Figaro verkörpert den jahrhundertealten Typus des schlauen Dieners, der sich im Lauf der Theaterhandlung seinem, meist durch eine Liebesaffäre verblendeten, Herrn als überlegen erweist. Bei Beaumarchais zeichnet er sich obendrein durch besonderen Charme und Dreistigkeit aus, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich der Autor mit dieser Figur selbst stilisiert hat (Figaro = Fils Caron)
Beaumarchais’ “Hochzeit des Figaro” ist eigentlich die Fortsetzung des großen Erfolges “Der Barbier von Sevilla”. Seit der Hochzeit des Grafen sind drei Jahre vergangen. Damals hat er auf seinem Landsitz das “ius primae noctis” abgeschafft – das alte Recht jedes Gutsherrn, die Hochzeitsnacht mit seinen weiblichen Bediensteten zu verbringen. Anlässlich der bevorstehenden Hochzeit Figaros mit der Kammerzofe Susanne bereut der Graf allerdings seinen Entschluss und zeigt deutliche Absichten auf die Braut. Deshalb muss sich Figaro immer neue Listen ausdenken, um die eigene Hochzeit zu sichern und den Grafen nicht zum Zug kommen zu lassen.
Im Gegensatz zum “Barbier” intrigiert Figaro nun aber nicht für, sondern gegen seinen Herrn, wobei ihm weniger sein Geschick als eine Reihe von Zufällen hilft. “Figaro intrigiert gewissermaßen auf Verdacht, um nichts versäumt zu haben. (…) Er siegt, weil er sich in keiner Lage aufgibt, nicht weil er jede Lage beherrscht.” (Miller)
Beaumarchais’ Figaro-Stück war für die damalige Zeit, das letzte Jahrzehnt vor der Französischen Revolution, eine hochpolitische Sache: Ein gewitzter Diener, Angehöriger des bürgerlichen Standes, führt einen Aristokraten an der Nase herum. Der Autor rechnet kräftig mit Justiz und Zensur ab, wobei er Figaro die GeseIlschaftskritik in den Mund legt: “Nein, Herr Graf, Ihr werdet sie nicht bekommen …(…) Ihr habt Euch die Mühe gegeben, geboren zu werden, weiter nichts; im übrigen seid Ihr ein recht gewöhnlicher Mensch!”
Trotz des versöhnlichen Schlusses – Figaro heiratet schließlich Susanne, der geprellte Graf wendet sich wieder seiner vernachlässigten Gattin zu – war es für Beaumarchais nicht einfach, sein Stück aufzuführen. Schon 1778 bemühte er sich, es durch die Zensur zu bringen, was ihm erst nach zähem Ringen gelang. Der König (Louis XVI) verhinderte die öffentliche Uraufführung sechs Jahre lang, wohl deshalb, weil er sich der Brisanz der Thematik bewusst war.
Der Rest ist Theatergeschichte: Das Stück wurde einer der größten Bühnenerfolge des 18. Jahrhunderts. Kein Wunder, dass sich Mozart, mit seinem sicheren Instinkt für gute Stoffe, schon zwei Jahre nach der Uraufführung (1786) von Lorenzo da Ponte ein Libretto für seine Oper “Le Nozze di Figaro” schreiben ließ. Die Mozart-Oper ist und bleibt, zumindest außerhalb Frankreichs, die berühmteste aller Fassungen. 1792 verfasste Beaumarchais als dritten Teil seiner “Figaro”-Trilogie das heute völlig vergessene Rührstück “Die schuldhafte Mutter”, ohne an die Erfolge des “Barbier” und des “Figaro” anknüpfen zu können. Immer wieder ist der Figaro-Stoff bearbeitet worden, z.B. auch 1937 von Ödön v. Horváth, der mit “Figaro lässt sich scheiden” eine moderne Fortsetzung schrieb.
Literatur: Kindlers Literaturlexikon, Zürich 1976.
Norbert Miller: Nachwort zur Gesamtausgabe der Figaro- Trilogie, FrankfurtlMain 1976.
Heinz Kindermann: “Leidensgeschichte und Triumph”, aus: Theatergeschichte Europas, Band IV, Salzburg 1961
Kommentar Regie
Über Turrinis Beaumarchais-Bearbeitung:
"Natürlich wollte ich dem Meister Beaumarchais nichts am hochberühmten Zeug flicken. Ich habe seinen Stoff genommen, um damit etwas auszuprobieren: das Verhältnis von Witz und Macht." (Peter Turrini, 1972)
Dieses Wechselspiel zwischen Witz (verkörpert durch Figaro) und Macht (in der Person seines Herrn, des Grafen Almaviva) ist es auch, was den " Tollsten Tag" weit mehr werden lässt als eine respektlose Klassikerpersiflage. Die sprühenden Wortgefechte decken den wahren Konflikt nur ungenügend zu; das fast spielerische Geplänkel Susannes und Figaros um die Heiratserlaubnis des Grafen wird urplötzlich bitterer Ernst.
Dazu schreibt Turrini: "Bei Beaumarchais besiegt der Witz die Gewalt, Figaro den Grafen. Ich verstehe das als ein Kriterium der Komödie, gemessen an den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen halte ich es für eine Illusion."
Der Realist Turrini zerstört diese Illusion und führt die Komödie zu einem für ihn logischen Ende: Figaro tötet den Grafen im Affekt und flieht mit Susanne in eine ungewisse Zukunft.
Hierin unterscheidet sich "Der tollste Tag" inhaltlich am stärksten vom Original. Das heutige Publikum interessiert die Grundthematik, die Überwindung der Aristokratie durch das aufsteigende Bürgertum, wohl eher wenig. Die Französische Revolution ist mehr als 200 Jahre vorbei. Machtspiele, Intrigen und gerissenes Taktieren haben nach wie vor Saison.
Turrini verschärft diese Aussage, indem er zeigt, wie man sich (auch heute noch) Liebe, ein Gerichtsurteil etc. mit dem nötigen Kleingeld erkaufen kann. Dazu dienen ihm besonders der Richter Don Guzman und dessen Schreiber Zettelkopf, zwei "Musterbeispiele" von korrupten Beamten:
Graf: Ich darf bemerken, dass Sie mir teuer zu stehen kommen, Herr Richter.
Don Guzman: Ich darf hinzufügen, dass eine erstklassige Gerechtigkeit ihren Preis hat, Herr Graf.
Kommentar Bühne H'stein
Der Autor Peter Turrini besuchte unsere Produktion sogar höchstpersönlich.
Als er bemerkte, dass die hinteren Zuschauerreihen fast leer waren, meinte er: "Wartet nur, bis ich tot bin - dann sind diese Reihen auch voll."
Besetzung
Backstage
Fotos Gesamt: 157