Im Juni 1989 besucht der sowjetische Staats-und Parteichef Michail Gorbatschow erstmals die Bundesrepublik. Dort wird er mit großer Begeisterung empfangen. Mit Gorbatschow und seinen Reformprogrammen Glasnost und Perestroika verbinden auch die Deutschen Hoffnungen auf Veränderung. Am Ende der Gespräche mit den Vertretern der Bundesregierung erklärt er, die Mauer könne verschwinden, wenn die Voraussetzungen entfallen, die sie hervorgebracht haben.

Am 19. September 1989 findet eine Veranstaltung der Gruppe „Neues Forum“, die für eine grundlegende Reformierung von Staat und Partei eintritt, und anderer Reformbewegungen statt. Ein Mitarbeiter der Ständigen Vertretung bewertet die Arbeit dieser Gruppierungen als weit entfernt von effektiver Oppositionsarbeit und sieht die Chancen für einen tatsächlichen Aufbruch in der DDR unrealistisch.

Am 26. Juni 1989 berichtet ein Mitarbeiter der Ständigen Vertretung über die wachsenden Probleme der DDR-Regierung. Der Reformdruck anderer Warschauer Pakt-Staaten, die Erwartungshaltung der eigenen Bevölkerung und die Forderungen nach Veränderungen aus dem Westen würden von der Staats- und Parteiführung beharrlich ignoriert, die weiterhin eine Erfolgsbilanz ihres Staates ziehe. Es wird auf eine depressive Grundstimmung im Land hingewiesen, die auf das Ausbleiben jeglicher Reformen zurückgeführt wird. Die depressive Grundstimmung in der DDR im Sommer 1989 äußert sich nicht zuletzt in den stetig steigenden Zahlen illegaler Ausreisen. Immer mehr Menschen demonstrieren gegen die Staats- und Parteiführung. Oppositionsgruppen, die tiefgreifende Reformen fordern, finden immer größere Unterstützung, die Bürgerbewegung wächst.

Die immer lauter werdenden Rufe nach Reisefreiheit und die zunehmende Zahl der DDR-Flüchtlinge zwingt die SED zum Handeln. Auf einer Pressekonferenz am 9. November 1989 verkündet Politbüromitglied Günter Schabowski, wohl versehentlich, ein neues Reisegesetz, das Ausreisen ohne Angabe von Gründen erlaubt, als „sofort-unverzüglich“ geltend. Viele DDR-Bürger wollen sich von der Richtigkeit der Aussage selbst überzeugen und strömen in Massen an die Grenzübergänge an der Berliner Mauer. Der Druck auf die völlig überforderten Grenzsoldaten wird schnell zu groß, sie öffnen die Schlagbäume und lassen die Menschen passieren. Die Mauer ist gefallen. Aus dieser unerwarteten Entwicklung entsteht eine neue Dynamik, die zu diesem Zeitpunkt ungeahnte Möglichkeiten der Deutschlandpolitik entfaltet. Die deutsche Teilung scheint nun nicht mehr unüberwindbar.

Wenige Tage nach dem Mauerfall wird Hans Modrow zum neuen Vorsitzenden des Ministerrats der DDR gewählt. In seiner ersten Regierungserklärung stellt er sein Programm zur Reformierung des sozialistischen Systems und der sozialistischen Gesellschaft vor. Er spricht von kooperativer Koexistenz und betont damit die Intensivierung der Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik und gleichzeitig das Fortbestehen der DDR. Seine Idee der „Vertragsgemeinschaft“ wird von Bundeskanzler Helmut Kohl aufgegriffen, der am 28. November 1989 sein 10-Punkte-Programm zur „Überwindung der Teilung Deutschlands“ vorstellt. Er spricht von konföderativen Strukturen, über die eine bundesstaatliche Ordnung erreicht werden könne. Die deutsche Einheit steht somit bereits im November 1989 auf der Tagesordnung. Die Frage ist nun, wann und auf welchem Weg sie erreicht werden kann.

