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Kommentar Warum die Inflation sich bald wieder abschwächen wird

An der Tankstelle wird die Inflation besonders deutlich
An der Tankstelle wird die Inflation besonders deutlich
© Jürgen Held / IMAGO
Die Inflation lag im Oktober bei 4,5 Prozent. Schon wieder ist sie gestiegen. Doch wer darin einen klaren Trend sieht, der sich ungebremst fortsetzen wird, liegt daneben

Die Inflation ist diesen Monat auf 4,5 Prozent gestiegen. Ein weiterer Anstieg, waren es doch letzten Monat noch 4,1 Prozent und im August 3,9. Ist das jetzt schon ein klarer Trend wie bei den Corona-Infektionen, die exponentiell steigen – also auch in immer größeren Sprüngen im selben Zeitintervall?

Nein. Denn die Inflation verbreitet sich nicht wie ein Virus. Es gibt klare Gründe für die hohe Inflation. Sie werden dazu führen, dass es mittelfristig wieder etwas höhere Inflationsraten gibt als in den vorherigen Jahren mit sehr geringen Preissteigerungen und sogar kurzzeitiger Deflation, aber auch dazu, dass sich die Inflation ab dem Frühjahr wieder abschwächen wird.

Statistik: Inflationsrate in Deutschland von Oktober 2020 bis Oktober 2021 (Steigerung des Verbraucherpreisindex gegenüber Vorjahresmonat) | Statista

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Energiepreise treiben die Inflation

Dazu muss man sich nur einmal anschauen, wofür die Deutschen ihr Geld ausgeben. Denn anhand dieser Ausgaben eines Durchschnittsdeutschen wird hierzulande auch die Inflation berechnet. 8,5 Prozent gehen für Nahrungsmittel drauf, etwa 30 Prozent für weitere Waren, 20 Prozent für die Miete und nochmal 30 Prozent für weitere Dienstleistungen. Etwa ein Zehntel der Ausgaben entfällt aber auf Energie, mit der die Menschen ihre Wohnungen heizen und ihre Autos fahren.

Von all diesen Preisen sind vor allem die für Energie gestiegen – gegenüber Oktober 2020 um 18,6 Prozent. Dafür gibt es vor allem drei Gründe: Der erste ist ein rein statistischer. Die Energiepreise sind im vergangenen Jahr auf einen Tiefstand gefallen, in diesem Jahr vergleicht man nun die hohen Preise dieses Jahres mit den außerordentlich niedrigen Preisen des vergangenen Jahres. Das führt zu einer recht hohen Inflation, aber eben auch dazu, dass die Inflation im kommenden Jahr sinkt, wenn man die hohen Preise von morgen mit den ohnehin hohen Preisen von heute vergleicht.

Der zweite Grund für die hohen Energiepreise ist die große Nachfrage im wirtschaftlichen Aufschwung und eine Verknappung des Angebots durch Öl- und Gasanbieter. Wie es mit den Energiepreisen weitergeht, ist schwer vorherzusagen, doch sie werden nicht ewig weiter steigen, allein weil Öl- und Gasanbieter kein Interesse daran haben durch hohe Preise den Aufschwung abzuwürgen, der ihnen gerade so viele Abnehmer beschert. Manche Branchenkenner sprechen sogar schon davon, dass die Energiepreise ein Plateau erreicht haben.

Der dritte Grund ist der immer schnellere Umbau zur klimaneutralen Wirtschaft mit weiteren Steuern und hohen CO2-Preisen. Daran wird sich auch nichts ändern. Aber das reicht als alleiniger Effekt nicht aus, damit die Energiepreise die Inflation auf ähnlichen Höchstständen halten wie derzeit.

Mit Lieferengpässen steigt die Inflation

Wie ist es nun mit den anderen Dingen, die Menschen in Deutschland so kaufen, den 40 Prozent der Ausgaben für weitere Waren etwa? Oder denen für Dienstleistungen? Lebensmittel sind etwa 4,4 Prozent teurer als im Vorjahr, Dienstleistungen 2,4 Prozent.

Doch auch bei diesen Preissteigerungen gibt es wieder einen statistischen Effekt. Ein großer Teil der Waren ist von der Mehrwertsteuersenkung aus dem Vorjahr betroffen. Zwischen Juli und Dezember 2020 betrug sie 16 Prozent statt 19 Prozent. Das führte zu Preissenkungen im vergangenen Jahr. Zwischen Juli und Dezember dieses Jahres ist die Mehrwertsteuer wieder auf dem alten Satz von 19 Prozent.

