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Beziehung Mein Leben als "Mingle" - zusammen und doch allein

Beziehung: Mein Leben als "Mingle" - zusammen und doch allein
© Benser/Corbis
Der offizielle Beziehungsstatus von Lena H.* lautet Single, in Wahrheit gibt es da aber seit zehn Jahren diesen Mann. Wie glücklich lebt es sich als "Mingle"- irgendwo zwischen Alleinsein, Affäre und Alltagsbeziehung?

Montagmorgen, 6.30 Uhr, der Wecker klingelt. Eine kurze Nacht in den Gliedern drehe ich mich lieber noch mal um. "Wir müssen aufstehen, Kleines", sagt er verschlafen. Mit einem Lächeln fügt er hinzu: "Oder auch nicht".

Als ich knapp zwei Stunden später im Büro eintrudle und meinem Chef etwas von einem unfassbaren Stau erzähle, kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht wegen meiner Verspätung, ich fühle mich wunderbar. Wer wälzt sich morgens nicht lieber mit seinem Liebsten durch die Laken, als pflichtbewusst um Punkt 8 Uhr am Schreibtisch zu sitzen?

Doch bald löst sich mein Glücksgefühl wieder in Luft auf. Denn was sich nach einer netten Alltagsepisode einer erfüllten Beziehung anhört, ist in Wahrheit ein unfassbar kompliziertes Konstrukt zwischenmenschlicher Interaktion. Außenstehenden lässt sich das nur schwer erklären. Bevor Sie mich gleich für verrückt, kindisch oder unzurechnungsfähig erklären: Ich bin eine erwachsene Frau, fast 30 Jahre alt, habe einen ganz gut bezahlten Job und ein stabiles soziales Umfeld. Läuft also. Nicht ganz so glänzend ist mein offizieller Beziehungsstatus: Single. Inoffiziell ist das etwas anders.

Er wollte seine Freiheit

Seit zehn Jahren gibt es diesen Mann in meinem Leben. Er sieht toll aus, bringt mich zum Lachen und hat einen wundervollen Charakter. Kurz nachdem wir uns kennengelernt hatten, verliebten wir uns. Vier Jahre waren wir ein richtiges Paar und eigentlich auch sehr glücklich. Irgendwann wurde ihm aber alles zu ernst, zu innig und zu bindend. Er trennte sich, weil er seine Freiheit genießen wollte.

Meine Welt brach zusammen, er war meine große Liebe und ein Leben ohne ihn konnte ich mir nicht mehr vorstellen. Leicht war die nächste Zeit nicht. Da wir denselben Freundeskreis haben und im gleichen Sportverein trainieren, war es unmöglich, sich nicht ab und zu über den Weg zu laufen. Einen Cut gab es also nie. Ich hätte es auch nicht übers Herz gebracht, ihn komplett zu verlieren. Wir waren schließlich nicht nur Partner gewesen, sondern auch beste Freunde.

In den nächsten Wochen trafen wir uns gelegentlich, auf einen Kaffee oder zum Fernsehabend. Als er mal wieder bei mir war, passierte es schließlich: Wir hatten Sex. Danach herrschte in meinem Kopf erst einmal großes Chaos. Wollte er mich zurück? Der Hoffnungsschimmer wurde schnell zerschlagen. "Sorry, ich will dir nicht wehtun, aber ich hoffe, du weißt, dass das nichts weiter zu bedeuten hat", lautete seine SMS am nächsten Tag. Natürlich war ich nicht sonderlich glücklich, aber Vorwürfe wollte ich ihm nicht machen. Schließlich hätte ich auch Nein sagen können.

Sex ohne feste Beziehung war für mich aufregendes Neuland

Meine Freundinnen waren empört. Er habe mich ausgenutzt, gewusst, dass ich schwach werden würde und nur noch mal ein kurzes Abenteuer gebraucht. Klang einleuchtend. Geglaubt habe ich es allerdings nicht. Und so wurde aus dem kurzen Abenteuer eine Affäre. Mindestens einmal pro Woche verabredeten wir uns und schliefen miteinander.

Für mich war diese Situation absolutes Neuland. Nie zuvor habe ich mit einem Mann geschlafen, mit dem ich nicht zusammen war. Es war aufregend. Wir hatten in dieser Phase mehr Sex als je zuvor und eine Menge Spaß. Als ich irgendwann hörte, dass er an einer anderen Frau Interesse hatte, zog ich mich zurück. Jemanden zu hintergehen oder etwas mit einem vergebenen Mann zu haben, kam für mich nicht infrage. Das sagte ich ihm auch deutlich.

