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Kopfkarussell-Kolumne Ich will deine Toleranz nicht

Ich will deine Toleranz nicht
"Toleranz" ist überbewertet und wird nicht immer korrekt verwendet.
© melitas / Shutterstock
Toleranz wird inflationär in Bezug auf jegliche Minderheiten verwendet. Dabei muss das, was gemeint ist, nicht übereinstimmen mit dem, was das Wort eigentlich aussagt.

"Für weniger Hass und mehr Toleranz" – solche und ähnliche Sprüche lesen sich zuhauf auf Internetseiten und in Büchern. Sehr gerne wird "Toleranz" auch wörtlich gepriesen, wenn es beispielsweise um geflüchtete Menschen, Queerness oder Kulturen geht, die ein Teil des ach so aufgeklärten Westens bis heute eher mit einer gerümpften Nase betrachtet – und bewertet. Dann sehr gerne gepaart mit: "Ich bin ja tolerant, aber …"

Wenn ich mir anschaue, wie ungemein tolerant so viele Menschen zu sein scheinen und sich dafür selbst und gegenseitig auf die Schulter klopfen, muss ich mich doch fragen: Wann wurde eigentlich "Akzeptanz" synonym mit "Toleranz"? Denn ich kann nur hoffen, dass es zu einer Verschmelzung beider eigentlich sehr unterschiedlicher Worte kam, andernfalls möchte ich mit all diesen "toleranten" Menschen möglichst wenig Kontakt haben. Dann nämlich, wenn wirklich die eigentliche Bedeutung von "Toleranz" gemeint ist, nach der etwas geduldet und ertragen wird, schlicht und einfach, weil man nicht viel dagegen tun kann. Wer mit der eigentlichen Bedeutung von "Toleranz" umherläuft, als würde er:sie nur auf den Nobelpreis für Menschlichkeit und Empathie warten, dem:der kann ich nur sagen: Ich will deine Toleranz nicht. 

Wer allerdings von "Toleranz" spricht und eigentlich "Akzeptanz" meint, über den:die freue ich mich. Jeder akzeptierende Mensch bringt uns einen Schritt näher an eine Realität, in der Gräueltaten nicht mehr die Aufmacher in den Medien darstellen. Darum meine Bitte: Verwendet dieses Wort, denn es ändert so vieles. Vielleicht kanntet ihr bisher den Unterschied zwischen Toleranz und Akzeptanz gar nicht.

Was beide Worte wirklich meinen

Wie so viele Worte in der deutschen Sprache haben auch "Toleranz" und "Akzeptanz" ihren Ursprung in der toten Sprache Latein. Und die Übersetzung beider Begriffe sagt eigentlich schon alles. "Tolerare" kann übersetzt werden als:

  • ertragen
  • aushalten
  • noch aushalten
  • erträglich machen

Verwenden wir eine der Übersetzungen doch spaßeshalber in einem Satz: "Ich halte es gerade noch so aus, diese zwei augenscheinlich homosexuellen Menschen beim Küssen zu beobachten." Ach, wie nett von dir! 

"Accipere" ist das lateinische Wort, von dem sich "Akzeptanz" ableitet. Die möglichen Übersetzungen klingen gleich schon ganz anders:

  • annehmen
  • übernehmen
  • vernehmen
  • verstehen

Die Verwendung einer der möglichen Übersetzungen führt im selben Beispielsatz zu einer vollkommen anderen Aussage: "Ich kann annehmen, dass sich zwei augenscheinlich homosexuelle Menschen vor mir einen Kuss geben." Wieder: sehr nett von dir, dieses Mal von meiner Seite mit weniger Sarkasmus.

Was an dieser Stelle ganz klar gesagt werden sollte: Mir persönlich ist es ziemlich egal, wie andere Leute zu meiner sexuellen Orientierung stehen – schließlich ist mir die anderer Menschen außerhalb des Dating-Kontexts auch ziemlich unwichtig. Auch gesagt werden muss, dass ich mir über diesen Umstand als Luxus im Klaren bin: Es kann mir persönlich egal sein, weil ich wenig zu befürchten habe als weißer cis Mann. Es gibt viele Menschen, deren sexuelle Orientierung, Herkunft oder Geschlechtsidentität von der sie umgebenden Gesellschaft nicht einmal toleriert, sondern aktiv und brutalst angefeindet wird. Eine von vielen Formen der Gewalt sind hierbei Worte. 

Deswegen ist es mir vielmehr wichtig, dass die Menschen die Tatsache, dass es unter anderem Kulturen, Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen gibt, zu denen man selbst vielleicht nicht immer Zugang hat, dies als Akzeptanz benennen können. Und die eben nicht und oftmals ungewollt ausdrücken: "Was du da machst, wie du bist, wie du lebst, das kann ich nur ganz schwer ertragen und eigentlich kann ich es in keiner Weise billigen, aber da ich nicht aktiv gegen dich vorgehen kann/will, muss ich da wohl durch."

Und das meint gar nicht, dass ein akzeptierender Mensch alles und jede:n gutheißen muss – das sollte ohnehin nicht das Ziel sein. Niemand kommt auf die Welt, um anderen mit dem eigenen Aussehen, Verhalten und Neigungen zu gefallen. Und seien wir ehrlich: Wer interessiert sich schon so wirklich für andere Menschen, die nicht im nahen sozialen Umfeld sind? Eben. Doch jemand, der:die "Akzeptanz" zeigt, weiß, dass die eigenen Werte, Normen und Vorstellungen von Menschenhand gemacht sind und niemand anderem aufgezwungen werden sollten. "Toleranz" suggeriert eher, dass alles, was die große Mehrheitsgesellschaft als "richtig" ansieht, auch unreflektiert genau das sein und bleiben soll und Minderheiten jeder Art – wenn sie schon nicht unterdrückt und/oder angepasst werden können – dann eben zumindest missbilligend hingenommen werden müssen.

Die Macht der Worte

Worte haben Macht. Wir kommunizieren. Immer. Und wir können mit unserer Kommunikation anderen Menschen zeigen, dass wir sie sehen – oder dass wir es lieber nicht täten.

Deswegen gendern wir zum Beispiel hier (zum Glück!) auch. Wir verwenden Doppelpunkte, damit jede:r, auch die Menschen, die Texte von einer Computerstimme vorgelesen bekommen, diese Pause wahrnimmt, diese Schweigesekunde für all die Menschen, für die die deutsche Sprache gerade leider noch keine Worte hat. Menschen, die – ob manch andere:r es will oder nicht – zu unser aller Realität gehören, auch wenn einige Menschen es in ihrer langweiligen, schwarz-weißen, binären Welt aus Nullen und Einsen nicht einmal über sich bringen, diese Wahrheit auch nur zu tolerieren. Umso wichtiger also, weiterzumachen, jeden Tag. 

Damit irgendwann die Botschaft lautet: "Ich sehe und akzeptiere dich" – und eben nicht: "Ich dulde dich."

Verwendete Quellen: de.langenscheidt.com

Brigitte

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