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Business-Influencerin „Wir als Gesellschaft haben die Debattenkultur verlernt“

„Von Quotenfrauen und alten weißen Männern“: In ihrem neuen Buch fordert Microsoft-Führungskraft Annahita Esmailzadeh das Ende von Vorurteilen in der Arbeitswelt
„Von Quotenfrauen und alten weißen Männern“: In ihrem neuen Buch fordert Microsoft-Führungskraft Annahita Esmailzadeh das Ende von Vorurteilen in der Arbeitswelt
© Sapna Richter
Die Arbeitswelt ist durchsetzt von Vorurteilen, kritisiert die Autorin und Linkedin-Influencerin Annahita Esmailzadeh. Ihr Rat: Redet offen – und streitet euch

Capital: Hallo, Frau Esmailzadeh. Habe ich Ihren Namen so richtig ausgesprochen?
ANNAHITA ESMAILZADEH: Ja, das war korrekt.

Wie oft passiert es, dass Gesprächs- und Geschäftspartner Ihren Namen falsch aussprechen?
Immer mal wieder. Manchmal fragen mich Moderatoren vor einer Keynote, wie es richtig ist, und kündigen mich dann doch falsch an. Aber das ist okay. Eigentlich ist es ja respektvoll, diese Frage zu stellen. Andere Dinge stören mich da mehr.

In Ihrem neuen Buch geben Sie dazu ein Beispiel vom Beginn Ihrer Karriere.
Genau. In meinem ersten großen Job konfrontierte mich eine erfahrene Kollegin mit den Worten: „Dir ist schon klar, dass du mit dieser ganzen Schminke im Gesicht und deiner Wallemähne niemals von irgendeinem Kunden ernst genommen werden wirst, oder?“ Ich habe mich dann angepasst, meine Haare zurückgebunden und weniger Make-up getragen. Heute würde ich anders reagieren, aber damals war ich recht jung und wollte nicht riskieren, als inkompetent wahrgenommen zu werden.

Wie schaffen wir es besser, miteinander über unsere Vorurteile zu sprechen?
Wichtig ist, dass wir in den Dialog gehen und offen miteinander sprechen. Ich beobachte aktuell, dass immer mehr Feindbilder konstruiert und so immer härtere Fronten geschaffen werden. Es bilden sich Gruppierungen und Bubbles, die sich teilweise gegenseitig diskreditieren. Und genau das ist der Punkt, der die Debatte um Gleichberechtigung stört. Wir müssen in den Dialog kommen. Das geht aber natürlich nur, wenn wir uns wertschätzend und auf Augenhöhe begegnen. Wir sollten uns gegenseitig nicht zum Sündenbock machen. Und deswegen ist es auch so wichtig, Vorurteile ganz offen diskutieren zu können.

Wie kann das gelingen?
Vor einigen Wochen habe ich ein Streitgespräch mit Nena Brockhaus geführt. Wir haben beide über Stereotype geschrieben – und könnten in vielen Aspekten nicht gegensätzlicherer Meinung sein. Aber uns war es wichtig zu zeigen, dass wir nur mit einer offenen Debattenkultur überhaupt in den Austausch miteinander gehen können. Nur so können wir über den eigenen Tellerrand blicken. Das haben wir als Gesellschaft leider etwas verlernt. Aber genau das ist ja notwendig. Sonst halten wir uns nur in unserer eigenen Bubble auf, in der wir uns gegenseitig die ganze Zeit zustimmen und bestätigen. Dabei ändern wir überhaupt nicht unsere eigene Meinung, da wir uns nicht mit anderen Meinungen auseinandersetzen, sondern nur mit Gleichgesinnten.

Wie sollte ich mich gegen Stereotype wehren?
Ich bin kein Fan davon, Schuld bei Betroffenen zu suchen. Auch naive Mädchen sollten keine Opfer von sexuellen Übergriffen werden. Und genauso ist es bei Vorurteilen. Auch weniger schlagfertige Personen sollten keinem sexistischen, vorurteilsbehafteten oder diskriminierenden Verhalten ausgesetzt sein. Deswegen gefällt es mir nicht, wenn man die initiale Verantwortung bei Betroffenen sucht. Und dann argumentiert, dass es ja doch Menschen gebe, die schlagfertig genug seien, um sich dagegen zur Wehr zu setzen. Mein Tipp: Wer schlagfertig ist, sollte sich zur Wehr setzen. Man sollte aber auch immer darüber reflektieren, ob man selbst andere in eine Schublade steckt und was das mit dem anderen macht. Das liegt im eigenen Verantwortungsbereich.

