Bianca Extra Band 108

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VERZAUBERTER SOMMER, VERBOTENE KÜSSE von SUSAN MALLERY
Nissas Sommerpläne fallen ins Wasser, und sie kommt vorerst bei ihrem Freund Desmond unter. Leider sorgt die plötzliche Nähe zu dem attraktiven, reichen und gutherzigen Desmond dafür, dass alte Gefühle in ihr erwachen. Damals interessierte er sich kaum für Nissa – hat sich das etwa geändert?

HERZKLOPFEN UND TRÄUME VOM GLÜCK von NINA CRESPO
Lachend lässt Rina sich ins Heu fallen. So aufregend dieser Sprung auch ist, in Scotts Armen kennt sie keine Angst! Bei ihm schlägt ihr Herz höher – doch Rina muss vorsichtig sein. Denn sie weiß, welche fatalen Folgen es haben kann, sich von romantischen Träumereien mitreißen zu lassen!

DEINE LIPPEN SCHMECKEN NACH SONNENSCHEIN von TERI WILSON
Feuerwehrmann Cap McBride kämpft schon mit genug Schwierigkeiten – und dann platzt auch noch Melanie in sein Leben. Sie ist felsenfest überzeugt, dass man selbst aus den sauersten Zitronen noch Limonade machen kann. Und ihr sonniges Lächeln weckt eine zärtliche Sehnsucht in Cap …

STÄNDIG ÄRGER MIT DEM TRAUMMANN von JUDY DUARTE
Mit dem staubigen Charme einer Ranch weiß Star-Anwalt Blake Darnell nichts anzufangen – und noch weniger mit Shannon! Ständig geraten er und das temperamentvolle Cowgirl aneinander. Noch hitziger als ihre Streits sind nur ihre prickelnden Küsse! Kann es für sie eine Zukunft geben?


  • Erscheinungstag 05.04.2022
  • Bandnummer 108
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507790
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Mallery, Nina Crespo, Teri Wilson, Judy Duarte

BIANCA EXTRA BAND 108

SUSAN MALLERY

Verzauberter Sommer, verbotene Küsse

Für Desmond ist dieser Sommer eine Tortur, denn er verbringt ihn mit der zauberhaften Nissa. Ständig fantasiert er davon, sie zu küssen. Dabei ist sie die kleine Schwester seines besten Freundes!

NINA CRESPO

Herzklopfen und Träume vom Glück

Die hübsche Konditorin Rina bringt Stuntman Scott um den Verstand! Gerne würde er ihr beweisen, dass sie sich auf ihn verlassen kann. Doch Rinas dunkle Vergangenheit steht ihrem Glück im Weg …

TERI WILSON

Deine Lippen schmecken nach Sonnenschein

Warum ist Cap nur so ein Miesepeter? Die Optimistin Melanie setzt alles daran, den attraktiven Feuerwehrmann aufzumuntern. Natürlich nur aus Freundlichkeit, denn mit der Liebe hat sie abgeschlossen!

JUDY DUARTE

Ständig Ärger mit dem Traummann

Der selbstbewusste Anwalt Blake geht Shannon gehörig auf die Nerven. Warum glaubt er, dass er sich in alles einmischen kann? Und warum kann sie an nichts anderes denken als an seine sinnlichen Lippen?

1. KAPITEL

NISSA

„Liebes, wir sind schwanger!“

„Wir?“, fragte Nissa Lang, von diesem „Wir“ mindestens genauso überrascht wie von der Neuigkeit an sich.

Mimi war Mitte vierzig, und soweit Nissa wusste, hatten sie und ihr Mann nicht vorgehabt, ein Kind zu bekommen. Sie kannte Mimi nur flüchtig, und das auch nur, weil sie deren Villa hüten würde, während das glückliche Ehepaar den Sommer in einer anderen Villa in Norwegen verbrachte. Dafür sollte sie fürstlich entlohnt werden. Das Geld war für ihren großen Plan gedacht, auf den sie sparte: Ich werde dreißig. Und um zu beweisen, dass mein Leben keine Katastrophe ist, verbringe ich nächsten Sommer drei Wochen in Italien.

Da das Arrangement vorsah, dass sie im Juli und August in besagter Villa wohnte, hatte Nissa ihr kleines Apartment untervermietet, was ihrem Sparkonto guttun würde. Jetzt schien es allerdings, als sollten ihre Pläne nicht aufgehen.

Mimi lachte. „Wir sind auch sprachlos. Wir hätten nicht gedacht, dass wir jemals Kinder haben würden, aber ich bin schwanger, und es ist einfach großartig! Ich rufe an, weil wir unsere Pläne jetzt natürlich ändern müssen. In meinem Alter und bei meinen früheren Fehlgeburten ist es eine Risikoschwangerschaft, und ich darf auf keinen Fall reisen. Also bleiben wir diesen Sommer zu Hause. Ich hoffe, dafür haben Sie Verständnis.“

Yep, da war es, das dicke Ende, das ihre Reiseträume ins Wanken brachte. Enttäuschung machte sich bei Nissa breit.

„Natürlich“, erwiderte sie trotzdem höflich. „Herzlichen Glückwunsch. Sie müssen überglücklich sein.“

Mimi verabschiedete sich und legte auf, und Nissa ließ sich aufs Sofa sinken und starrte auf die Umzugskisten, die in ihrer Wohnung herumstanden. Sie hatte angefangen, ihre persönlichen Dinge zusammenzupacken, damit das sympathische junge Paar, das demnächst für zwei Monate hier einziehen würde, mehr Platz hatte.

„So ein Mist.“ Was sollte sie denn jetzt machen? Anders als sonst hatte sie sich für diesen Sommer keinen Ferienjob gesucht.

Da sie mit ihrem Gehalt als Grundschullehrerin keine großen Sprünge machen konnte, nutzte sie die langen Sommerferien üblicherweise, um sich etwas dazuzuverdienen.

Es kam nicht infrage, ihre Italienreise zu verschieben. Vorletztes Jahr war ihre Verlobung in die Brüche gegangen. Davor war bei ihrer besten Freundin eine Nierenkrankheit festgestellt worden, die zum Tod führen würde, wenn sie nicht irgendwann ein Nierentransplantat bekam. Nissa wusste also aus Erfahrung, dass das Leben nicht immer so lief, wie man es sich wünschte. Wenn man Dinge zu lange aufschob, bestand die Gefahr, sie zu verpassen. Dieses Risiko wollte sie auf keinen Fall eingehen.

Von Italien träumte sie schon, seit sie vierzehn gewesen war. Sie hatte Reiseführer gewälzt, auf YouTube Reisevideos angeschaut und ihren Aufenthalt immer wieder neu geplant. Nächstes Jahr würde sie ihren dreißigsten Geburtstag in Italien verbringen. Basta.

Dumm nur, dass ihr Reisegeld gerade flöten gegangen war.

Sicher, sie sparte jeden Monat eine kleine Summe, aber das Leben in Seattle war alles andere als billig, und ihr Gehalt war keineswegs sechsstellig. Sie brauchte das Ferienjobgeld, um ihre Reise zu finanzieren.

Das Naheliegendste war, sich einen anderen Ferienjob zu suchen. Jetzt, Ende Juni, gab es allerdings kaum Auswahl, da auch viele Schüler und Studenten sich etwas dazuverdienen wollten. Das größere Problem bestand jedoch darin, dass sie in den nächsten zwei Monaten kein Dach über dem Kopf hatte.

Ihre Eltern würden sie sicher gern den Sommer über beherbergen, aber sie wohnten in einer Kleinstadt „hinter den Bergen“ im östlichen Teil Washingtons. Dort gab es garantiert keine Ferienjobs. Außerdem wollte sie nicht so weit von Marisol und deren Kindern weg sein. Schließlich konnte jeden Moment eine passende Spenderniere gefunden werden.

Bei Marisol zu wohnen, kam auch nicht infrage, deren Haus war winzig und bot kaum Platz für sie und ihre Kinder.

Es blieb also nur eins.

Nissa griff nach dem Handy und scrollte durch ihre Kontakte. Shane ging beim zweiten Klingeln ran.

„Hey, Kleines.“

Sie lächelte. „Du gibst wirklich gern den großen Bruder, was?“

„Tja, so bin ich halt.“

„Wieso bist du nicht im OP?“

„Bin gerade fertig geworden. Künstliches Kniegelenk. Der Patient wird begeistert sein vom Ergebnis.“

Shane war orthopädischer Chirurg. Er war vier Jahre älter und sehr ehrgeizig. Sie dagegen war in allem eher durchschnittlich und durchaus zufrieden damit. Sie musste nicht gleich die ganze Welt verändern, es reichte ihr, einen kleinen Teil davon etwas besser zu machen.