Entgegen den öffentlichen Darstellungen der Regierung ist die wirtschaftliche Lage der DDR bereits im Sommer 1989 desolat. Der interne Bericht zur Vorlage an das Politbüro des Zentralkomitees der SED zeichnet ein „ungeschminktes“ Bild: Der Planungs- und Verwaltungsaufwand sei zu hoch, die Produktionsanlagen veraltet und die Verschuldung steige. Die Zahlungsfähigkeit der DDR wird ernsthaft in Frage gestellt.

Auf einer außerordentlichen Tagung des Zentralkomitees ziehen die Mitglieder des Politbüros und andere Funktionäre der SED Konsequenzen aus der Krise der DDR. Nach kontroversen Diskussionen wird beschlossen hochrangige Vertreter der Partei- und Staatsführung aus dem Zentralkomitee und der SED auszuschließen, darunter auch Erich Honecker und Erich Mielke. Das Zentralkomitee gesteht ein, Rechenschaft über die Probleme der DDR ablegen zu müssen und erklärt geschlossen seinen Rücktritt.

Im Dezember 1989 besucht Bundeskanzler Helmut Kohl erstmals die DDR. Bei Gesprächen mit Ministerpräsident Hans Modrow werden Verhandlungen über eine deutsch-deutsche Föderation bzw. Vertragsgemeinschaft vereinbart, um vor allem die wirtschaftliche Zusammenarbeit der beiden Staaten zu intensivieren. Im Februar 1990 reist Modrow zum Staatsbesuch nach Bonn, hier wird trotz anfänglich unterschiedlicher Vorstellungen Einigung über die Bildung einer Wirtschafts- Währungs- und Sozialunion zwischen beiden deutschen Staaten erzielt. Dem Kreditwunsch Modrows wird nicht entsprochen.

Am 7. Dezember 1989 treffen sich erstmals Vertreter aller „politisch relevanten Gruppierungen“ an einem zentralen Runden Tisch, um gemeinsam den Übergang zu einer neuen politischen Ordnung vorzubereiten. Dazu gehören auch Oppositionsgruppen, wie das Neue Forum oder Demokratie jetzt. In der Sitzung am 19. Februar 1990 liegen Anträge vor, die sich mit der Regelung von Eigentumsfragen befassen. Vertreter von Demokratie jetzt weisen auf die Ängste von DDR-Bürgern hin, Wohnungen und Häuser an deren ehemalige Besitzer zurückgeben zu müssen, die in den Westen übergesiedelt sind.

Am 18. März 1990 finden die Volkskammerwahlen in der DDR erstmals unter demokratischen Bedingungen statt; frei, gleich, direkt und geheim. Das neue Wahlgesetz vom 20. Februar 1990 erlaubt Parteien, Listen-verbindungen und Wahlbündnissen die Kandidatur. Die Bürger der DDR haben somit zum ersten Mal die Möglichkeit zwischen 24 Parteien und Bündnissen frei zu wählen. Bestimmt wird der Wahlkampf von der Frage nach der deutschen Einheit, er wird von den bundesdeutschen „Schwester“-Parteien personell und finanziell unterstützt.

Die Bürgerrechtsgruppen Neues Forum, Demokratie Jetzt und die Initiative Frieden und Menschenrechte bilden das Wahlbündnis „Bündnis 90“, um an der Volkskammerwahl teilzunehmen. Die Bewerber müssen sich bei der Wahlkommission registrieren lassen. Eine Sperrklausel gibt es nicht. Bündnis 90 erhält allerdings nur 2,9 Prozent der Stimmen, die Enttäuschung der Mitglieder ist groß. Die „Allianz für Deutschland“ - der Zusammenschluss von CDU, DSU und Demokratischem Aufbruch - erreicht 48,1 Prozent. Sie hat den strategischen Vorteil der politischen Nähe zu den Regierungsparteien im Westen für sich genutzt, denn vielen gilt der Bundeskanzler als Garant für Wohlstand auch im Osten Deutschlands. Die Wahlbeteiligung liegt bei 93,1 Prozent.