Schnell wurde klar, dass sich zwischen den beiden nichts Ernstes entwickeln würde. Die Affäre wollte ich trotzdem nicht wieder aufleben lassen. Warum nicht? War ich etwa verletzt? Auf keinen Fall wollte ich mir eingestehen, dass ich doch noch Gefühle für ihn hatte.

Plötzlich waren wir wieder "nur" Freunde

In der nächsten Zeit konzentrierten wir uns auf den freundschaftlichen Part. Annäherungsversuche kamen auch von ihm nicht. Ich war so verwirrt, dass ich es auch heute kaum in Worte fassen kann. War es das jetzt wirklich mit uns gewesen? Irgendwie fehlte mir was, ich hatte zwar meinen besten Freund gehalten, aber etwas anderes verloren. Es kam mir vor, als wäre meine Beziehung zum zweiten Mal in die Brüche gegangen.

An einem einsamen Abend auf der Couch, Liebesfilm und eine halbe Flasche Wein inklusive, kam ich auf die glorreiche Idee, ihm eine SMS zu schreiben. Einfach mal fragen, was er so macht. Eine Stunde später hatte sich der unverfängliche Schriftverkehr in eine Diskussion darüber entwickelt, warum wir nicht mehr zusammen sind und ob er mich denn nicht mehr gern habe. Zwei Stunden später hielt er mich im Arm.

Tags darauf war mir mein kleiner Absturz mehr als peinlich. Aber irgendwie fühlte ich mich auch befreit. Er wusste nun, dass ich mir mehr wünschte als Freundschaft. Leider konnte er mir das nicht geben. Er war überzeugt, dass er mich nicht glücklich machen könne. So ein Quatsch, dachte ich mir. Er liebe mich zwar, könne sich aber momentan nicht fest binden. Das hatte er auch schon gesagt, als er damals mit mir Schluss gemacht hatte.

"Liegt mit Sicherheit an seiner Kindheit, der zerrütteten Ehe seiner Eltern und dem schlechten Verhältnis zu seinem Vater", sagte eine Freundin, die ein paar Vorlesungen in Psychologie besucht hatte. "Der wird sich nie ändern!" Sie schien überzeugt. Ich nicht.

Ich lebe in einer Halbbeziehung

Und dann war er plötzlich wieder da - der Moment, in dem wir erneut im Bett landeten. Ganz langsam schlich sich die alte Gewohnheit wieder ein, aber diesmal entwickelte sich das Ganze etwas anders. Es gab keine reinen Sex-Verabredungen mehr. Wir verbrachten immer öfter unsere Freizeit miteinander und übernachteten auch mal beim anderen. Das gab es während der Affäre nicht. Nach dem Schäferstündchen nebeneinander einschlafen? Auf keinen Fall. Heute? Immer!

Und so bin ich da gelandet, wo ich heute bin: in einer Halbbeziehung. Mingles nennt man die Teilhabenden auch gern, eine Mischung aus "mixed" und "single". Alles ist wie bei einem normalen Paar, nur dass man offiziell keins ist. Zumindest ist es in meinem Fall die zutreffende Definition. Meine Freundinnen sind fast einhellig der Meinung, dass ich den Verstand verloren habe.

Ja, ich liebe ihn. Dagegen kann ich nichts tun. Ob er mich liebt? Davon bin ich überzeugt. Er hat nur Augen für mich, ich bin ein fester Bestandteil seines Lebens. Das Einzige was fehlt, ist der offizielle Titel "Paar". Mir fehlt das manchmal und ich weiß, dass es auf diese Weise nicht ewig funktionieren kann. Aber warum sollen wir die Zeit, die wir zusammen haben, nicht genießen? Wer bestimmt denn, wie wahre Liebe auszusehen hat?

Ich glaube, wir dürfen uns das Recht herausnehmen, unser individuelles Konstrukt dieses Gefühls zu entwerfen. Er gibt mir alles von sich, was er mir gerade geben kann. Seine Zärtlichkeit, seine Treue, seine Zeit. Vielleicht kommt eines Tages auch das Offizielle dazu, vielleicht auch nicht. Mir kommt schon öfters der Gedanke, ihn darauf anzusprechen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich aber ein wenig Angst vor seiner Antwort. Vielleicht traue ich mich ja morgen. Bis dahin genieße ich es, mich von ihm in den Schlaf kraulen zu lassen.

* Pseudonym

Teaserfoto: Benser/Corbis

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