„Das freut mich für deinen Patienten“, erwiderte sie. „Ich muss für die nächsten zwei Monate bei dir einziehen. Und wehe, du sagst Nein. Du hast ein Gästezimmer. Das weiß ich, schließlich habe ich dir geholfen, es einzurichten.“

Sie ließ eine kurze Erklärung ihrer Situation folgen.

„Ich würde dir gern helfen, aber ich kann nicht.“ Shanes Stimme wurde fast eine Oktave tiefer. „Ich habe jemanden kennengelernt.“

Nissa verzichtete darauf, die Augen zu verdrehen, hauptsächlich, weil er es sowieso nicht sehen konnte.

„Shane, das ist eine Ausrede. Du hast immer gerade jemanden kennengelernt. Du verbringst dein ganzes Leben damit, jemanden kennenzulernen. Es ist der Teil, wo man länger als drei Wochen mit ihr zusammenbleibt, den du nicht hinkriegst.“

„Diesmal ist es was anderes. Es geht leider nicht, Kleines. Du kannst nicht in der Wohnung rumsitzen, während ich versuche … Du weißt schon.“

„Eine rundum sympathische Frau zu verführen, die keinen blassen Schimmer hat, dass du ein Serien-Monogamist bist? Das ist ja alles schön und gut, aber ich stecke wirklich in Schwierigkeiten! In drei Tagen tauchen die Leute auf, die hier einziehen wollen. Ich muss irgendwo anders hin.“

„Dann frag doch Desmond.“

„Was?“ Ihre Stimme klang schriller, als ihr lieb war. „Nein. Das geht nicht.“ Was für ein alberner Vorschlag. Desmond? Nie im Leben.

„Er hat ein riesiges Haus und gehört praktisch zur Familie.“

Mit Betonung auf „praktisch“. Tatsächlich war er der beste Freund ihres Bruders aus Internatszeiten. Shane hatte mit dreizehn ein Stipendium für eine hippe Privatschule bekommen, und er und Desmond waren seitdem enge Freunde.

Desmond war toll. Nissa mochte ihn durchaus. Er war mit ihr zum Abschlussball gegangen, als ihr eigentlicher Begleiter sie in letzter Minute versetzt hatte. Und sie hatte ihn davor gewarnt, die Frau zu heiraten, die jetzt seine Ex-Frau war, und hatte recht behalten.

„Das ist die perfekte Lösung“, fuhr Shane fröhlich fort. „Ich schreibe ihm sofort eine Nachricht.“

„Was? Nein. Mach das nicht. Ich werde nicht …“

Der Piepton in der Leitung verriet ihr, dass ihre Einwände ins Leere gingen. Shane hatte aufgelegt.

Ihr war nicht wohl dabei, bei Desmond zu wohnen, wobei sie nicht genau hätte erklären können, woran das lag. Tatsächlich ließ allein der Gedanke, bei ihm einzuziehen, ihre Eingeweide seltsam rumoren. Es wäre einfach zu schräg.

Allerdings war es nicht sehr wahrscheinlich, dass er Ja sagte. Nein, das würde er nicht. Warum sollte er? Normalerweise standen Menschen nicht darauf, aus heiterem Himmel Hausgäste zu bekommen, die monatelang blieben.

Zum zweiten Mal in weniger als zehn Minuten ließ sie das Handy aufs Sofa fallen in der Gewissheit, dass das Leben sie gerade mies gelinkt hatte.

DESMOND

Stilling Holdings, Inc. war ein multinationales Konglomerat mit vielen Sparten – vom Abbau seltener Erden über Biokraftstoffe bis hin zu Hochbau und Erschließung. Die verschiedenen Geschäftsbereiche wurden als separate Unternehmen geführt, wobei die Bereichsleiter direkt an den Firmenchef Desmond Stilling, also ihn, berichteten.

Vor drei Jahren hatte er die Firmenzentrale von San Francisco in den Norden von Seattle verlegt. SHI unterstützte sechs Grundschulen, zwei Mittelschulen und eine Highschool im Rahmen seines lokalen Sponsoring-Programms.

Kurz nach elf summte sein privates Handy. Er lächelte, als er den Namen auf dem Display sah.

„Nein, ich kann mir nicht den Rest des Tages freinehmen und mit dir wandern gehen“, sagte er zur Begrüßung. „Manche Menschen müssen für ihren Lebensunterhalt arbeiten.“

„Ich arbeite ja“, protestierte Shane lachend. „Ich rette Leben, mein Freund.“

„Du ersetzt Gelenke, keine Herzen.“

„Immerhin verbessere ich die Lebensqualität. Und was machst du so?“

„Ich baue Straßen und ernähre die Welt. Ich gewinne.“

Das vertraute Geplänkel war eine willkommene Abwechslung vom hektischen Rhythmus seines Tages.

„Du hältst dich für einen mächtigen Firmenchef“, sagte Shane.

„Ich bin ein mächtiger Firmenchef.“

„Wie bitte? Ich höre nichts. Da ist so ein Summen in der Leitung.“ Shane lachte. „Okay, genug davon. Du musst mir einen Gefallen tun.“

„Erledigt.“

„Du weißt doch noch gar nicht, was ich will.“

Das spielte für ihn keine Rolle. Shane war sein bester Freund, und er würde alles für ihn oder seine Familie tun. Seine eigene Kindheit hatte das klassische Klischee des reichen, einsamen Kindes voll bedient. Bis er zehn gewesen war, war er von erstklassigen Lehrern zu Hause unterrichtet worden. Als er dann endlich ins Internat kam, hatte er zwar den Wissensstand eines Collegestudenten, doch seine Sozialkompetenz bewegte sich auf Kindergartenniveau.

Zwei Jahre später hatte er das Internat gewechselt und Shane als Zimmergenossen bekommen. Sie waren schnell Freunde geworden, und Weihnachten hatte Shane ihn über die Feiertage mit zu sich nach Hause geschleppt. Im bescheidenen Haushalt seines Freundes hatte er zum ersten Mal erlebt, wie sich eine richtige Familie anfühlte, hatte zum ersten Mal Wärme und Zuneigung erlebt. Die Geschenke waren liebevoll ausgesucht gewesen und nicht von Bediensteten im Internet bestellt worden. Zwei Wochen lang hatte er dazugehört, und es war die bis dahin beste Zeit seines Lebens gewesen.

Seitdem standen die Langs für ihn an erster Stelle. Seine eigenen Eltern lebten zwar noch, doch die Langs waren seine wirkliche Familie.

„Nissa braucht zwei Monate lang ein Dach über dem Kopf“, sagte Shane und erklärte die Situation.

„Sie kann gern hier wohnen“, erwiderte er. „Ich habe jede Menge Platz.“

„Das habe ich auch gesagt. Wie viele Zimmer hast du gleich noch? Zwölf?“

„Acht.“ Nahm er zumindest an. Er nutzte sein Schlafzimmer, sein Arbeitszimmer und den Medienraum. Der Rest interessierte ihn nicht.

„Das heißt also Ja?“, hakte Shane nach.

„Genau. Ich melde mich bei ihr und regle das.“

„Danke, Bro. Das ist toll. Du tust uns beiden einen riesigen Gefallen. Lass uns bei Gelegenheit mal wieder mit deinem Boot rausfahren.“

„Ja, gern.“

Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten, bevor sie sich verabschiedeten.

Desmond blickte auf seinen Computer. Statt der Zahlenreihen sah er jedoch Nissa in ihrem Abschlussballkleid, die ihm mit ernster Miene dafür dankte, dass er sie auf den Ball in ihrer Highschool begleitete. Er war damals im ersten Jahr seines MBA-Programms gewesen und extra aus Stanford hergeflogen, um ihr Date zu sein.

Zunächst war es nur ein Gefallen für einen Freund gewesen, doch kaum hatte er Nissa gesehen, war alles anders. Sie war nicht mehr die kleine Göre, die sich ständig an ihn gehängt hatte, wenn er zu Besuch gekommen war. Stattdessen stand eine wunderschöne Frau mit unglaublichen Augen vor ihm und mit einem Mund, den er anfangs immer anstarren und dann immer küssen musste.

Mehr ging nicht, obwohl er sich das gewünscht hatte. Sie war die Tochter seiner Ersatzfamilie. Er liebte und respektierte die Langs zu sehr, um ihr Vertrauen zu enttäuschen. Also hatte er das Richtige getan und Nissa als Freundin eingeordnet. Und so würde es bleiben. Er schüttelte die Erinnerung ab und schickte ihr eine Textnachricht.

Shane sagt, dass du ein Dach über dem Kopf brauchst. Ich habe jede Menge Platz. Sag mir einfach, wann du kommst, dann mache ich ein Zimmer fertig.

Nach ein paar Momenten sah er drei Punkte, dann ihre Antwort.

Wirklich? Du machst das? Ich bezweifle, dass du überhaupt weißt, wo die Bettwäsche aufbewahrt wird.