Sie sprechen auch das Stereotyp vom alten weißen Mannan. Warum ist auch dieses Stereotyp falsch?
Aus meiner Sicht ist dieses Klischee eher schädlich. Damit wird assoziiert, dass alle alten weißen Männer ewiggestrig sind, das Patriarchat aufrechterhalten wollen, gegen Nachhaltigkeit sind. Damit tun wir genau das Gegenteil von dem, was wir eigentlich wollen – nämlich Menschen aufgrund von Eigenschaften, die sie sich nicht selbst aussuchen können, ihrer Hautfarbe, ihrem biologischen Geschlecht und ihrem Alter, über einen Kamm zu scheren. Aber Männer haben im Vergleich zu Frauen mehr Privilegien. Sie sind zum Beispiel seltener von Altersarmut betroffen und verdienen im Schnitt mehr. Und mit diesen männlichen Privilegien muss man sich auseinandersetzen, genauso wie man sich auch mit weißen Privilegien auseinandersetzen sollte. Das ist die Tatsache, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe Diskriminierung erfahren oder eben auch nicht erfahren. Und dieses Konzept von Privilegien ist relevant, weil wir Privilegien erst zu spüren bekommen, wenn sie uns fehlen. Ein Mensch, dessen Hautfarbe der gesellschaftlichen Mehrheit entspricht, hat noch nie erlebt, wie es ist, im Kindergartenalter mit „Hautfarben“ zu malen, die seine eigene ist. Und deswegen ist es wichtig, hinter die Ursachen zu schauen, die zu diesem Klischeebild geführt haben. Aber man sollte nicht Menschen über einen Kamm scheren, nur weil sie zufällig alt, weiß und männlich sind.

Was raten Sie Vorgesetzten, die Stereotype in ihrem Team bemerken und bekämpfen wollen?
Was ich bemerkt habe: Eine Führungskraft kann nur Klarheit in ihrem Team schaffen, wenn sie Klarheit über sich selbst hat – über die eigenen Stärken und Schwächen und auch über das eigene Zielbild. Und genauso ist es mit Vorurteilen. Eine Führungskraft kann Vorurteile nur aus dem Weg räumen, wenn sie selbst nicht vorurteilsbehaftet agiert. Dazu sollte sie sich laufend mit ihren eigenen Bias auseinandersetzen. „Unconscious Bias“ beschreibt kognitive Verzerrungen, denen ich ein Kapitel meines Buches gewidmet habe.

Ein Beispiel?
Sehr verbreitet ist etwa die Affinity Bias: Wir umgeben uns am liebsten mit Menschen, die uns selbst ähneln. Und das hat die Konsequenz, dass sich Konzepte wie die gläserne Decke bis heute gehalten haben. Die Top-Entscheider-Ebene ist immer noch sehr homogen. Menschen, die davon abweichen, schaffen es einfach viel seltener diese Decke zu durchbrechen. Je weiter man nach oben kommt, desto undurchsichtiger werden die Selektionskriterien, die zulassen, dass man aufsteigt. Und deswegen finde ich es sehr wichtig, dass Menschen vor allem in einflussreichen Positionen ihre eigenen Privilegien und auch ihre eigenen Bias kennen und sich damit auseinandersetzen. Denn: Sie entscheiden über berufliche Schicksale.

Die Wirtschaftsinformatikerin Annahita Esmailzadeh arbeitet bei Microsoft als Head of Customer Success Account Management im Bereich Chemicals & Energy. Auf Linkedin hat sie mehr als 160.000 Follower. Geboren wurde Esmailzadeh in München, wo sie als Tochter iranischer Einwanderer aufwuchs. Ihr Buch „Von Quotenfrauen und alten weißen Männern: Schluss mit Vorurteilen in der Arbeitswelt!“ ist bei Campus erschienen

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