur in Rosenheim steigt der Bedarf an Unterkünften. "Die Fallzahlen im Bereich der Obdachlosigkeit steigen seit Jahren kontinuierlich", berichtet die Stadt Würzburg auf Anfrage von BR24. "Immer mehr Menschen verlieren ihre Wohnung und/oder sind nicht in der Lage, eigenständig Wohnraum zu finden. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Zahlen im Stadtgebiet Würzburg verdoppelt." So wurden im Jahr 2013 in Würzburg 250 Menschen untergebracht, im Jahr 2023 waren es 500.

In Nürnberg sind aktuell etwa 80 bis 90 Prozent der Schlafplätze für Obdachlose belegt. Auch in Landshut sind nach Angaben des Sozialamts derzeit noch Plätze vorhanden. Die Stadt Weiden berichtet gegenüber BR24, dass die Zahl der Obdachlosen in Weiden stabil sei. "Derzeit sind 28 Personen im Stadtgebiet als obdachlos gemeldet." Auch Regensburg meldet stabile Zahlen: "Die Zahl der Obdach-/Wohnungslosen in der Stadt Regensburg bewegte sich in den letzten zwei Jahren zwischen 220 und 250 Personen."

"Situation in Notunterkünften angespannt"

Die Stadt Bayreuth erläutert auf Anfrage von BR24, dass sie jährlich etwa 110 bis 120 von Obdachlosigkeit betroffene Personen zähle. Tendenziell beobachte das Sozialamt der Stadt in der jüngeren Vergangenheit eine Zunahme der Obdachlosigkeit. "Dies liegt vor allem daran, dass die Verweildauer in den Unterkünften länger wird." Zu den Ursachen zählen demnach der angespannte Wohnungsmarkt sowie die persönliche Lage der betroffenen Menschen. "Derzeit sind die Unterbringungsmöglichkeiten der Stadt noch aufnahmefähig, allerdings stößt die Stadt immer wieder, immer öfter an ihre Kapazitätsgrenzen", heißt es aus Bayreuth.

Ein Blick auf die Belegungszahlen der Notunterkünfte der Stadt Kempten (Allgäu) zeige den Druck auf die städtischen Notunterkünfte, berichtet die Stadt. Aktuell seien 151 Personen untergebracht, gleich viele wie im Jahr 2019, wobei im Winterhalbjahr mit einem Anstieg gerechnet werde. "Die Situation in den Notunterkünften kann als angespannt bezeichnet werden", heißt es aus Kempten. Auch die Zahlen in Augsburg seien jüngst in etwa konstant geblieben. Nach Angaben der Stadt leben derzeit 203 Menschen in städtischen Obdachlosenunterkünften.

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