KW02

Unmöblierte Umnachtung

Alan Schweingruber im Interview

Abhängigkeit, Betrug und enttäuschte Hoffnungen – Markus Ramseiers jüngstes Prosastück «In einer unmöblierten Nacht» erzählt die klassische Liebesgeschichte eines ungleichen Paares. Dabei umschifft der Roman mehr schlecht als recht die Gefahr, sich in vorgespurten National- und Genderstereotypen zu verkanten.

Von Anna Larcher
11. Januar 2019

Es ist der Schweizer Arbeitsfleiss, der in Markus Ramseiers neuem Roman «In einer unmöblierten Nacht» gestalt- und schicksalshaft, kurzgefasst: allegorisch wird. Der Text beginnt mit der Beschreibung einer Plastik einer Ameisenkönigin: halb Mensch, halb Tier, in ihren Händen die weltliche und kirchliche Macht haltend, vor ihr eine Schar kleiner Arbeiterameisen. Sie hat das gegensätzliche Liebespaar des Romans zusammengebracht: die Hauptfigur Yana, eine mittellose Dolmetscherin aus der Ukraine, und Victor, schweizer Geschäftsmann und Kunstsammler. Auf die erste Begegnung an einer Kunstauktion in Moskau folgt eine wilde Tanznacht, die in Yanas Umzug in die Schweiz und Hochzeit mit Victor resultiert. Doch schon von der ersten Seite an treten die Abgründe der vermeintlichen Paaridylle ans Licht, die dieser einen leidenschaftlichen Nacht entsprang.

Überstrapazierte Symbolik vs. beachtliche Stilistik

Die Figur der Ameisenkönigin fungiert aber nicht nur als Schaltelement der Liebesgeschichte und als Allegorie des schweizerischen Arbeitsethos, sondern zieht sich als Leitmotiv durch den gesamten Roman. Sowohl Vic, Vertreter des helvetischen Leistungsprinzips, als auch seine Mutter, Meisterin der Pedanterie im Gugelhopfbacken und Marmelade einkochen, gehen in der Figur auf. Als ästhetisches Objekt, das erzählerisch in einen Kunstdiskurs um Wahrhaftigkeit und Originalität eingeflochten wird, darf die Ameisenkönigin dann auch über die ihr eignende Künstlichkeit eine figurale Brücke zur Entlarvung von Vics Doppelleben schlagen. Die Tragfähigkeit der Allegorie leidet jedoch an der Bandbreite, für die sie bemüht wird – ein Gebrechen, an dem auch andere Stilmittel der Erzählung leiden.

Zum Autor

Markus Ramseier, 1955 in Liestal geboren, studierte Germanistik, Anglistik und Romanistik an der Universität Basel. Er promovierte 1985 über Mundart und Standardsprache im Schweizer Radio und arbeitete u.a. als Journalist, Redakteur, Lehrer, Lektor, Flurnamenforscher und Leiter des Dichter- und Stadtmuseums Liestal. Ramseiers Prosawerk umfasst fünf Romane, darunter «Vogelheu», Kurzgeschichten und Mundart-Texte. Er wurde mehrfach als Autor ausgezeichnet, so 2014 mit dem Kulturpreis Basel-Land.

Als bemerkenswert zeichnet sich demgegenüber Ramseiers Sprachkunst aus, die seinen Roman immer wieder in ein Panorama detailreich geschilderter Landschaften verwandelt. Darüber hinaus schreibt sich «In einer unmöblierten Nacht» mit wiederkehrenden Einschüben im Baselbieter Dialekt sukzessive in die Schweizer Mundartliteratur ein.

Von Vielschichtigkeit zu plakativen Stereotypen

Die Fixierung des Zusammenhangs zwischen Sprachkunst und sich aus ihr entfaltender Erzählwelt macht dabei leider vor den Dialogen halt, die nicht selten floskelhaft bleiben. Mit der Figurenrede rutschen allerdings auch die Charaktere selbst zunehmend in klischierte Stereotypen ab. Gibt anfangs Yanas Innenleben noch einer empathischen Lektüre Raum und lässt sich Vics Tatendrang zunächst noch tatsächlich erfühlen, so wird die vielschichtig angelegte Figurenzeichnung im weiteren Handlungsverlauf zur plakativen Darstellung schematisiert. Paradigmatisch lässt sich diese Entwicklung am zentralen Topos des «Fremdseins» nachvollziehen: Folgt man Yana zunächst vom Galaanlass über Apéros bis zur nächsten «Hundsverlochete» und entwickelt ein Sensorium für ihr Fehl-am-Platz-Sein, beobachtet man dann im Weiteren ihre Gehversuche in der fremden Sprache («Afürle, abtüschle, blüeje») – so lässt einen der Roman mit diesem Narrativ irgendwann völlig allein. «Integration» gelingt oder scheitert hier nicht, sondern versandet schlichtweg im Erzählgetriebe. Das mag eine poetische Konsequenz in sich bergen, in dramaturgischer Hinsicht resultiert hieraus jedoch ein jäher Spannungsabfall.

Quo vadis?

Bleibt die Frage, was für eine Liebesgeschichte hier erzählt wird. Ihr Gerüst ist dem klassischen Erzählschema der ungleichen Liebe nachgebildet: Reicher Mann heiratet bedürftige Frau, deren Hoffnungen und Ideale in Folge enttäuscht werden. Interessant würde eine solche Konstellation erst durch eine intensive Ausleuchtung der Figuren in ihrer jeweiligen Handlungsmotivation, die aber zumindest auf der Seite des Mannes – Vic – nahezu völlig unterbleibt. Hält er an der Ehe fest, um seine Homosexualität zu vertuschen oder um seiner toten Mutter den Enkelwunsch zu erfüllen? Auf der anderen Seite folgt auch die Frauenfigur in ihrer Entwicklung einer doch sehr verkürzten, mechanisch anmutenden Logik: Das Beziehungsunglück stösst Yana aus der Sinnkrise in die erlösenden Arme eines Försters. Für diesen gibt sie ihr Berufsleben auf, um ihr Glück in Mutterschaft und in der Znüni-Zubereitung für ihren «Daddy comes first»-Traummann zu finden. So lässt sich im besten Falle am Ende konstatieren, dass «In einer unmöblierten Nacht» ein Roman ist, der das Klischee affirmativ aufnimmt, weil es ein wirkliches, ein gelebtes Klischee ist. Im schlechtesten Falle hat man es hier aber vielleicht einfach nur mit einem Roman zu tun, der sich in den Klischees von Figuren und Handlungssträngen unglücklich verfangen hat.

Markus Ramseier: In einer unmöblierten Nacht. 285 Seiten. Innsbruck: Haymon Verlag 2018, ca. 25 Franken.

Zum Verlag