Desmond musste lachen. Da hast du recht, ich veranlasse es. Hilde, meine Haushälterin, wird begeistert sein, wenn sie sich um jemanden kümmern kann. Mit meinem langweiligen Lebensstil bin ich eine einzige Enttäuschung für sie.

Desmond, das ist wirklich lieb von dir, aber ich will dir nicht zur Last fallen.

Ich bestehe darauf. Hier ist Platz genug. Er zögerte, dann fügte er hinzu: Und es ist nicht wie bei deinen Eltern. Wenn du mit jemandem zusammen bist, kann er auch gern hier wohnen.

Du meinst ein Kerl? LOL. Der Teil meines Lebens ist eine Katastrophe. Kann man zweimal LOL schreiben, oder wirkt das schräg?

Nur zu. Wann ziehst du ein?

Schluck. Wäre Freitag zu früh?

Nö. Ich sag Hilde Bescheid. Schick mir eine Nachricht, wenn du die ungefähre Uhrzeit weißt, damit ich zu Hause bin.

Danke, Desmond. Du bist ein Schatz. Ich verspreche, dass ich dir nicht auf die Nerven gehe. Du wirst gar nicht merken, dass ich da bin.

Als er ihre Antwort las, dachte er, dass er durchaus mitbekommen wollte, dass sie da war. Man kam gut mit Nissa aus, und er fühlte sich in ihrer Gegenwart wohl. Bei ihr hatte er nicht den Eindruck, ein herzloser Bastard zu sein – was die Frauen, mit denen er ausging, am Ende stets behaupteten.

Dann bis Freitag, tippte er.

Danke noch mal.

NISSA

Am Freitag packte Nissa die restlichen Dinge für ihren Auszug zusammen. Bei dem Gedanken, mit dem Mann unter einem Dach zu leben, in den sie seit über einem Jahrzehnt verknallt war, wurde ihr ein wenig mulmig.

Nicht, dass ihre Schwärmerei für Desmond noch von Bedeutung wäre. Es war nur ein lustiger Spleen, ein Überbleibsel aus der Zeit, als sie ein Teenager gewesen war. Er war älter gewesen, unfassbar gut aussehend und süß zu ihr. Natürlich hatte sie ihn gemocht.

Heutzutage waren sie Freunde. Gute Freunde. Herrgott, er war ja sogar verheiratet und sie verlobt gewesen. Sie hatten sich beide weiterentwickelt. Es gab also keinen Grund, sich Sorgen zu machen oder nervös zu sein.

Kurz nach acht klingelte es an der Tür. Sie ließ ihren Bruder herein und lächelte angesichts des Frühstücks, das er mitbrachte.

„Morgen“, sagte er und küsste sie auf die Wange.

Sie nahm einen Kaffee und ein Sandwich und ging voraus ins Wohnzimmer.

Shane ließ den Blick über die leeren Beistelltische und fast leeren Regalbretter schweifen. „Du bist ausgeraubt worden.“

Sie nahm einen Schluck Kaffee. „Ich hatte alles mit Kram vollgestellt. So will doch keiner wohnen. Also habe ich ihn verstaut. Es sieht sehr sauber aus, findest du nicht?“

„Ich weiß nicht. Kommt mir vor, als wärst du von Außerirdischen ausgetauscht worden.“ Er machte eine Kopfbewegung zur kleinen Anrichte in der Essecke. „Wir verpacken nur noch das Porzellan?“

Sie nickte. „Ja. Ich will nicht, dass irgendwas kaputt geht. Ich habe Platz in meinem Lagerraum freigeräumt, wir können die Kisten dort abstellen.“

„Hört sich gut an. Und danach ziehst du bei Desmond ein?“

„Heute Nachmittag.“ Gern hätte sie widersprochen, weil sie ja nicht bei ihm einzog – nicht in traditionellem Sinn, aber auf keinen Fall wollte sie die Sache mit ihrem kribbelnden, Schrägstrich, rumorenden Magen erklären müssen.

„Und, wie läuft’s mit der neuen Freundin?“, fragte sie, um ihn vom Thema abzubringen. „Wer ist sie und was macht sie zu ‚der einen‘?“ Mit der freien Hand deutete sie Anführungszeichen an.

„Sie heißt Coreen und ist Kinderärztin in der Notaufnahme.“

„Eine Ärztin“, zog sie ihn auf. „Mom und Dad werden so stolz sein.“

Er grinste. „Ich weiß. Es gibt eben einen Grund dafür, warum ich ihr Liebling bin, Kleines.“

„Ich bitte dich. Mich lieben sie viel mehr.“

So witzelten sie häufig rum. Shane war vielleicht der Brillantere von ihnen beiden, doch ihre Eltern vergötterten sie ganz genauso.

„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“ Nissa griff nach ihrem Sandwich. „Was macht sie so besonders?“

„Keine Ahnung. Sie ist klug und hübsch, und ich mag sie sehr.“ Auch Shane biss von seinem Sandwich ab. „Sie hat irgendwas an sich. Wir werden sehen, wie es läuft. Ich bin optimistisch und will auf keinen Fall was falsch machen.“

„Wie kommst du darauf, dass du in deinen Beziehungen etwas falsch machst?“

„Ich bin nicht wie du“, erwiderte er. „Für mich funktioniert das mit der Liebe einfach nicht.“

Das überraschte sie. „Bei keiner der Frauen, mit denen du ausgegangen bist?“

Er schüttelte den Kopf. „Irgendwas ist immer.“ Er lächelte schief. „Anders als bei dir und Desmond.“ Nun machte er Kussgeräusche. „Du warst bis über beide Ohren in ihn verknallt.“

Nissa versuchte, nicht rot zu werden, und knuffte ihn. „Als Kind war ich in ihn verliebt. Na und?“

„Du bist ihm wie ein Hündchen hinterhergelaufen.“

„Er war halt süß.“

Shane runzelte die Stirn. „Bitte sag nicht ‚süß‘, bevor ich mit dem Frühstück fertig bin.“

„Da musst du durch, Bruderherz. Also, wann lerne ich diese bezaubernde Coreen kennen?“

„Noch lange nicht. Ich will erst sicher sein, dass es hält. Und bei dir? Wer ist der Neue?“

„Es gibt keinen Neuen.“ Leider ließ ihr Liebesleben zu wünschen übrig.

„Du warst seit James mit niemandem zusammen. Komm schon, Nissa, das ist wie lange her? Zwei Jahre? So langsam wird es Zeit, darüber wegzukommen.“

„Bin ich längst, aber es ist nicht so leicht, jemanden kennenzulernen. Beim Online-Dating habe ich einfach kein Glück, und alle Männer, die ich bei der Arbeit kennenlerne, sind verheiratet.“

„Es muss doch ein paar Kinder in deiner Klasse geben, die alleinerziehende Väter haben.“

Mitleidig blickte sie ihn an. „Ich gehe nicht mit Vätern von Schülern aus. Das wäre geschmacklos und gegen die Regeln.“

„Klingt logisch. Soll ich mal in meiner Praxis rumfragen? Vielleicht kennen meine Arbeitskollegen jemanden, der Single ist.“

„Nein. Auf gar keinen Fall! Schauderhafte Idee. Aber danke, dass du an mich denkst.“

„Ich denke immer an dich. Du bist meine kleine Schwester, und ich möchte, dass du glücklich bist. Und sicher.“ Er grinste. „Warum sonst hätte ich Desmond gesagt, dass er sich nach dem Abschlussball aus dem Staub machen soll?“

Nissa starrte ihren Bruder mit offenem Mund an. „Was?“, fragte sie schwach.

Shane zwinkerte ihr zu. „Ich weiß. Du bist beeindruckt. Wie gesagt, ich passe auf dich auf.“

„Jetzt warte mal.“ Sie legte das Sandwich weg. „Willst du damit sagen, dass Desmond nach dem Abschlussball weiter mit mir ausgehen wollte?“

„Klar. Er hatte viel Spaß und stand total auf dich, aber ich habe ihm erklärt, dass er zu alt und zu erfahren für dich ist. Er war ja schon Student und du gerade mal im letzten Highschool-Jahr. Das kam gar nicht infrage, solange ich was dazu zu sagen hatte.“

Wenn sie in den Erwachsenenmodus ging, wusste sie zu schätzen, was ihr Bruder getan hatte. Mit dem Alters- und Erfahrungsunterschied hatte er durchaus recht. Aber in ihr steckte auch noch der Teenager von damals, und der schrie protestierend auf. Sie hatte Desmond gemocht – sehr sogar! Als er sich nach ihrem Date nicht mehr gemeldet hatte, war sie am Boden zerstört gewesen.

„Da bist du wohl ziemlich stolz auf dich, was?“, fragte sie und griff nach ihrem Kaffeebecher.

