Vitra Design Museum
Der Garten des Versprechens – 4000 Quadratmeter wilde Natur

Der holländische Gartenarchitekt Piet Oudolf gestaltet beim Vitra Design Museum in Weil am Rhein 4000 Quadratmeter wilde Natur.

Benjamin Adler
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Vitra Campus: Noch ist Piet Oudolfs Wildnis eine wohlgeordnete Pflanzschule.

Vitra Campus: Noch ist Piet Oudolfs Wildnis eine wohlgeordnete Pflanzschule.

zVg

Sie gehört zum festen Programm einer Reise nach New York City – kaum ein Tourist, der nicht wenigstens einen Abschnitt davon beschritten hat. Die Rede ist von der High Line – der nach dem Central Park wohl bekanntesten Grünzone New Yorks. Aller Popularität zum Trotz dürfte der Name ihres Gestalters den wenigsten geläufig sein. Im Gegensatz zu den Stararchitekten leuchtet der Stern der Landschaftsgärtner vergleichsweise schwach und ihre Bekanntheit beschränkt sich auf eingeweihte Kreise.

Grund dafür dürften bei der High Line nicht zuletzt die wie selbstverständlich arrangierten Gräser und Büsche sein, die einen den gestalterischen Eingriff ganz vergessen lassen. Dabei ist das Setting, in dem Piet Oudolf sein bekanntestes Werk geschaffen hat, alles andere als selbstverständlich und natürlich. Immerhin reden wir von einer ehemaligen Zuglinie, auf der nun kilometerweit und mitten in der Megacity Präriegräser wachsen. Darin, perfekte Illusionen zu schaffen, liegt eine der grossen Begabungen Oudolfs.

Die Kunst, Widersprüche in Einklang zu bringen

Die Liebe zur Fauna entdeckte der Autodidakt Oudolf erst Mitte zwanzig. Nach und nach schuf er im niederländischen Hummelo einen viel beachteten Garten, der einiges vorwegnahm, wofür Oudolf heute steht: etwa die Kunst, Widersprüchliches in Einklang zu bringen. So stellte er stark in Form geschnittene, klassizistisch anmutende Hecken scheinbar wilden und naturbelassenen Bereichen gegenüber.

Oder auch die Verwendung ganz spezifischer Gräser und Stauden, die heute zu den sogenannten Signature Plants Oudolfs gehören – Pflanzen also, die in allen seinen Gärten eine zentrale Rolle spielen und Teil seiner Handschrift sind.

Das ganzjährige Erscheinungsbild einer Pflanze steht im Zentrum.

Jahrzehnte später gestaltet Oudolf seinen Garten radikal um. Gestutzte Hecken und fein säuberlich getrennte Pflanz­bereiche verschwinden. An ihre Stelle treten grosszügige Flächen, die von hohem Gras und blühenden Stauden überwachsen werden und an die Blumenwiesen Claude Monets erinnern. Naturbelassen und beinahe etwas vernachlässigt, aber umso sympathischer erscheint diese Schöpfung, mit der Oudolf praktisch das Zeitalter der Natürlichkeit im Gartenbau einläutet.

Dass es mit dieser Natürlichkeit nicht weit her ist, offenbart sich beim Blick hinter die Kulissen. Dieser Blick wird einem derzeit auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein gewährt, wo vor dem Vitrahaus von Herzog & de Meuron ein 4000 Quadratmeter grosser Garten entsteht.

Unzählige amöbenförmige Flecken wurden direkt auf der Erde farbig markiert, um den Gärtnern anzuzeigen, wo welche Pflanzen gesetzt werden sollen. Angesichts der über 30000 Stauden, für die Oudolf jeweils ganz bestimmte Standorte vorsah, bekommt man allenfalls eine vage Ahnung vom damit verbundenen Planungsaufwand.

Dabei geht es Oudolf nicht einfach darum, dass wie in Grossmutters oder -vaters Blumengarten von Frühling bis Spätsommer immer etwas blüht. Für ihn steht das ganzjährige Erscheinungsbild einer Pflanze im Zentrum des ästhetischen Erlebnisses. Die allfällige Blüte ist dabei nur ein Aspekt unter anderen. Oudolf interessiert sich ebenso so sehr dafür, wie die Pflanze aussieht, wenn sie im Herbst oder Winter abstirbt und wie sie sich in dieser Phase zu andern Pflanzen verhält.

Nach Oudolfs Auffassung gehört Braun ebenso wesentlich zu den Farben eines Gartens wie das von allen geschätzte Grün. Mit der ganzjährigen Orchestrierung der Pflanzenfarben und -formen ist die Gartengestaltung aber nicht abgeschlossen. Veränderungen, die sich etwa dadurch ergeben, wie sich Pflanzen vermehren und wie durchsetzungsfähig sie sind, führen über die Jahre hinweg zu einem sich stetig verändernden Erscheinungsbild.

Auch hier hat Oudolf klare Vorstellungen. In manchen Bereichen sind solche Dynamiken erwünscht, an andern Orten soll die Pflanzenwahl hingegen stabilisierend wirken. Wo die minutiöse Planung besonders gut gelungen ist, bringt sie sich quasi selber zum Verschwinden. Je kunstvoller der Eingriff, desto natürlicher das Erscheinungsbild des Gartens.

Im Fall des Perennial Garden auf dem Vitra Campus bietet sich nun die Gelegenheit, diesen gegenläufigen Bewegungen auf Schritt und Tritt zu folgen. Oudolf verspricht bei guten Bedingungen bereits im September ein erstes illusionistisches Aufflackern. Lassen wir uns überraschen, wann die Illusion dann so perfekt ist, dass wir beim Flanieren durch die wilde Natur den Gärtner und seine vielen Helferinnen und Helfer ganz vergessen haben.