Am 6. April 1990 wird Sabine Bergmann-Pohl (CDU) zur Präsidentin der Volkskammer gewählt. Noch am selben Tag gratuliert der Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, in seiner Funktion als Bundesratspräsident, zu ihrer Wahl. Er betont die wichtigen Aufgaben, die in dieser Zeit der großen politischen Veränderungen mit ihrem Amt einhergehen.

Am 12. April 1990 wählt die Volkskammer Lothar de Maizère (CDU) zum Ministerpräsidenten. Gebildet wird eine große Koalition aus CDU, SPD, DSU, DA und Liberalen. Noch am selben Tag unterschreiben die Vertreter der Parteien, de Maizière, Markus Meckel, Hans-Wilhelm Ebeling, Rainer Eppelmann und Rainer Ortleb die Koalitionsvereinbarung. Die erste frei gewählte Volkskammer der DDR hat ein Mandat auf Zeit, denn ihr obliegt die rechtsstaatliche Vorbereitung und Durchführung der deutschen Wiedervereinigung.

Die von der Regierung de Maizière favorisierte Form der Einigung Deutschlands ist der Beitritt nach Artikel 23, nach dem sich die DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik anschließt. Auch die Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen befürworten nun mehrheitlich diese Lösung. Konrad Weiß, der dieser Fraktion angehört, will die Einigung jedoch mit einem Neuanfang verbinden und eine neue Verfassung für Gesamtdeutschland ausarbeiten lassen. Dazu notiert er am 31. Juli 1990 einen Ergänzungsvorschlag zum Einigungsvertrag. Er schlägt vor einen Verfassungsrat einzuberufen, der unter Berücksichtigung von Vorschlägen der Parteien und Bürger eine neue Verfassung ausarbeitet. Er wird später gegen den Einigungsvertrag stimmen.

Am 13. Juni 1990 wenden sich Fachausschüsse der Volkskammer und des Deutschen Bundestags an den Justizminister der DDR mit der Bitte, politische Urteile schneller zu überprüfen, zu Unrecht Verurteilte unverzüglich frei zu lassen und zu rehabilitieren.

Mit der Unterzeichnung des Vertrags über die Schaffung einer Wirtschafts- Währungs- und Sozialunion am 18. Mai 1990 übernimmt die DDR das Wirtschafts- und Sozialsystem der Bundesrepublik. Die DM wird als alleiniges Zahlungsmittel eingeführt, Löhne, Gehälter und Renten werden im Verhältnis 1:1 umgetauscht. Das Inkrafttreten des Vertrags am 1. Juli 1990 wird von den meisten DDR-Bürgern mit großem Jubel begrüßt. Die wirtschaftliche Eingliederung in die Bundesrepublik bedeutet auch die schnelle Umstellung von sozialistischer Planwirtschaft auf freie Marktwirtschaft, womit viele DDR-Bürger volle Schaufenster und neue Konsummöglichkeiten verbinden. Mögliche negative Folgen dieser Entwicklung werden zu diesem Zeitpunkt weitgehend ausgeblendet.

Die Wiedervereinigung ist nicht allein Sache der beiden deutschen Staaten, die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs haben noch immer die Entscheidungsgewalt über die Zukunft Gesamtdeutschlands. Im Rahmen der KSZE-Konferenz in Ottawa verständigen sich die Akteure auf die Formel zwei-plus-vier. Die Außenminister der Bundesrepublik und der DDR verhandeln mit gemeinsam mit ihren Amtskollegen aus den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion über die außenpolitischen Aspekte der Einheit Deutschlands. Am 21. Februar 1990 greift der Chef des Bundeskanzleramts einen Vorschlag von Ministerpräsident Modrow auf und bittet um die zügige Vorbereitung der vereinbarten Gespräche.