„Das bin ich. Und du solltest mir dankbar sein.“

Nissa unterdrückte ein Seufzen. Er hatte getan, was er für richtig hielt, und damals war es auch das Richtige gewesen. Ihr gebrochenes Herz ging nur sie etwas an. Diese Information eröffnete jedoch einige sehr interessante Fragen, wie zum Beispiel: Wenn Desmond sie gemocht hatte, warum war er dann nicht später auf sie zugekommen, als sie alt genug gewesen war? Und, das Wichtigste von allem: Wie fand er sie jetzt?

2. KAPITEL

DESMOND

Desmond hatte sich Arbeit mit nach Hause genommen, konnte sich aber nicht konzentrieren. Normalerweise ging ihm das leicht von der Hand. In seinem Geschäft war er unübertroffen. Beziehungen dagegen – besonders die romantischen – waren nicht seine Stärke.

Oh, er war durchaus in der Lage, eine Frau in sein Bett zu bekommen. Sex war einfach. Aber alles, was mit dem Herzen zu tun hatte, stellte ihn vor eine unlösbare Aufgabe. Vermutlich, weil er seinen Eltern zu ähnlich war. Sie hatten ihn dazu erzogen, seine Gefühle zu ignorieren, hatten ihm eingebläut, dass man Emotionen nicht trauen durfte, weil sie Menschen schwach machten. Diese Philosophie wandten sie an – auch ihm gegenüber und in ihrer Ehe. In seiner Familie gab es keine Umarmungen oder Liebesbekundungen. In seiner Kindheit war ein Lob für etwas, das er gut gemacht hatte, so ziemlich die persönlichste Interaktion gewesen.

Er hatte gelernt, sich unter allen Umständen zurückzuhalten. So kannte er es, und bei diesem Verhalten war er sicher. Eine Ausnahme, bei der er aus sich herauskam, war Shane und seine Familie. Sie waren die einzigen Menschen, denen er vertraute.

Er erinnerte sich an das Ende seiner Ehe. Rosemary, die, wie sich herausgestellt hatte, eher einen Lebensstil geheiratet hatte als den Mann, hatte ihm vorgeworfen, er sei der kälteste und herzloseste Mensch, den sie kannte. Als er protestierte und behauptete, er sei ein guter und freundlicher Ehemann, lachte sie ihn aus und sagte, er habe einen Eisklotz an der Stelle, wo sein Herz sein sollte.

Das Ende seiner Ehe war eine Enttäuschung. Nicht so sehr, weil er Rosemary vermisste, sondern weil er es eben nicht tat. Normal wäre gewesen, dass er ihren Verlust betrauerte. Dass es nicht so war, bestätigte wohl ihre Einschätzung. Er war ein herzloser Mann.

Desmond versuchte, diese Gedanken abzuschütteln und sich wieder der Arbeit zuzuwenden, doch es wurde ihm schnell klar, dass es nicht funktionieren würde. Ganz offensichtlich würde er nichts schaffen, bevor Nissa angekommen war und sich eingerichtet hatte. Aus irgendeinem Grund beschäftigte ihn das mehr als die Verkaufszahlen auf dem asiatischen Markt.

Irgendwo im Obergeschoss hörte er einen Staubsauger summen. Seit er Hilde gesagt hatte, dass Nissa hier wohnen würde, war sie zur Hochform aufgelaufen. Es wurde geputzt und gewaschen und tausend andere Dinge in Bewegung gesetzt, von denen er gar keine Vorstellung hatte. Der Kühlschrank quoll über, und überall im Haus standen frische Blumen.

Offenbar hatte seine Haushälterin sonst nicht genug zu tun. Das Haus war groß, aber es wohnte niemand hier, der es in Unordnung brachte. Er aß nur selten zu Hause zu Abend, also musste Hilde nicht oft kochen. Vermutlich langweilte sie sich zu Tode – das war jedoch ein Problem, für das er keine Lösung wusste.

Sein Handy summte, und er lächelte, als er die Nachricht las.

Ich bin hier. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, weil das Haus so groß ist, dass ich dir ein paar Minuten Zeit gebe, zur Tür zu kommen, weil ich wirklich nicht gern warte.

Als Sekunden später die Türklingel ertönte, lachte er noch immer vor sich hin.

Er ging durch die Eingangshalle und öffnete die Haustür. Nissa stand auf der weitläufigen Veranda, die langen roten Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Sie trug abgeschnittene Jeans und ein T-Shirt. Da sie ungeschminkt war, sah er ihre Sommersprossen – die Sommersprossen, die er immer gemocht hatte, die sie aber nach eigener Aussage hasste. Ihre großen blauen Augen strahlten in einem Kranz von Lachfältchen.

„Bist du außer Atem vom langen Weg? Soll ich warten, bis du wieder sprechen kannst?“

„Ein oder zwei Sätze werde ich schon schaffen“, erwiderte er und breitete die Arme aus.

Sie ließ sich so leicht in seine Umarmung fallen, wie sie es immer getan hatte. Er versuchte zu ignorieren, wie sich ihr Körper an seinem anfühlte. Nissa war eine Freundin, nichts weiter. Und wenn sich da etwas in ihm danach sehnte, den Duft ihres Haares einzuatmen oder das Gefühl zu genießen, wie sich ihre Brüste an seine Brust schmiegten, brauchte er nur die „Sie-ist-Shanes-Schwester“-Karte auszuspielen, um es zu unterdrücken.

Sie trat einen Schritt zurück. „Nochmals danke, dass du mich aufnimmst. Ich freue mich für Mimi, aber meine Sommerpläne hat das ganz schön durcheinandergebracht.“ Sie lächelte. „Was mich zu einem schrecklichen Menschen macht, also denk nicht zu viel darüber nach. Ich werde an meinem Charakter arbeiten, während ich meine Sachen reinbringe.“

„An deinem Charakter ist nichts auszusetzen, und ich freue mich, dass du hier wohnst. Bleib so lange, wie du magst.“ Er schaute zu ihrem vollgepackten Wagen. „Warum hast du mich beim Umzug nicht um Hilfe gebeten?“

„Weil ich keine brauchte. Shane hat die schweren Kartons in meinen Lagerraum geschleppt. Das hier ist nichts. Ich muss nur ein paar Mal laufen, um es reinzubringen.“

Wir werden ein paar Mal laufen“, korrigierte er. „Ich zeige dir dein Zimmer, und dann bringen wir deine Sachen rein.“

Sie neigte den Kopf. „Du hättest nicht Ja sagen müssen, das weißt du, oder? Bist du sicher, dass es okay für dich ist, wenn ich mich hier einniste? Ich kann ziemlich unordentlich sein, und ich weiß nicht, ob wir denselben Musikgeschmack haben.“

„Blödsinn.“ Er trat zurück, um sie vorbeizulassen. „Ich freue mich, dass du hier bist. Ich werde die Gesellschaft genießen, und Hilde braucht jemanden, um den sie sich kümmern kann.“

Sie blieb in der Eingangshalle stehen und blickte nach oben.

Desmond folgte ihrem Blick über die zweigeschossige Halle, die riesigen Fenster und den eleganten Kronleuchter. Er wohnte schon so lange hier, dass ihm diese Dinge nicht mehr auffielen.

Sie schaute zur breiten Treppe und zum Flur hinüber, dann wieder zu ihm. „Gibt’s einen Lageplan?“ Ihre Augen funkelten humorvoll.

„Als App.“

„Das glaube ich dir sogar fast.“

Hilde erschien und lächelte herzlich. „Miss Nissa“, sagte sie und streckte ihr die Hand hin. „Willkommen in Mr. Desmonds Heim. Bitte lassen Sie es mich wissen, wenn ich irgendetwas tun kann, um Ihren Aufenthalt angenehmer zu gestalten.“

„Ich finde, Sie haben schon so viel getan“, erwiderte Nissa. „Es freut mich, Sie persönlich kennenzulernen. Ich hoffe, Sie haben sich nicht zu viel Mühe gemacht.“

„Das ist doch keine Mühe.“ Hilde warf ihm einen Blick zu. „Mr. Desmond gibt keine Dinnerpartys. Vielleicht könnten Sie mit ihm darüber reden, solange Sie hier sind.“

Eine Dinnerparty? Warum sollte er eine Dinnerparty geben?

Nissa blickte ihn an und lächelte. „Ich werde sehr gern mit Mr. Desmond über eine Dinnerparty sprechen. Wen sollen wir einladen? Ex-Freundinnen?“

„Nur, wenn auch deine Ex-Freunde kommen“, sagte er.

„Hm, das macht mich weniger an.“

Sie folgten Hilde in die große Küche, wo sie Nissa alles zeigte.

„Kommt Mr. Desmond jemals hier rein?“, fragte sie.

