Genomische Selektion in der Pferdezucht
Das Pferde-Genom

Mit der genomischen Selektion steuern Züchter, ob ein Fohlen gut springt, Dressurtalent hat oder krank werden könnte. Schaurig oder verheißungsvoll?

Genetische Selektion in der Pferdezucht
Foto: Lisa Rädlein

Lackschwarz, fuchsfarben oder braun? Welche Farbe wird das Fohlen haben? Was bislang für Züchter eher ein Ratespiel war, kann nun vorhergesagt werden. Und nicht nur das: Wer wissen möchte, ob das Kleine groß genug wird oder das Zeug zum Springpferd hat, muss sich nicht mehr mit Hoffen und Bangen abfinden, sondern kann online mit einem Klick einen Test in Auftrag geben und Gewissheit erlangen. Klingt nach schräger Zukunftsmusik? Ist bereits Realität.

Download
Genomische Selektion
Was aus dir wird, verraten deine Gene
Genetische Selektion in der Pferdezucht
Mit der genomischen Selektion erfahren Züchter, ob ein Fohlen gut springt, Dressurtalent hat oder krank werden könnte. Schaurig oder verheißungsvoll?
nur2,99

Nach dem Kauf erhältst du eine E-Mail mit einem Link zum PDF-Datei Download oder kannst die Datei direkt hier auf der Webseite herunterladen.

Genetische Selektion in der Pferdezucht
Lisa Rädlein
Was hat die Stute ihrem Fohlen wohl vererbt? Ein Gentest verrät es.

Das Verfahren, mit dem künftige Eigenschaften eines Fohlens bestimmt werden können, ist die genomische Selektion. In der Rinderzucht bereits seit geraumer Zeit mit Erfolg angewendet, hilft sie, Elterntiere gezielter zu verpaaren. Als es Wissenschaftlern 2009 gelang, das Pferde-Genom zu entschlüsseln, war das eine Sensation: Nun gab es auch beim Pferd eine Grundlage, um Verhaltens- und Leistungseigenschaften, aber auch Krankheiten zu erforschen – und entsprechend zu selektieren.

Aufwändige Entschlüsselung

Das Pferde-Genom ist zu 85 Prozent identisch mit dem des Menschen. Es enthält alle Erbinformationen (DNA) und befindet sich im Zellkern jeder einzelnen Zelle. In der DNA werden Stellen identifiziert, die genetische Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zwischen Individuen aufzeigen – zum Beispiel SNP-Marker: Ein Set von wenigen Hundert reicht aus, um einen genetischen Fingerabdruck für ein Pferd zu erstellen und die Abstammung nachzuweisen. Es gibt jedoch Tausende von SPN-Markern. Welche davon wertvolle Hinweise liefern, muss im Labor in den meisten Fällen zunächst aufwändig analysiert werden. Doch manche SNPs lassen sich ganz einfach auslesen: etwa jene, die auf die Farbvererbung oder Erbrkankheiten hinweisen. Künftig werden SNPs auch Hinweise zu Verhaltens-, Leistungs- und Exterieur-Merkmalen liefern.

Eine verlockende Vorstellung für Reitpferdezüchter. Doch die genomische Selektion in der Pferdezucht zu etablieren, schien zunächst nicht realisierbar. Denn um herauszufinden, welcher Marker auf welche Eigenschaft hinweist, müssen sowohl die Genprofile als auch Daten zu den interessanten Merkmalen (etwa Eigen-, Verwandtschafts- oder Nachkommensleistungen) von vielen Pferden gespeichert und verrechnet werden. Ein Mammut-Projekt.

Das forschungsfreudige Schweizer Nationalgestüt startete 2009 die Studie "Genomische Zuchtwertschätzung und Selektion beim Freibergerpferd". Die Erbgutinformationen von 1 200 Pferden wurden auf genetische Marker für bestimmte Merkmale untersucht. Das Ergebnis: Es wurden ursächliche Genvarianten für diverse Merkmale, wie Widerristhöhe, Korrektheit der Gänge oder weiße Abzeichen gefunden.

Zuchtverbände legen los

Fördermittel, um die genomische Selektion in der Pferdezucht voranzutreiben, standen in Deutschland für das Nicht-Nutztier Pferd nicht zur Verfügung. Einzelne Zuchtverbände sahen sich nicht in der Lage, die nötigen Ressourcen aufzubringen und den Datenpool aufzubauen. Schließlich taten sich 2017 fünf Verbände zusammen: Der Verband der Züchter des Oldenburger Pferdes e. V., der Springpferdezuchtverband Oldenburg-International e. V., das Westfälische Pferdestammbuch e. V., der Trakehner Verband e. V. und der Verband der Züchter des Holsteiner Pferdes e. V. gründeten die International Association of Future Horse Breeding (IAFH).

Ihr Ziel: Eine Datenbank zu erstellen und Auswertungsverfahren zu entwickeln, über die von genetischen Markern auf bestimmte Eigenschaften von Pferden geschlossen werden kann Fördermittel, um die genomische Selektion in der Pferdezucht voranzutreiben, standen in Deutschland für das Nicht-Nutztier Pferd nicht zur Verfügung. Einzelne Zuchtverbände sahen sich nicht in der Lage, die nötigen Ressourcen aufzubringen und den Datenpool aufzubauen.