Es werden also hohe Preise mit ziemlich niedrigen verglichen. Daraus resultiert ein starker Preisanstieg, also eine hohe Inflation. Im kommenden Jahr verschwindet auch dieser Effekt wieder, wenn Preise mit einer Mehrwertsteuer von 19 Prozent mit Preisen mit einer Mehrwertsteuer von ebenfalls 19 Prozent verglichen werden. Um diesen Effekt zu verstehen, genügt ein Blick auf die Inflationsraten vor dem Juli dieses Jahres.

Man könnte hier nun aufhören und sagen, die hohe Inflation verschwindet aufgrund dieser Basiseffekte dauerhaft wieder. Aber auch das wäre nicht ganz richtig. Schließlich bedingen nicht nur die Mehrwertsteuer und die Energiepreise höhere Preise.

Viele Unternehmen wollen wieder mehr produzieren, aber sie können nicht. Die Produzenten vieler Vorprodukte kommen nicht hinterher mit ihren Lieferungen. Holz, Schrauben, Computerchips – viele Produkte sind Mangelware. Es gibt auch nicht genügend Schiffe, die all die Waren um die Welt schippern können. Die Transportpreise von China nach Deutschland haben sich fast verachtfacht. Je länger das so bleibt, desto mehr Hersteller werden die Preissteigerungen bei Vorprodukten und Importwaren an ihre Kunden weitergeben. Dadurch steigen die Preise auch im kommenden Jahr. Aber auch das kann sich wieder ändern, wenn der weltweite Warenverkehr sich im Laufe des kommenden Jahres langsam wieder normalisiert.

Ohne steigende Löhne keine Inflation

Damit die Inflation dauerhaft hoch bleibt, müsste sich die Inflation selbst immer höher treiben, so wie sich ein Virus ausbreitet, wenn immer mehr Infizierte immer mehr Gesunde anstecken. Bei der Inflation heißt dieser Effekt Lohn-Preis-Spirale : Die Preise steigen, Arbeitnehmer fordern höhere Löhne und dann steigen die Preise weiter, weil die Menschen ihr ganzes Geld für knappe Güter ausgeben, woraufhin die Arbeitgeber wieder die Löhne erhöhen.

Doch noch sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den wenigsten Branchen knapp. Die Arbeitslosigkeit ist noch höher als vor der Krise. Einige hunderttausend Menschen sind noch in Kurzarbeit. Unter solchen Umständen ist es schwer für Gewerkschaften, höhere Löhne durchzusetzen. Erwerbstätige werden eher knapp, wenn die Babyboomer in Rente gehen und flächendeckend und branchenübergreifend Personal gesucht wird. Dieser Effekt treibt die Inflation, aber nicht mehr in diesem Jahr oder Anfang des kommenden Jahres.

Er wird aber in wenigen Jahren dafür sorgen, dass die Löhne steigen und Unternehmen die höheren Lohnkosten auch durch höhere Preise weitergeben. Das könnte zu einer dauerhaft etwas höheren Inflation führen. Aber das ist kein Effekt, der sich derzeit schon abzeichnet.

Außerdem: Genauso wie die Gesellschaft die Verbreitung eines Virus mit Lockdowns oder Impfungen bekämpfen kann, so könnte die EZB die Inflation mit einer strafferen Geldpolitik im Zaum halten, falls eine Lohn-Preis-Spirale wirklich in Gang kommt. Derzeit tut sie das noch nicht, was viele Kommentatoren schnell zur EZB-Kritik treibt. Doch auch das ist in Ordnung: Gegen eine Inflation durch Lieferengpässe oder Steuererhöhungen kann die EZB nämlich wenig ausrichten, sie könnte aber den Aufschwung abwürgen wie nach der Finanzkrise. Das wird sie wohl kaum tun.

Wir werden daher wohl noch einige Monate mit hohen Inflationsraten leben müssen, doch fast alles spricht dafür, dass die Inflation im kommenden Jahr wieder sinkt. Null Prozent oder ein Prozent Inflation sind vielleicht nicht mehr drin, sondern eher eine Inflation über zwei Prozent. Gefährlich ist das nicht. Vor allem aber ist es kein ungebremster Trend nach oben.

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