„Tut er“, erwiderte Desmond. „Ich mache mir jeden Morgen selbst das Frühstück, und wenn ich zu Hause esse, dann in der Küche.“ Am Fenster stand ein sehr hübscher Tisch. Schließlich war er allein – es war sinnlos, im riesigen Speisezimmer zu sitzen.

„Du kannst kochen?“ Nissa drückte sich neckend eine Hand auf die Brust. „Ich bin wirklich beeindruckt.“

Sie besichtigten den Rest des Untergeschosses. Vom Wohnzimmer und vom Salon aus sah man den Puget Sound. Im Obergeschoss zeigte er ihr den top ausgestatteten Medienraum. Der letzte Halt war Nissas Zimmer. Hilde hatte ihr eine der Suiten vorbereitet, die über einen Wohnbereich, ein Schlafzimmer und ein Bad verfügte. Beide Räume hatten Ausblick auf den Sound.

Nissa schaute sich um. „Das ist wunderschön und größer als meine Wohnung.“ Sie drehte sich zu ihm um. „Und du bist wirklich lieb. Danke.“

„Freut mich, dass ich helfen kann.“

Zusammen gingen sie hinunter und nach draußen zu Nissas Wagen. Zu zweit schafften sie es schnell, alles auszuladen und in ihre Suite zu bringen. Bei der letzten Tour trug Desmond einen Armvoll ihrer Kleidung, die auf Bügeln hing. Es fühlte sich seltsam intim an, als bekäme er Einblick in etwas Privates.

Sei nicht dumm, sagte er sich. Was macht es schon, wenn ein paar ihrer Kleidungsstücke über deinem Arm liegen?

Als sie fertig waren, gab er ihr einen Hausschlüssel. „Die Alarmanlage ist nur nachts an. Ich besorge dir die Anleitung, wie man sie deaktiviert. Oder du fragst mich.“

„Und wenn du auf einem heißen Date bist?“

„Ich gehe derzeit mit niemandem aus.“

Sie seufzte. „Ich auch nicht. Ich konzentriere mich ganz darauf, mein Italienkapital zu mehren. Wozu du beiträgst, indem du mir aus der Patsche hilfst. Habe ich mich schon bedankt?“

„Nur etwa fünfzehn Mal.“

Sie grinste. „Gewöhn dich besser dran. Ich habe vor, dir noch viel öfter zu danken.“

„Du gehörst zur Familie, Nissa. Und die ist hier immer willkommen.“

Diese Worte waren ebenso für ihn wie für sie gedacht. So schön, sexy und klug sie auch war und sosehr sie ihm auch unter die Haut ging, sie war nicht für ihn bestimmt. Sie war eine Frau, auf die er achtgeben und die er beschützen musste – wenn es sein musste, sogar vor ihm selbst.

„Danke.“ Ihre Blicke trafen sich. „Wie funktioniert das mit dem Abendessen? Wird geläutet? Oder taucht ein Butler auf und geleitet mich nach unten?“

„Abendessen gibt’s um sieben. Dir zu Ehren essen wir im Speisezimmer. Nach heute Abend sag einfach Hilde Bescheid, ob du zu Hause bist oder nicht. Sie plant die Mahlzeiten dann entsprechend.“

„Du hast ein fantastisches Leben, Desmond. Nächstes Mal werde ich dran denken, reich zu sein.“

Er überlegte, ihr zu antworten, dass sein Leben nicht so war, wie sie es sich vorstellte, und dass er sich manchmal einsam und von der Außenwelt abgeschnitten fühlte. Dass sie diejenige war, die die warmherzige, liebevolle Familie hatte, etwas, was für ihn unbezahlbar war. Aber er wusste, wenn er das laut ausspräche, würde er damit etwas zugeben, dem er sich nicht wirklich stellen wollte.

„Dann bis heute Abend“, sagte er stattdessen.

NISSA

Nissa hatte sich schnell eingerichtet. Alles zu verstauen, was sie mitgebracht hatte, war nicht schwer angesichts des vielen Platzes, der ihr zur Verfügung stand.

Um achtzehn Uhr achtundfünfzig verließ sie ihr Zimmer und bog nur zweimal falsch ab, ehe sie die Treppe fand. Desmond wartete im Wohnzimmer neben einer eingebauten Bar auf sie.

Die wenigen Sekunden, bevor er ihrer gewahr wurde, nutzte sie, um einen ausgiebigen Blick auf seinen hochgewachsenen schlanken Körperbau und seine breiten Schultern zu werfen. Desmond hatte schon immer gut ausgesehen. Er war ein ruhiger Mensch, der Selbstvertrauen ausstrahlte, und wenn sie sich unterhielten, hatte er einen nachdenklichen Gesichtsausdruck, der ihr das Gefühl gab, er hörte wirklich zu. Für die jüngere Schwester eines Bruders, der sie selten ernst nahm, war das eine berauschende Erfahrung.

Im Teenageralter hatte sie Desmond als den süßen Freund ihres Bruders gesehen. Interessant und nett, aber niemand, den man anhimmelte. Das war erst passiert, als er mit ihr zum Abschlussball gegangen war. Ein Thema, das sie mit ihm besprechen wollte, sobald es sich beiläufig einflechten ließ.

Er sah sie und lächelte. „Darf ich dir einen Cocktail mixen?“

„Ja, das darfst du.“

Sie trat näher an die Bar und betrachtete die vielen Flaschen auf den Regalen. „Die meisten davon kenne ich nicht mal.“

„Vermutlich solltest du sie nicht alle auf einmal probieren. Hast du einen Lieblingsdrink oder darf ich dir was mixen?“

„Mach ruhig.“ Sie sah zu, wie Desmond eine Flasche Rum, Preiselbeersaft, einen kleinen Glasbehälter und eine Flasche Sekt bereitstellte.

„Was ist da drin?“, fragte sie und zeigte auf den Glasbehälter.

„Vanillesirup. Den hat Hilde heute gemacht.“ Geschickt öffnete er die Sektflasche.

„Also hast du vorausgeplant, welchen Cocktail du mir servieren willst?“

„Ich habe mir dazu Gedanken gemacht.“

„Das ist so lieb von dir. Danke.“ Sie lächelte ihn an. „Du gibst mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Was, wenn ich nie wieder wegwill?“

„Du bist hier immer willkommen, Nissa.“

Der Mann hat eine so schöne Stimme, dachte sie. Seine Worte schmiegten sich wie eine Umarmung um sie. Sie hatte ihm immer schon gern zugehört. Er hatte eine förmliche Ausdrucksweise – zweifellos das Ergebnis des teuren Privatschulunterrichts.

Desmond mixte die Zutaten in einem Shaker, goss sie in ein Glas, gab Sekt dazu und reichte es ihr.

„Schmeckt gut. Danke.“ Sie mochte die Geschmackskombination und das Prickeln des Sekts.

Sich selbst goss er einen Scotch ein, dann setzten sie sich einander gegenüber auf zwei bequeme Sofas.

Wieder nippte sie an ihrem Cocktail. „Wieso hast du gerade diesen Drink gewählt?“

„Ich dachte, du würdest ihn mögen.“

„Du hast eine ganze Cocktailkarte abrufbereit in deinem Kopf?“

„So in der Art. Nur eine meiner vielen Fähigkeiten.“

„Weil deine Eltern Wert darauf gelegt haben, dass du auf jede gesellschaftliche Situation vorbereitet bist?“

Er nickte.

„Eine Abendgesellschaft? Eine Audienz bei der Queen?“

„Kein Problem.“ Er lächelte.

Sie hob die Augenbrauen. „Du warst schon bei der Queen? Und ich meine die echte Queen, die Königin von England. Nicht Bert mit seiner Dragshow am Wochenende.“

Er lachte. „Wer ist Bert?“

„Weich nicht meiner Frage aus.“

Er lehnte sich in die Polster. „Ich war schon bei der Königin von England. Zwei Mal.“

„Und du hast nicht daran gedacht, mich gegenüber Prinz Harry zu erwähnen, bevor er Meghan begegnet ist?“

„Nein, habe ich nicht. Hätte ich das tun sollen?“

„Jetzt nicht mehr! Er ist verheiratet. Aber vorher wäre schön gewesen. Ich hätte Prinzessin werden können.“

„Genau genommen ist sie Herzogin.“

Nissa wedelte mit der Hand. „Ein und dasselbe. Du enttäuschst mich.“

„Ich entschuldige mich dafür, dass ich deine Herzogin-Fantasien zerstört habe.“ Entspannt lächelnd betrachtete er sie. „Ich hätte nicht gedacht, dass du der Prinzessinnen-Typ bist.“

„Seien wir doch ehrlich, das ist fast jede Frau. Da bin ich glatter Durchschnitt.“

„Das würde ich nicht sagen.“

„Du bist immer so nett zu mir.“ Bevor sie etwas hinzufügen konnte, kam Hilde mit einem Tablett ins Zimmer.