Schließlich taten sich 2017 fünf Verbände zusammen: Der Verband der Züchter des Oldenburger Pferdes e. V., der Springpferdezuchtverband Oldenburg-International e. V., das Westfälische Pferdestammbuch e. V., der Trakehner Verband e. V. und der Verband der Züchter des Holsteiner Pferdes e. V. gründeten die International Association of Future Horse Breeding (IAFH). Ihr Ziel: Eine Datenbank zu erstellen und Auswertungsverfahren zu entwickeln, über die von genetischen Markern auf bestimmte Eigenschaften von Pferden geschlossen werden kann (siehe Grafik).

Genetische Selektion in der Pferdezucht
CAVALLO
Was können Gene zeigen?

Mit ins Boot geholt wurde deshalb der IT-Dienstleister Vereinigte Informationssysteme Mit ins Boot geholt wurde deshalb der IT-Dienstleister Vereinigte Informationssysteme Tierhaltung w. V. (vit), der bereits für die Rinderzucht eine Genom-Datenbank aufgebaut hat. Dr. Kathrin Stock betreut dort das Vorhaben und hat es mitentwickelt. Sie berichtet, dass für das genomische Auswertungsverfahren bereits 5 000 Pferde erfasst sind.

"Seit 2021 bieten wir die Abstammungsüberprüfung an", so die Genetik-Spezialistin. Der nächste Schritt: Ab diesem Frühjahr können die Züchter der beteiligten Verbände über ihren Account wie in einem Online-Shop Laboruntersuchungen beauftragen. Möglich ist dies momentan für die Bestimmung der genetischen Fellfarbe und vererbten Größe des Tiers. Die Preise: zwischen 5,50 und 16,50 Euro je Merkmal. Voraussetzung für den Service ist eine SNP-Genotypisierung des Pferds. Hierfür liegen die (Einmal-)Kosten bei rund 20 Euro.

Das ganze Spektrum der Leistungs-, Exterieur- und Verhaltensmerkmale wird ab 2023 abfragbar sein. Dann könnten Züchter tatsächlich prüfen, ob ein Fohlen etwa die Veranlagung für eine hohe Vorhandmechanik im Trab oder eine gute Lastaufnahme der Hinterhand im Galopp in sich trägt. Doch wie sieht es mit den gesundheitlichen Aspekten aus?

Mit drin: Test auf PSSM2

Die Möglichkeit, gesundheitliche Anlagen zu analysieren, besteht. Die Untersuchung auf die vererbbare degenerative Muskelerkrankung PSSM2 kann bereits über den Züchter-Account beauftragt werden. Dafür wurde mit dem Tübinger Labor Generatio, welches sich das Europa-Patent für das Untersuchungsverfahren gesichert hat, eine Sondervereinbarung getroffen. Ein positives Ergebnis habe aber nicht zur Folge, dass das Tier von der Zucht ausgeschlossen wird.

"Wenn beispielsweise ein Hengst PSSM2-Träger ist, könnte er eine PSSM2-anlagefreie Stute decken", begründet dies Dr. Kathrin Stock. Das Wissen um die genetische Veranlagung mache es nun möglich, Anpaarungen so zu planen, dass dabei ein gesundes Fohlen herauskommt. Besonders groß sei das Interesse der Zuchtverbände daran, mehr über die Krankheit herauszufinden, um eine Verbreitung einzudämmen. Welche Hengste Träger sind, wird die Öffentlichkeit aber wohl vorerst nicht erfahren.

Genetische Selektion in der Pferdezucht
Lisa Rädlein
Braun, weiße Abzeichen, PSSM2-frei? Alles schon vorhersehbar.

Mehr Risiken als Chancen?

Die Erfassung der Genmarker biete erstmals die Gelegenheit, auch Gesundheitsdaten von Pferden zu erfassen, betont Dr. Kathrin Stock. Denn ob und wann etwa Körhengste und Auktionspferde, die röntgenologisch unauffällig waren, krank werden, liegt derzeit im Dunkeln. Inwieweit sich das Projekt der IAFH auf die Gesundheit der kommenden Generationen von Sportpferden auswirken wird, ist unklar.

Klar ist: Züchter werden künftig sicher wissen, welches Potenzial ihre Fohlen haben. Wer will dann noch ein Fohlen aufziehen, das die Züchterhoffnungen nicht erfüllt? "So weit wird es nicht kommen", ist Dr. Kathrin Stock überzeugt. "Denn jedes Pferd hat Schwächen, aber auch Stärken, die sich dann gezielt fördern lassen."

Kommentar

In dem, was dank der genomischen Selektion möglich wird, steckt in meinen Augen noch mehr "Frankenstein"- Szenario als Hoffnung. Bereits jetzt erschrecken mich die "Zuchterfolge": Etwa die Dresur-Cracks, die so extreme Bewegungen zeigen, dass ich mich frage: Wie kann ein Pferdekörper dieses Gangvermögen schadlos ertragen? Dank Gen-Analyse könnte das noch getoppt werden. Wird die Zucht zur Siegerpferde-Produktion? Pferd platt, Nächstes bitte? Wer denkt an die Freizeitreiter? Wir wollen Pferde mit gutem Charakter, die uns lange und gesund erhalten bleiben!

Genetische Selektion in der Pferdezucht
Lisa Rädlein
Nadine Szymanski, CAVALLO-Redakteurin

Nadine Szymanski, CAVALLO-Redakteurin

Die aktuelle Ausgabe
5 / 2024
 5 / 2024

Erscheinungsdatum 23.04.2024