Mit der Unterzeichnung des Zwei-plus-vier-Vertrags am 12. September 1990 in Moskau durch die Außenminister Hans-Dietrich Genscher, Markus Meckel, Eduard Schewardnadse, James Baker, Douglas Hurd und Roland Dumas ist Deutschland ein souveräner Staat. Ein wichtiger Aspekt der Verhandlungen war die Bündniszugehörigkeit eines geeinten Deutschlands. Nach einem Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten Bush im Mai 1990 erkennt der sowjetische Staats-und Parteichef Gorbatschow die NATO-Zugehörigkeit an. Bestandteile des Vertrags sind außerdem der Verzicht Deutschlands auf chemische, biologische und atomare Waffen, die Reduzierung der Bundeswehr sowie der endgültige Verzicht auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete. Bereits am 22. Juni 1990 wird das Symbol für Teilung und Fremdbestimmtheit in der Mitte Berlins abgerissen. Die Außenminister der Zwei-plus-vier-Staaten bezeugen diesen symbolischen Akt.

Nach emotionsgeladenen Diskussionen und intensiven Beratungen stimmt die Mehrheit der Abgeordneten der Volkskammer in ihrer 30. Tagung am 23. August 1990 für den Beitritt zur Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetzes. Bedingung ist, dass die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, wie zum Beispiel die Gründung der Länder oder der erfolgreiche Abschluss der Zwei-plus-vier-Verhandlungen.

Zwei Tage nach der Entscheidung, am 25. August 1990, teilt Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl der Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth das Ergebnis der Abstimmung, den Beschluß der Volkskammer über den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik nach Artikel 23, mit.

Nachdem die wirtschaftliche Einheit bereits vollzogen ist, wird am 31. August 1990 im Kronprinzensaal in Berlin auch die staatliche Einheit Deutschlands ratifiziert. Das Vertragswerk umfasst rund 900 Seiten und enthält sehr viele Anpassungen und Regelungen, die nötig sind, um das politische und rechtliche System der Bundesrepublik auf das der DDR zu übertragen. Der Vertrag tritt am 3. Oktober in Kraft, der als offizieller Feiertag gesetzlich festgeschrieben wird.

Bei ihrer konstituierenden Sitzung hat die Volkskammer beschlossen, die Abgeordneten auf eine frühere Zusammenarbeit mit dem MfS überprüfen zu lassen. Der Abschlussbericht liegt allerdings erst am 28. September 1990 vor. Die Auflösung des MfS und seiner Nachfolgeeinrichtung fällt in den Aufgabenbereich von Innenminister Peter-Michel Diestel (DSU), der die Stasi-Akten, deren Vernichtung am 24. August gesetzlich unterbunden wird, nicht öffnen will. Dies fordern nach wie vor die Bürgerbewegung und der Vorsitzende des „Sonderausschusses zur Kontrolle der Auflösung des MfS/AfNS“ Joachim Gauck. Am 29. September wird er für das Amt des „Sonderbeauftragten für die Verwahrung der Akten und Dateien des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit“ vorgeschlagen, am 2. Oktober von der Volkskammer einstimmig gewählt, am 3. Oktober von Bundeskanzler und Bundespräsident in das Amt berufen.

Mutige Bürger in der DDR bringen im Herbst 1989 eine Entwicklung in Gang, die eine ungeahnte Dynamik entfaltet. Am 9. November erzwingen sie den Fall der Berliner Mauer. Nach dieser Nacht ist alles anders. Die neue Situation wirft komplexe Fragen auf, denn in den nächsten Monaten – viel schneller als anfangs erwartet, geht es darum, zwei ganz unterschiedliche Staats- und Gesellschaftsordnungen zu vereinigen – eine Aufgabe, für die es keine Vorbilder gibt. Konzepte für die Lösung von Problemen müssen immer wieder neuen Bedingungen angepasst werden. Außenminister Hans-Dietrich Genscher hofft auf eine Entwicklung ohne Sprünge, Bundeskanzler Helmut Kohl nennt die Situation gegenüber dem amerikanischen Außenminister James Baker eine Art Slalomfahrt. Die für diese Galerie ausgewählten Fotografien und Dokumente geben exemplarisch Einblick in Motive und Entscheidungen der politischen Akteure und dokumentieren die wichtigsten Etappen auf dem Weg zur Wiedervereinigung.