Sie stellte panierte Zucchini und einen lecker aussehenden Dip auf den Couchtisch zwischen ihnen.

„Danke“, sagte Nissa und musterte die Vorspeise. „Das sieht köstlich aus.“

„Ich hoffe, es schmeckt Ihnen“, erwiderte Hilde und ging wieder in die Küche.

Nissa stellte ihr Glas ab und griff nach einer Serviette und einem Stück Zucchini. „Bleibt sie immer so lange?“

„Nein. Sie wollte bei deinem ersten Abendessen hier sein. Sie freut sich, dass sie jemanden verwöhnen kann.“

Nissa wusste das zu schätzen, hatte jedoch Schuldgefühle, weil Desmonds Haushälterin ihretwegen Überstunden machte. „Wenn mein Besuch hier so ein Höhepunkt ist, musst du ein ziemlich langweiliger Kunde sein.“

„Ich fürchte, das bin ich. Sie wäre viel glücklicher mit einer Familie, ein paar Kindern und einem Hund.“

Nissa biss von einer Zucchinischeibe ab und musste ein Stöhnen unterdrücken. Kross und gleichzeitig zart. Die Panade war an sich schon perfekt gewürzt, doch wenn man sie mit dem herzhaften Dip kombinierte, schmeckte sie noch besser.

„Traumhaft.“ Sie griff nach einer zweiten Scheibe. „Also noch mal Danke, dass ich hier wohnen darf.“

„Hörst du danach damit auf?“

„Ist das wichtig?“

„Ja. Ich freue mich, dass ich auf diese bescheidene Weise zu deinem Italien-Geld beitragen kann.“

Sie lachte. „Na gut. Danke. Und jetzt bin ich fertig damit. Jedenfalls für heute.“

„Gut. Hast du deine Reise bereits geplant?“

„Ein wenig. Ich hoffe, dass ich drei Wochen dort sein kann. Eine in Rom, eine in Florenz und eine in der Toskana.“ Sie griff nach ihrem Glas. „Und ja, ich weiß, dass Florenz die Hauptstadt der Toskana ist, aber es scheint ein Ort zu sein, für den man schon allein eine ganze Woche braucht.“

„Das stimmt. Du solltest die Reise so gestalten, wie du willst. Schließlich träumst du davon, seit du vierzehn bist.“

Richtig. Ein Referat über Italien hatte ihr Interesse geweckt. Ihre Mutter zog sie gern damit auf, dass sie ein ganzes Jahr lang über nichts anderes geredet hatte. „Daran erinnerst du dich?“

„Du hattest herausgefunden, dass ich schon dort gewesen war, und hast mir Löcher in den Bauch gefragt.“

„War ich nervig?“

„Nein. Selbst da warst du bezaubernd.“ Er betrachtete sie. „Weißt du, ich könnte …“

„Nein“, erwiderte sie fest. „Auf keinen Fall.“

„Du weißt doch gar nicht, was ich sagen wollte.“

„Oh doch. Du wolltest mir anbieten, meine Reise zu bezahlen. Und obwohl ich das sehr süß finde, lautet die Antwort Nein. Ich möchte mir das selbst verdienen, weil es dann mehr Bedeutung für mich hat.“

„Na gut. Suchst du dir einen anderen Ferienjob?“

„Ich habe früher schon für eine Zeitarbeitsfirma gearbeitet, daher sollte es nicht schwierig werden.“

„Und du fühlst dich gut damit, deine Wohnung unterzuvermieten?“

„Gut ist übertrieben, aber sie zahlen mir eine Menge. Alle persönlichen Dinge habe ich verpackt, also mache ich mir darüber keine Sorgen.“

Sie dachte daran, wie Shane ihr dabei geholfen hatte, und das führte sie zu dem, was er über Desmond gesagt hatte, dass er ihn gewarnt hatte, ihr zu nahe zu kommen. Ein halber Cocktail gab ihr jedoch nicht genügend Mut, dieses spezielle Thema anzuschneiden.

Hilde löste das Problem für sie, indem sie verkündete, das Abendessen sei fertig.

Nissa ging voran in das formelle Speisezimmer, wo an einem Ende des Tisches zwei Plätze gedeckt waren. Desmond goss ihnen Weißwein ein, während sie die hübschen Porzellanteller und die Blumen bewunderte. Nachdem sie sich gesetzt hatten, brachte Hilde Tomatengazpacho und einen Korb voller knuspriger, warmer Brötchen.

„Frisches Brot“, flüsterte Nissa angesichts dieser Köstlichkeit. „Ich liebe Brot.“ Sie lächelte Hilde an. „Das sieht alles so lecker aus. Vielen, vielen Dank.“

„Gern geschehen.“

Die Haushälterin bedachte Desmond mit einem Blick, den Nissa nicht deuten konnte. Sie wartete, bis sie wieder allein waren, dann fragte sie: „Wieso hat sie dich denn so angeschaut?“

„Vermutlich wollte sie mir damit sagen, dass ich öfter zu Hause essen sollte.“

„Aber das tust du nicht?“

„An den meisten Abenden bringe ich mir was von unterwegs mit.“

„Wenn du stattdessen so etwas hier haben könntest?“ Sie nahm ein Brötchen und legte es auf ihren Beilagenteller, dann probierte sie die kalte Suppe, eine perfekte Mischung aus frisch und würzig, dazu herrlich cremig.

„Ich habe viel um die Ohren. Es ist einfacher so.“

„Wenn du nicht so ein Imperium leiten würdest, könntest du das Leben viel mehr genießen.“

Er lächelte sie an. „Wenn ich mein Imperium nicht hätte, könnte ich mir Hilde gar nicht leisten.“

„Hm, stimmt auch wieder. Tja, irgendwas ist ja immer. Ich liebe meine Arbeit, aber reich wird man als Lehrerin nicht.“

„Wärst du denn gerne reich?“

Lachend machte sie eine Handbewegung, die das Speisezimmer umfasste. „Wie man sieht, hat es Vorteile. Aber ich liebe meine Arbeit. Die Kinder sind toll, und meistens macht es Spaß. Wäre es nicht großartig, wenn die Schulen ein höheres Budget hätten? Ansonsten bin ich wirklich zufrieden.“

„Du hast ein sonniges Gemüt.“

„Stimmt. Liegt zum Teil an meiner Persönlichkeit und zum Teil daran, dass ich gern andere nerve.“

Er grinste. „Ich mag deine Einstellung.“

„Es ist leicht, mutig zu sein, wenn man nichts zu verlieren hat“, erwiderte sie. Was sie daran erinnerte, dass es da noch ein Thema zu besprechen gab und dass es seine Tücken hatte, darauf zu warten, dass Alkohol ihr Mut dafür verlieh. Wenn sie die Info wollte, dann sollte sie die Frage besser einfach stellen.

Sie räusperte sich. „Shane hat mir heute geholfen, das Service meiner Großmutter einzupacken. Und während wir das taten, hat er mich damit aufgezogen, dass ich bei dir wohnen werde, und er hat erwähnt, dass er dich damals, als ich auf der Highschool war und du mit mir zum Abschlussball gegangen bist, gewarnt hat. Also ich meine, dir nahegelegt hat, nicht mit mir auszugehen. Später. Nach dem Abschlussball. Beim Abschlussball waren wir ja. Zusammen.“

Sie schloss den Mund und fragte sich, ob sie großen Stuss geredet hatte.

Desmond betrachtete sie einen Moment lang schweigend, dann sagte er: „Das stimmt.“

Legte er es darauf an, schwierig zu sein? „Welcher Teil jetzt?“

„Alles. Ich habe unseren Abend sehr genossen, und als ich ihm das erzählt habe, rief er mir ins Gedächtnis, dass du viel jünger bist und wesentlich weniger Erfahrung hast als ich.“

„Und dass du deshalb die Finger von mir lassen sollst?“

„Genau.“

„Was du auch getan hast.“

Ihre Blicke trafen sich.

„Ja.“

„Ich kann sehr gut allein entscheiden, mit wem ich ausgehe“, erklärte sie.

„Jetzt schon. Damals warst du gerade achtzehn und ich Student. Zwei verschiedene Welten.“

Das stimmte, dennoch … „Du hattest aber Spaß mit mir, oder?“

Er lächelte. „Hatte ich. Sehr sogar.“

„Ging mir auch so.“ Sie dachte daran, wie aufmerksam er gewesen war, an die langsamen Tänze und an die Küsse. Die waren unglaublich. „Du warst eine wunderbare Begleitung.“

„Du auch.“

Sie blickten einander in die Augen, dann glitt sein Blick zu ihrem Mund.

Was er wohl dachte? Ob er es bereute, dass er auf ihren Bruder gehört hatte? Was, wenn sie damals ein Paar geworden wären? Vielleicht wären sie sogar heute noch zusammen.

