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Supermarkt-Kassiererin in Corona-Krise: "Ein Danke reicht mir nicht"

Supermarkt-Kassiererin in Corona-Krise: "Ein Danke reicht mir nicht"
© George Rudy / Shutterstock
Supermarkt-Mitarbeiter sorgen dafür, dass auch in der Coronakrise die Versorgung sichergestellt ist. Dafür gab es sogar Lob von der Bundeskanzlerin. Kassiererin Farina Kerekes sagt im stern-Interview: "Man sieht jetzt, dass wir systemrelevant sind."

Nervöse Kunden, leere Regale, riesige Nachfrage – in der Coronakrise haben Supermarkt-Mitarbeiter einen besonders schweren Job. Sie sorgen dafür, dass auch in schwierigen Zeiten die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel erwähnte sie sogar in ihrer Ansprache an die Nation: "Lassen Sie mich auch hier Dank aussprechen an Menschen, denen zu selten gedankt wird. Wer in diesen Tagen an einer Supermarktkasse sitzt oder Regale befüllt, der macht einen der schwersten Jobs, die es zurzeit gibt. Danke, dass Sie da sind für ihre Mitbürger und buchstäblich den Laden am Laufen halten."

Farina Kerekes, 30, arbeitet in einem Supermarkt im Ruhrgebiet an der Kasse. Im stern-Interview berichtet sie von ihren Erfahrungen in den vergangenen Tagen und hofft darauf, dass sich die Wertschätzung auch in höherer Bezahlung niederschlägt.

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Frau Kerekes, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie die Worte von Angela Merkel gehört haben?

Ich habe die Ansprache auf der Rückfahrt von der Arbeit im Radio gehört und zuerst gedacht: Danke! Es ist nett, dass wir auch mal erwähnt werden.

Spüren Sie diese Wertschätzung auch in Ihrem Arbeitsalltag?

Mittlerweile schon. Es gibt immer mehr Leute, die sich bei uns bedanken, Kunden haben uns Blumen und Süßigkeiten vorbeigebracht. Das ist total schön. Manche bezeichnen meine Kolleginnen und mich sogar als Heldinnen. Sonst werden wir aber oft herablassend behandelt, besonders von Männern. Einerseits finde ich es natürlich gut, dass wir etwas Wertschätzung in der Öffentlichkeit erhalten, andererseits hoffe ich, dass es nicht nur dabei bleibt.

Was würden Sie sich wünschen?

Ein "Danke" reicht mir nicht. Ich will, dass endlich die Gender Pay Gap verschwindet. Es kann einfach nicht sein, dass Männer in vergleichbaren Berufen 20 Prozent mehr Geld verdienen. Das sind irgendwelche Sesselpupser, die Finanzgeschäfte machen, bei denen man jetzt merkt, dass sie eigentlich irrelevant sind, um den Laden am Laufen zu halten. Gerade im Einzelhandel bezahlen nur wenige Unternehmen nach Tarif. Wir machen wirklich einen harten, anstrengenden Job, auch wenn das viele noch nicht glauben. Man sieht jetzt, dass wir systemrelevant sind. Und da kann es nicht sein, dass Menschen, die 40 Jahre lang an der Kasse gesessen oder Regale aufgefüllt haben, später in der Altersarmut landen, weil sie nur Mindestlohn verdienen.

Seit etwa anderthalb Wochen stürmen die Deutschen in die Supermärkte, um sich für eventuelle Quarantänen und Ausgangssperren zu rüsten. Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Zeit gemacht?

Ich habe mir viele Geschichten anhören müssen, dass Leute dringend Klopapier kaufen müssen und bald nichts mehr haben. Es reicht einfach nicht, es sind zu viele Leute, die auf einmal unbedingt Klopapier brauchen. Und das Klopapier war nur der Anfang. Jetzt sind auch Windeln und Babynahrung allmählich ausverkauft, was natürlich dramatisch ist. Viele verstehen auch nicht, was eine haushaltsübliche Menge ist. Letztens hatte ich an der Kasse eine Kundin, die einen ganzen Karton Zahnpasta kaufen wollte. Da kommt es auch manchmal zum Streit zwischen Kunden.

Viele Leute haben Angst, dass irgendwann die Regale komplett leer sind. Ist das begründet?

Bei uns kommt alles ganz normal nach, wir bekommen sogar mehr Toilettenpapier als normalerweise. Es gibt keinen Grund für Hamsterkäufe. Zumal das immer bedeutet, dass andere nichts kriegen. Und das sind meistens zum Beispiel ältere Leute oder solche, die jetzt arbeiten müssen und nicht einkaufen gehen können. Das geht einfach nicht.

Wie nehmen Sie gerade die Arbeitsbelastung wahr?

Es ist super viel los bei uns im Laden, wie kurz vor Weihnachten. Die mentale Belastung ist sehr hoch: Jeder Kunde möchte darüber reden, warum die Regale leer sind und wie schlimm das alles ist. Das geht irgendwann richtig auf die Nerven.

Haben Sie bei so direktem Kundenkontakt Angst vor einer Ansteckung?

Ich habe nicht direkt Angst, aber ich bin vorsichtig. Wir bitten die Leute, möglichst mit Karte zu zahlen, was aber nur wenige machen. Viele wissen auch nicht, was ein angemessener Abstand ist. Ich trete dann einen Schritt zurück und sie gehen wieder einen Schritt auf mich zu. Das war aber auch schon vorher so. Manche Kunden kommen von hinten ganz nah an einen Mitarbeiter, halten den Kopf über die Schulter und fragen etwas.

Ihr Beruf bekommt in dieser Zeit etwas Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Was können wir als Kunden davon lernen, auch für die Zeit nach dem Coronavirus?

Ganz einfach einen normalen, solidarischen Umgang miteinander. Die Kassiererin sagt an der Kasse jedes Mal "Guten Tag" und lächelt – und von den Kunden kommt nichts. Man muss ja keinen Dialog halten, ein "Hallo" oder ein kleines Lächeln würde da schon ausreichen.

Dieser Artikel ist ursprünglich auf stern.de erschienen.

Eugen Epp

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