Ein Firstziegel in Form eines Phoenix in türkis-blauer Glasur
Bildrechte: Museum Fünf Kontinente

"Firstziegel", Peking, Ming-Zeit 1368-1644

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Raubkunst aus China: Plündergut aus dem "Boxerkrieg"

Durch den sogenannten Boxerkrieg sind zahlreiche Kunstobjekte auf zweifelhaften Wegen aus China in deutsche Museen gekommen. Eine internationale Tagung im Münchner Museum Fünf Kontinente berät jetzt, was mit diesem Raubgut geschehen soll.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Der türkis glasierte Phönix aus Ton ist nicht größer als ein Lineal. Uta Werlich, Direktorin des Museums Fünf Kontinente, betrachtet das Exponat. Es handelt sich um einen kleinen Firstziegel, der in Form eines Phoenix gefertigt wurde, so viel steht fest. Was ebenfalls feststeht: "Bei uns im Inventarbuch findet sich dazu der Eintrag: Stammt aus der kaiserlichen Stadt, aus der Verbotenen Stadt." Das Objekt sei von einem Herrn Seeberger mitgebracht worden, der "nachweislich während des Boxerkrieges in China war und dort als Übersetzer, Dolmetscher gearbeitet hat", so Werlich.

Werlich: "Nicht alles, was im Inventarbuch steht, stimmt"

Dolmetscher Seeberger hat den Phönix nach seiner Rückkehr aus China dem Münchner Museum verkauft. Dort ist er seitdem Teil der chinesischen Sammlung. Doch seine bisher angenommenen Herkunft, der kaiserliche Palast, ist wegen eines farblichen Details inzwischen unsicher: "Bei dem Objekt ist es sehr zweifelhaft, ob es jetzt wirklich aus der Verbotenen Stadt stammt. Einfach weil es von der Größe her relativ klein ist, es ist nicht gelb-lasiert und trägt damit keine kaisergelbe Farbe."

Die Farbgebung lässt daher vermuten: Der Firstziegel könnte auch von jedem anderen Tempel in Peking sein. "Das ist für uns schon mal ein wichtiger Hinweis gewesen, dass nicht alles, was im Inventarbuch steht, stimmt." Dennoch sei sicher, dass dieses Objekt während der Zeit des sogenannten Boxerkrieges angeeignet worden sei.

Der sogenannte "Boxerkrieg"

Um 1900 sind viele Teile Chinas von europäischen Kolonialmächten, den USA und Japan besetzt. Sie sichern sich vor allem Küstenregionen und Hafenstädte, um den Handel zu kontrollieren. Auch das deutsche Kaiserreich ist dabei. Doch China profitiert nicht von den ungleichen Handelsbeziehungen. Die fremden Mächte, Wirtschaftskrisen und Dürren haben das Land geschwächt. Gegen die Besatzung formiert sich Widerstand: Der "Verband für Gerechtigkeit und Harmonie". Im Westen sind die Widerständler wegen ihrer traditionellen Kampfkunstausbildung als "Boxer" bekannt. Sie wehren sich gegen die christlichen Missionare im Land.

Als in Peking der deutsche Gesandte Kettler ermordet wird, eskaliert die Situation. Die Kolonialmächte erklären den Krieg. Die Folge: Tausende Tote, grausame Kriegsverbrechen und Plünderungen. Ob Haushalte, Geschäfte, kaiserliche Anlagen oder Tempel: Die Truppen entwenden zahlreiche Objekte und Schätze, nehmen sie nach Europa mit. Dort gelangen die Objekte zum Beispiel über den Kunsthandel in deutsche Museen, wo sie bis heute aufbewahrt und ausgestellt werden.

Koloniale Güter aus Asien

Die Provenienzforscherin Christine Howald versucht, diesen Weg genau nachzuvollziehen. Am einfachsten sei der Fall, wenn Truppenmitglieder die Sammlungsobjekte direkt in die Museen gebracht hätten, "und wir sehen können: Das war Herr so und so, und wir finden sehr schnell raus, der war in China zu der Zeit, ist es recht einfach, auch wenn wir vielleicht keinen Brief von ihm haben, wo er sagt: Ich habe das Objekt an dem und dem Tag aus dem und dem Tempel mitgenommen. Aber allein diese Rechnung: Er war in China und das Objekt ist kurz danach in die Sammlung gekommen, das ist dann schon mal eine ausreichende Grundlage", so die Provenienzforscherin.

Schwierig werde es, wenn die Objekte vor allem durch viele private Hände gewandert seien. Hinzu kommt: Die Forschung zu Plünderungen im kolonialen Kontext sei generell noch sehr jung – besonders, wenn es um den asiatischen Raum geht: "Dieser Fokus auf Asien, der hat bei uns ein bisschen gedauert in Deutschland, würde ich sagen. Vielleicht, weil in Afrika unsere koloniale Implikation viel offensichtlicher und stärker ist. China war nie ein vollkolonialisiertes Land. Man nennt es eine Stützpunktkolonisation, weil es eben solche Konzessionen gab, wo extraterritoriale Rechte für Ausländer geherrscht haben."

Ergebnisoffene Forschung

Wie also mit dem chinesischen Raubgut der europäischen Kolonialmächte umgehen? Das fragen sich jetzt sieben deutsche Museen auf einer Tagung in München. Dafür wollen sie ihre Bestände auf Plünderware untersuchen und ihre Herkunft erforschen. Am Ende soll ein Leitfaden für Museen mit geplünderten Objekten entstehen.

Mit Unterstützung aus China: Eine Delegation des Palastmuseums in Peking ist zu Besuch in München. Zusammen betrachten sie die Objekte, um die es geht. Auch der kleine türkisblaue Phönix aus Ton wird unter die Lupe genommen. Seine Zukunft ist noch ungewiss. Wie es weitergeht, kann Museumsdirektorin Uta Werlich noch nicht sagen.

Sie forschten momentan dazu und arbeiteten ergebnisoffen. "Und dann werden wir sehen: Werden unsere Partnerinnen und Partner sagen: Mensch, wir möchten dieses Objekt zurückhaben, oder werden sie das nicht sagen? Das ist ja auch der Sinn von Provenienzforschung, ergebnisoffen zu arbeiten, und dann werden wir sehen, was passiert."

Die Tagung des Projekts zur Aufarbeitung der Plündergüter aus dem sogenannten Boxerkrieg findet am 22. und 23. Februar in München statt. Im YouTube-Kanal des Museums Fünf Kontinente wird sie übertragen.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!