Desmond brach den Blickkontakt ab. „Es soll ein warmer Sommer werden“, sagte er.

Bildete sie sich das ein oder war der Mann ein wenig nervös geworden?

„Ach ja?“, fragte sie. Hoffentlich lag sie damit richtig und es war nicht nur Wunschdenken.

3. KAPITEL

NISSA

Nach dem Essen plauderten sie und Desmond bei einer Tasse entkoffeiniertem Kaffee. Es war immer nett gewesen, mit ihm zu reden, und heute Abend war keine Ausnahme.

Irgendwann blickte er auf die Uhr. „Es ist schon spät. Ich sollte dich ins Bett gehen lassen.“

Gemeinsam gingen sie die Treppe hinauf. Es fühlte sich seltsam an, in seinem Haus ein Schlafzimmer zu haben. Sie war nur ein paar Mal hier gewesen und nie über Nacht geblieben.

„Danke für das Abendessen“, sagte sie auf dem oberen Treppenabsatz. „Es war großartig.“

„Damit hatte ich nichts zu tun, das war Hilde.“

„Ich werde ihr morgen früh danken.“

Schweigend blickten sie sich an. Er hatte ein attraktives Gesicht – klare Linien und ausgeprägte Gesichtszüge. Sie überlegte, ob sie näher an ihn herantreten sollte, um … nun ja, was zu tun? Ihn zu küssen? Das könnte peinlich werden. Und was, wenn er den Kuss erwiderte? Würden sie dann in sein Zimmer gehen und miteinander schlafen?

Sie hatte an beiläufigen Beziehungen kein Interesse, und Desmond hatte sich nicht gerade heimlich die Augen nach ihr ausgeweint. Immerhin war der Abschlussball über zehn Jahre her. Wenn er an ihr interessiert wäre, hätte er sie längst um ein Date bitten können.

Er hatte es nicht getan. Das war ja wohl ein klarer Hinweis darauf, dass er kein Interesse an ihr hatte. Jetzt den ersten Schritt zu machen wäre also mehr als dumm. Er würde sich einen abbrechen, um sie auf nette Weise zurückzuweisen, und sie käme sich wie eine Idiotin vor. Die vage Fantasie, die sich so verlockend bei ihr breitgemacht hatte, löste sich mit einem beinah hörbaren Puff in Luft auf.

„Na dann“, sagte sie und zwang sich zu einem Lächeln. „Gute Nacht.“

Sie drehte sich um, ging entschlossen zu ihrem Zimmer, schloss die Tür hinter sich und lehnte sich von innen dagegen.

Schluss mit diesen Desmond-ist-attraktiv-und-sexy-Gedanken, ermahnte sie sich. Schluss mit allem, was ihn betraf. Sie würde zwei Monate hier wohnen, das durfte sie nicht vergessen. Besser, sie benahm sich wie eine höfliche WG-Genossin. Alles andere würde direkt in den Abgrund führen.

NISSA

Am Samstagmorgen fuhr Nissa nach Nord-Seattle. Unterwegs kaufte sie Donuts und kam kurz nach zehn vor dem Haus ihrer Freundin an.

Das Wohnviertel hatte sich in den letzten Jahren gut entwickelt. Viele Anwohner hatten ihre Häuser mit neuen Fenstern und Dächern verschönert oder über der Garage einen Anbau hinzugefügt.

Nissa atmete kurz durch. Sie liebte ihre Freundin, aber manchmal waren die Besuche eine emotionale Herausforderung. Vor ein paar Jahren hatte man bei Marisol eine Niereninsuffizienz festgestellt. Marisol und ihre Töchter hatte die Diagnose schwer getroffen.

Nissa kannte die Familie schon lange – Marisol war ihr als Mentorin zugeteilt worden, als sie angefangen hatte, als Lehrerin zu arbeiten. Sie hatten schnell zueinandergefunden. Sie war an Marisols Seite gewesen, als deren Mann, der Vater ihrer Kinder, bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Marisol hatte sie über den Bruch ihrer Verlobung hinweggetröstet. Sie waren beste Freundinnen, die sich aufeinander verlassen konnten.

Nissa stieg aus und klingelte. Sekunden später wurde die Tür aufgerissen, und Rylan und Lisandra, die zehnjährigen Zwillinge, begrüßten sie begeistert.

„Nissa! Da bist du ja!“

„Sind das Donuts? Hast du welche mit Ahornsirup mitgebracht?“

„Und Schokolade! Die esse ich am liebsten!“

„Ja, ja und ja“, erwiderte Nissa lachend und umarmte mit dem freien Arm die beiden Mädchen. Als sie eintrat, sah sie Marisol auf dem Sofa.

Trotz der angenehmen zweiundzwanzig Grad draußen hatte ihre Freundin eine Decke über dem Schoß. Sie war blass, und unter ihren Augen lagen dunkle Ringe. Es wurde immer deutlicher, was ihr die Krankheit abverlangte. Sie reichte den Mädchen die Donuts und ging zum Sofa, um ihre Freundin zu umarmen. „Wie geht’s dir?“

„Heute ist ein guter Tag“, antwortete Marisol. „Danke fürs Kommen.“

Nissas Blick fiel auf die leere Tasse auf dem Couchtisch. „Ich hole dir noch eine Tasse Tee und mache mir auch gleich eine.“

Marisol nickte, lehnte sich in die Polster und schloss die Augen.

Nissa ging in die Küche. Das Haus war ordentlich und hell, jedoch ziemlich klein. Es hätte eine Renovierung vertragen können, doch dafür war kein Geld da. Bisher deckte die Versicherung Marisols Arztrechnungen, aber sie konnte bald nicht mehr arbeiten. Wenn sie keine Spenderniere bekam, würde sie im Herbst nicht wieder in den Job zurückkehren können.

„Und wie fühlst du dich wirklich?“, fragte Nissa, als die Mädchen in ihr Zimmer gegangen waren.

Marisol schüttelte den Kopf. „Heute ist es nicht so schlimm. Ich bin müde, aber das bin ich ja immer.“

Erschöpfung war nur eins der vielen Symptome, die sie quälten.

Marisol griff nach Nissas Hand und drückte sie. „Erzähl mir, wie es ist, mit Desmond unter einem Dach zu wohnen. Wie läuft’s? Wirst du von verbotenen Gedanken geplagt?“

Nissa lachte. „Verbotene Gedanken? Hast du wieder Jane Austen gelesen? Sein Haus ist wunderschön, und er ist der perfekte Gastgeber. Es läuft super.“

Marisol beugte sich näher zu ihr. „Und die verbotenen Gedanken?“

„Geht so. Der eine oder andere. Ich kann nichts dagegen tun. Er ist sehr attraktiv.“

„Vielleicht ist es ein Zeichen, dass du bei ihm wohnst.“

„Oder das Schicksal hat Humor“, erwiderte Nissa. „Wenn der Mann mit mir ausgehen wollte, hätte er sich schon längst mal rühren können. Also will er wohl nicht, und das ist auch okay.“

„Wenn du meinst …“

„Tue ich. Wir sind Freunde, das ist alles.“

Marisol seufzte. „Du bist meine Stellvertreterin für ein aufregendes Leben. Wenn du mit niemandem ausgehst, funktioniert das aber nicht. Weißt du schon, wo deine erste Zeitarbeitsstelle sein wird? Vielleicht lernst du dort jemanden kennen.“

„Ich werde zwei Wochen lang in einer Tagesbetreuung für Hunde arbeiten. Vermutlich ist das nicht gerade ein heißes Pflaster für Dates.“

Marisol zog die Nase kraus. „Da hast du wohl leider recht.“

Die Mädchen kamen zurück. Lisandra brachte ein Brettspiel mit.

„Wir haben uns für Monopoly entschieden“, verkündete Rylan.

Nissa lächelte. „Eins meiner Lieblingsspiele. Ich bin dabei. Wir spielen eine Runde, und dann gehen wir drei im Kidd Valley essen.“

Marisol hatte einen speziellen Diätplan, der ihre Nieren nicht überforderte. Nissa würde für sie das Mittagessen zubereiten, bevor sie mit den Mädchen ausging. Nach dem Restaurantbesuch stand spielen im Park auf dem Plan, damit die Mädchen sich austoben konnten, während Marisol sich ausruhte.

Die Kinder hatten schon so viel durchgemacht. Erst der Verlust ihres Dads, dann die Krankheit ihrer Mom. Nissa wusste, dass die zwei Angst um sie hatten. Ohne eine Spenderniere hatte Marisol nur noch ein Jahr zu leben. Sollte ihrer Freundin etwas zustoßen, würde sie sich um die Mädchen kümmern. Sie hatte der Vormundschaft zugestimmt.

