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"Kinder betreuen ist total unmännlich!" – Äh ... NEIN?!

"Kinder betreuen ist total unmännlich!" – Äh ... NEIN?!
© Ollyy/shutterstock
BRIGITTE.de-Redakteur Henning Hönicke wird von einem Rentner angepöbelt - und ist erstaunt, wie verbissen man das Rollenbild des vorletzten Jahrhunderts verteidigen kann.

"Du blödes Weichei. Du bist kein Mann." Halblaut hat das der Spaziergänger in meine Schulter gemurmelt, als ich an ihm mit meinen Kindern im Transportfahrrad vorbeigefahren bin. Der Prototyp eines verbitterten alten Mannes, komplett in der Uniform aus dunkelblauer Winterjacke und Schiffermütze, konnte einfach nicht anders als mal im Vorbeigehen die Sau rauszulassen. Genau so, dass ich es hören musste, aber zu leise, um eine Szene auf der Straße zu provozieren.

Das ist jetzt schlecht für ihn, Szenen auf der Straße sind meine Spezialität, wenn mich jemand angreifen will. Quietschend bremse ich und rufe ihm hinterher: "Hey! Haben Sie ein Problem heute Morgen?". Der alte Herr stockt kurz und überlegt, ob er so tun soll, als habe er mich überhört. Dann aber fährt er herum, gewillt, das jetzt knallhart durchzuziehen.

"Guten Morgen!" sage ich freundlich, als er zurückkommt. "War das heute ihr großer Plan? Ich stehe auf, trinke meinen Kaffee, und dann pöbele ich fremde Menschen auf der Straße an?" Er kneift grimmig seine Augen zusammen - vermutlich habe ich seine Morgenroutine tatsächlich korrekt zusammengefasst.

"Das machen keine Männer. Das ist Arbeit für Frauen! Schämen Sie sich!"

Dann zeigt er in einer theatralischen Geste anklagend auf meine Kinder und stößt wütend hervor: "DAS! Das machen keine Männer. Das ist Arbeit für Frauen! Schämen Sie sich!"

Eine sensationelle Attacke. Ich sollte mich vielleicht ärgern, aber ich kann gar nicht anders als spontan zu lachen. Zu sehr erinnert mich sein Gesicht an die fassungslose Wut meiner beiden Kinder, als ich ihnen eines Tages eröffnete, sie wären jetzt alt genug, um sich ihren Hintern selbst abzuwischen ("Papa, das kann nicht mein Job sein!").

"Ach, kommen Sie mal her", winke ich ihn dichter an mich heran und öffne die Plane meines Transportfahrrads, so dass er die Kinder sehen kann. Niemand, so meine innere Logik, benimmt sich so ungeniert daneben, wenn ihn ein bezauberndes Kleinkind kritisch in die Augen blickt. Misstrauisch kommt er näher, guckt auf die beiden an und sagt abschätzig: "Die sind bestimmt nicht mal von dir, oder? Du Weichei?"

"Kinder?" sage ich, und gebe den Blick auf meine neue Bekanntschaft frei. "Guckt euch den Herrn gut an. Der ist ein erwachsener Mensch mit vielen, vielen Jahren Lebenserfahrung. Und trotzdem ist er ein kompletter Vollidiot geworden. Davor ist kein Mensch sicher, passt gut auf, dass euch das nicht passiert."

Plötzlich tut mir mein Pöbel-Freund leid

Okay, das mit der Deeskalation hat nicht so richtig geklappt, ich arbeite dran. Jetzt hat mein Pöbel-Freund genau das, was er wollte: Eine Auseinandersetzung. Vermutlich der Höhepunkt seines Tages.

Ich schaue ihn mir noch einmal an, wie er schnaubend vor mir steht und wieder "Du bist kein echter Mann!" zischt. Er ist vielleicht Ende Siebzig, ein gutes Stück kleiner als ich. In seinem Gesicht sehe ich grimmige Furchen um die Mundwinkel, aber keine einzige Lachfalte.

Ich versuche mir vorzustellen, wie er wohl aussähe, beim Lachen mit seinen besten Freunden, beim Spielen mit Enkelkindern, die ihn liebevoll "Opa" nennen, aber meine Fantasie reicht nicht aus. Und plötzlich tut er mir wahnsinnig leid. Genau das ist vermutlich seine einziger Kontakt zu anderen Menschen: beleidigen, pöbeln und dann wütend mit anderen Leuten streiten. Eine Art Fight Club der Seniorenklasse, um sich ein paar Minuten lang lebendig zu fühlen.

"Du weichgespülte Sau!"

"Ihr Leben muss sehr traurig sein.", sage ich, als ich wieder auf mein Rad steige. "Ich hoffe, Sie haben heute einen richtig guten Tag." Und das meine ich ernst, so herablassend das wohl für ihn klingt. Der Mann wird feuerrot im Gesicht und schnappt nach Luft.

"Du weichgespülte Sau!" höre ich ihn hinter mir leiser werden. Und dann die letzte Beleidigung, das Schlimmste, was man in seiner Welt einem anderen Menschen an den Kopf werfen kann:

"Du ... Du bist auch einer von diesen 'netten Männern'! Einer, der so 'richtig lieb' ist!"

"Schön wär's", denke ich beim Wegfahren. So gerne ich mir für den täglichen Kindertransport auf die Schulter klopfen würde: Das ist nicht herausragend nett von mir, sondern schlicht ein Job, den Millionen von Eltern jeden Morgen machen - Mütter und Väter. Und sich vor gemeinsamer Verantwortung zu drücken und nicht mit anzupacken - das wäre ja schließlich total unmännlich.

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