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"Tragen Sie nicht mehr alles"

Frau in weißer Bluse
© Lipik Stock Media / Shutterstock
Die Modejournalistin und Diplom-Modedesignerin Elke Giese über guten Stil und die Mode als Chance, sich neu zu erfinden.

BRIGITTE WOMAN-Mitarbeiterin Katja Nele Bode sprach mit der 61-jährigen Elke Giese darüber, wie Frauen ab 40 Jahren ihren modischen Stil finden können. Elke Giese ist Diplom-Modedesignerin und Modejournalistin hat fast 20 Jahre lang das Ressort Mode beim Deutschen Mode-Institut (DMI) geleitet und für Industrie und Handel Trends analysiert. Seit Anfang des Jahres befasst sie sich im Rahmen des Projekts "Fashion Behavior Profiles 45-70" mit der Frage, welche Rolle Mode beim Älterwerden spielt.

BRIGITTE WOMAN: Frau Giese, wie können wir uns an heißen Tagen anziehen, ohne diesem ewigen Sommer-Trend nach zu viel nackter Haut nachzugeben?

Elke Giese: Der diesjährige Sommer ist Farbe. Ich hätte große Lust auf farbige Chinohosen. Pink, gelb und grün. Mit einer weißen Hemdbluse. Toll. Ich kann einen bequemen Schuh dazu tragen, und trotzdem sende ich ein ganz neues Signal. Oder ein weißer, ultraleichter Blazer, bei dem ich die Ärmel hochkremple. Da kann ich jede Figur haben, und ich würde mich perfekt angezogen fühlen. Oder eine lässige wild geblümte Bluse. Die neuen Print-Techniken schaffen Farb-Explosionen, die es so noch nicht gegeben hat. Das hat eine Lautstärke, die gute Laune macht und mit der man spielen kann. Dazu brauche ich kein Trägerkleid. Frauen können in diesem Sommer gut auffallen, ohne zu viel von sich zeigen zu müssen.

BRIGITTE WOMAN: Dass weniger nicht immer mehr ist - so richtig herumgesprochen hat sich das aber noch nicht. Gerade prominente Frauen zeigen viel nackte Haut ...

Elke Giese: Das sehe ich genauso. Da nimmt das Ausziehen sogar noch zu. Wenn eine ältere Schauspielerin ihre Arme zeigt, frage ich mich: Warum macht die das jetzt? Sie kann nie mit einer 25-Jährigen mithalten. Dieses Schaulaufen ist ein verzweifelter Versuch, mit der Jugend gleichzuziehen. Das kann nie gelingen. Aber ich erinnere mich an Iris Berben auf einer großen Gala im letzten Winter. Alle trugen die üblichen Fummel. Iris Berben aber trug ein weißes langes Kleid, hochgeschlossen, und wirkte wie eine griechische Göttin. Das blieb im Gedächtnis.

BRIGITTE WOMAN: Dieses Um-jeden-Preis-sexy-Sein, gerade wenn man älter wird, kann einen doch krank machen.

Elke Giese: Die Mode selbst finde ich gar nicht so sexualisiert. Das Zeigen von nacktem Fleisch kommt stark aus der Werbung, vom Privatfernsehen. Das mediale Bild der Frau ist extrem sexualisiert. Viele Frauen, eben auch jenseits der 50, glauben da irrigerweise mithalten zu müssen. Zuletzt waren ja Nappa-Leggings und mit Nieten besetzte Biker-Jacken heiß begehrte Looks. Die haben die Einzelhändler vor allem an Frauen verkauft, die 45 und älter waren. Da gibt es einen richtiggehenden Wettbewerb unter Frauen: Wer ist die Schärfste. Ich nenne das die Amerikanisierung des Äußeren, die die Frauen sich da aufdrücken lassen.

BRIGITTE WOMAN: Vertun die Frauen sich damit?

Elke Giese: Ich glaube schon. Ich denke, dass es sehr reizvoll und attraktiv sein kann, nicht so viel Haut und Fleisch zu zeigen. Ich weiß zudem, dass die meisten Männer das Nackte gar nicht so ansprechend finden. Trotzdem buhlen viele Frauen heute stark um Aufmerksamkeit. Und die Frage ist doch: Wie kriege ich die, auch wenn ich mich nicht zum Objekt style?

BRIGITTE WOMAN: Und? Wie kriege ich sie?

Elke Giese: Man muss sich damit abfinden, dass nicht mehr das passiert, was man als junge Frau kennt: Jemand dreht sich um. Tiefe Blicke in der Straßenbahn. Man bekommt selbst mit dem schönsten Schal nicht zurück, was einen früher mal glücklich machte. Dafür habe ich eine neue Freiheit. Ich muss jetzt nicht mehr so jung und lecker aussehen. Ich kann auch mal was Verrücktes anziehen, Dinge ausprobieren. Man ist frei von Bewertung, egal, ob man schöne Beine hat oder nicht.

BRIGITTE WOMAN: Sind Sie selbst experimentierfreudiger geworden?

Elke Giese: Ja. Ich habe im letzten Herbst die kürzesten Röcke meines Lebens getragen. Mit dicken Strumpfhosen und langen Stiefeln. Früher habe ich immer Blicke von hinten gefürchtet. Ich hasste meine Kniekehlen, dachte: "Die kannst du nicht zeigen. Zieh Hosen an." Ich habe die letzten 20 Jahre keine Röcke getragen. Jetzt waren mir meine Kniekehlen egal. Das hat mir unheimlich Spaß gemacht.

BRIGITTE WOMAN: Wofür standen bei Ihnen die kurzen Röcke?

Elke Giese: Aufbruch. Das Gegenteil von Verzweiflung. Es ist eine neue Situation. Die kann für manche Frauen sogar in einem Termin beim Schönheitschirurgen enden. Oder in der Lust, sich neu zu entdecken. Ich halte nichts von der Parole: "Die ist jetzt 40, die weiß jetzt, was ihr Stil ist." Wie aufregend war es jetzt für mich, schmale Kleider anzuziehen, Jacke dazu, und vor allem kurz. Eine Offenbarung: Man geht ganz anders. Jedes Kleidungsstück, ob kurz, lang, weit, schmal, erzeugt eine ganz eigene Bewegung.

BRIGITTE WOMAN: Es beeinflusst den Körper?

Elke Giese: Mode kann intensive Empfindungen schaffen. Wie reagiert mein Körper, wenn ich ein Kleid ausprobiere? Flache Schuhe oder hohe Absätze? Es ist sehr komplex, was Mode mit einem macht. Ich hatte plötzlich Beinfreiheit, konnte endlich ausschreiten.

BRIGITTE WOMAN: Wir sollten also selbst entscheiden, wann wir reif sind für einen Trend?

Elke Giese: Ja, denn diesen einstigen Zwang - jetzt muss ich den Rock kürzer machen, sonst bin ich von gestern - gibt es so schon lange nicht mehr. Ich habe den kurzen Rock natürlich entdeckt, weil er en vogue war. Aber der Trend wäre nicht zwingend für mich gewesen.

BRIGITTE WOMAN: Wie entwickelt man ein Gespür dafür, welcher Trend passt und welchen man besser durchwinkt?

Elke Giese: Wir reden ja über Frauen, die schon ein paar Jahre Erfahrung mit sich selbst haben. Man weiß, was einem gut steht, was nicht. Ich glaube, es haben sich im Laufe der Jahre Prioritäten herauskristallisiert: Wofür bekomme ich Bestätigung, was macht mich sicher? Ich denke, da existieren sinnvolle Neigungen, wenn auch nicht ein bestimmter Stil.

BRIGITTE WOMAN: Ein eigener Stil ist die hohe Schule, oder?

Elke Giese: Wenn wir über Stil reden, ist mir eines ganz wichtig: Stil ist nichts, was jenseits von Mode entsteht. Wir kennen diese anachronistischen Frauen, die ewig ihren Dreiviertelrock tragen oder die Avantgarde-Looks der 80er, die immer seltsam aus der Zeit gefallen wirken. Das hat nichts mit Mode zu tun. Wer auf Stil aus ist, muss Mode mit offenen Augen sehen, ihre Trends wahrnehmen. Blendet man sie aus, kann kein Stil entstehen.

BRIGITTE WOMAN: Das ist ja durchaus eine Aufforderung, zu gucken, was andere tragen, was die Designer entwerfen.

Elke Giese: Auf jeden Fall. Mode ist ein ganz wichtiger Aspekt der Gegenwart. Für mich gehört zu einer modernen Persönlichkeit auch eine Aufgeschlossenheit für Mode. Doch Vorsicht: Es ist elementar, einen Trend individuell und klug zu adaptieren. Man muss es schaffen, eine besonders gute Verbindung zwischen Charakter, Physis und Kleiderwahl zu treffen.

BRIGITTE WOMAN: Was ist mit den Frauen, die gar nicht mehr so viel Lust auf Mode haben?

Elke Giese: Aus meiner Sicht haben die Frauen fast keine Wahl mehr: Der gesellschaftliche Druck, modisch und attraktiv zu bleiben, steigt enorm. Wir müssen inzwischen bis 67 arbeiten. Der Rückzug in den eigenen Garten oder ins Private ist nicht angesagt. In der Öffentlichkeit setzen ältere Leitfiguren wie Hannelore Elsner oder Senta Berger neue Maßstäbe. Schmale Hosen, lange Stiefel, Leggings - ich sehe viele Frauen jenseits der 50, die sich so kleiden. Das zurückgezogene Dasein möchten die wenigsten Frauen noch leben. Modisch dranzubleiben ist dadurch fast eine Notwendigkeit geworden.

BRIGITTE WOMAN: Im Moment wird schlichtes, klares Design sehr gefeiert. Finden Sie das spannend?

Elke Giese: Ja, das kann man immer tragen. Aber man muss dafür eine Persönlichkeit sein. Da muss ein guter Kopf obendrauf sitzen. Darin liegt ja auf der anderen Seite der Erfolg der sehr dekorativen Mode: Die Frauen haben das Gefühl, sie bräuchten diesen Schmuck. Weil sie selbst nicht attraktiv genug sind. Das brutalste Beispiel dafür sind die Swarovski-Applikationen auf einem T-Shirt, die auf der Brust prangen. Wer sich dagegen schlicht und simpel kleidet, braucht Selbstbewusstsein, einen guten Friseur und den richtigen Lippenstift. Wenn eine Frau jedoch mehr Dekoration möchte, würde ich ihr das nie ausreden. Mode funktioniert immer in Addition mit der Persönlichkeit. Erst wenn beides zusammenspielt, schafft man Eindruck. Alles andere ist Laufsteg. Dann kann eine tolle Frau auf der anderen Straßenseite stehen. Wenn sie aber näher kommt und nichts ausstrahlt, dann bleibt auch ihre Gucci-Tasche bedeutungslos.

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Interview: Katja Nele Bode Fotos: Corbis Ein Artikel aus BRIGITTE WOMAN, Heft 07/2011

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