Aber so weit durfte es nicht kommen. Marisol würde eine Niere erhalten, und alles würde gut ausgehen. Musste es einfach. Und falls nicht, würde sie für die Zwillinge da sein. Zum einen, weil sie es versprochen hatte, vor allem jedoch, weil sie sie liebte.

DESMOND

Es war vier Tage her, dass Nissa eingezogen war, und Desmond fand bereits überall Spuren ihrer Anwesenheit. Turnschuhe und Sandalen standen neben der Tür zur Garage. Ein Kapuzenshirt und eine leichte Jacke hingen an der Garderobe. Zeitschriften und Bücher lagen im Wohnzimmer verstreut.

Sie hatte das Terrain übernommen, und solange sie hier wohnte, würde alles anders sein. Eine Erkenntnis, die er seltsam erfreulich fand. Sein Leben war zu vorhersehbar und langweilig. Er mochte die Stille zwar, aber es gefiel ihm, dass jemand mit ihm unter einem Dach lebte. Und wenn dieser Jemand so quicklebendig und attraktiv wie Nissa war, dann hatte er großes Glück.

Als er in die Küche ging, saß sie am Küchentisch vor einer Schale Müsli. Sie trug Jeans und ein T-Shirt der Tagesbetreuungseinrichtung für Hunde, wo sie arbeitete. Ihre langen Haare hatte sie zum Pferdeschwanz gebunden, und sie war ungeschminkt.

Für einen Moment wirkte sie wie siebzehn – so ungekünstelt und schön, dass es kaum auszuhalten war. Er liebte es, dass sie immer eine lustige Antwort auf den Lippen hatte und dass sie instinktiv freundlich und rücksichtsvoll war. Auch jetzt griff sie sofort nach der Fernbedienung, um umzuschalten. Statt des Finanzkanals, den er normalerweise schaute, erwischte sie jedoch eine Kochshow.

„Das ist verkehrt“, murmelte sie und blickte auf. „Ich weiß nicht mehr, welche Nummer dein Finanzsender hat.“

„Kein Problem. Hast du gut geschlafen?“

„Wunderbar. Das Bett ist superbequem, und es ist viel ruhiger hier als in meiner Wohnung. Keine lärmenden Nachbarn, die um drei Uhr morgens nach Hause kommen.“

Er goss sich Kaffee ein und warf einen Blick auf ihr Frühstück. „Was isst du da? Die Flüssigkeit ist grau.“

Sie rümpfte die Nase. „Ein proteinreiches Müsli mit Mandelmilch. Möchtest du welches?“

„Weil du so begeistert aussiehst, wenn du es beschreibst? Nein, danke.“

„Ich versuche, mich gesund zu ernähren.“

„Da kenne ich bessere Methoden.“

Sie legte den Löffel weg. „Was gibt’s denn bei dir?“

„Griechischen Joghurt mit frischen Beeren und Granola. Toast mit Mandelbutter.“

Sofort schob sie die Schüssel weit von sich. „Reicht es für zwei?“

Er grinste. „Dicke. Trink deinen Kaffee, ich mache Frühstück.“

„Ich kann helfen!“

„Nicht nötig.“ Er steckte Weißbrot in den Toaster und füllte den griechischen Joghurt in zwei Schälchen. „Wie läuft’s mit dem Job?“

„Ich mag ihn. Die Tiere sind toll. Jeder hat eine eigene Persönlichkeit. Und das Wetter ist schön, also können sie viel draußen sein.“

Er wusch frische Blaubeeren und Himbeeren. „Und das Saubermachen?“

Sie lachte. „Okay, ja, das gehört auch dazu, aber vergiss nicht – ich arbeite mit Kindern, ich bin stinkende Unfälle gewohnt.“ Glücklich seufzend fügte sie hinzu: „Am Nachmittag, wenn die Hunde vom Spielen kaputt sind, entspannen wir uns im Schatten und schlafen ein, zwei Stündchen.“

„Du auch?“

„Ich bin bisher nicht eingeschlafen, doch ich konnte viel schmusen. Das ist schön. Da möchte man am liebsten gleich selbst einen Hund.“ Sie schüttelte den Kopf. „Sag es nicht, ich weiß, dass das nicht geht. Ich arbeite den ganzen Tag, und der arme Kerl wäre in meiner winzigen Wohnung eingesperrt. Das ist kein Leben. Aber es macht Spaß, mit den Hunden von anderen zu spielen. Ich wünschte, ich könnte Rylan und Lisandra mal mitnehmen. Sie würden es lieben.“

Er stellte den Joghurt vor ihr ab und wandte sich dem Toast zu. „Wer sind die beiden?“

„Oh, die Kinder meiner Freundin Marisol. Zehnjährige Zwillinge. Marisol war meine Mentorin, als ich als Lehrerin angefangen habe. Wir sind Freundinnen geworden, und jetzt sehen wir uns ständig. Ich war am Samstag bei ihr.“

Er war neugierig gewesen, wo sie hinfuhr, aber natürlich hatte er nicht das Recht, sie danach zu fragen. Schräg, wie schnell er sich daran gewöhnt hatte, dass sie da war.

„Sie sind wirklich starke Mädchen“, fügte sie hinzu und tauchte ihren Löffel in den Joghurt. „Marisol hat vor ein paar Jahren ihren Mann verloren. Sie war am Boden zerstört und die Mädchen natürlich auch. Es war eine schwere Zeit für sie.“

„Und wie geht es ihnen jetzt?“

Nissa zögerte. „Sie kommen klar. Irgendwas ist ja immer, nicht wahr?“

Sie verschwieg ihm etwas. Er stellte den Teller mit dem bestrichenen Toast vor sie und setzte sich. Natürlich würde er nicht nachhaken. Ihre Freunde gingen ihn nichts an.

„Sie besuchen eine Tagesferienfreizeit, und es gefällt ihnen dort sehr gut. Aber ich hatte dran gedacht, diesen Sommer ein paar Dinge mit ihnen zu unternehmen. Irgendwas Lustigeres als Mittagessen und Kino.“

Er betrachtete Nissas Sommersprossen und die vielen Blauschattierungen in ihren Augen. Ihre Lippen waren üppig und weich, und alles in ihm sehnte sich danach, sie zu küssen. Nein, nicht nur küssen. In einer perfekten Welt würde er Nissa auf seinen Schoß ziehen. Sie würde die Arme um ihn schlingen, sich vielleicht rittlings auf ihn setzen, während sie sich küssten. Er konnte beinah das Gewicht ihres Körpers und ihren Mund auf seinem spüren …

Hastig unterbrach er diesen Gedanken. Nein und nochmals nein. Doch zu spät – Hitze durchflutete ihn. Der Beginn einer Kettenreaktion, die damit endete, dass deutlich sichtbar wurde, wie wenig er sich unter Kontrolle hatte, sobald er aufstand. Ablenkung musste her, und zwar schnell.

„Wir könnten sie ja auf eine Tour mit meinem Boot mitnehmen.“

Nissa biss von ihrem Toast ab. „Du hast ein Boot?“

„Ja. Auf dem Lake Washington. Wir könnten einen Tag lang darauf herumschippern oder durch die Schleuse auf den Sound hinausfahren. Bring deine Freunde mit. Wir werden einen Heidenspaß haben.“

„Ist es ein schönes Boot?“

Er hob eine Augenbraue. „Für wen hältst du mich denn?“

Sie lachte. „Natürlich. Lass mich das anders ausdrücken: Wie schön ist dein Boot?“

„Etwa fünfzehn Meter lang mit drei Gästekabinen und einem angemessen großen Aufenthaltsraum. Das obere Cockpit ist überdacht, man braucht sich also keine Sorgen zu machen, dass man sich einen Sonnenstich holt.“

„Fünfzehn Meter? Ich habe keine Vorstellung, wie lang das ist, und ich nehme an, ich könnte es nicht steuern.“

„Nein. Es gibt einen Kapitän.“

„Abgesehen von dir?“

„Es hat eine Größe, für die man Wissen und Fertigkeiten braucht, die ich mir aus Zeitmangel nicht aneignen kann.“

Sie warf ihm einen Blick zu. „Ich vergesse immer, wie reich du bist. Ich meine, theoretisch weiß ich das schon, aber ich denke einfach nicht dran, wenn wir uns unterhalten und zusammen abhängen.“

„Das ist doch gut.“

„Weil du dann weißt, dass ich dich nicht wegen deines Geldes mag? Ist das tatsächlich ein Problem?“

„Was denkst du denn?“

„Vermutlich schon, doch selbst ohne Geld bist du immer noch traumhaft.“ Sie knabberte an ihrem Toast. „Wenn du das mit dem Boot ernst meinst, würde ich Marisol gern fragen, ob sie und die Mädchen mitkommen wollen. Aber du musst dir ganz sicher sein.“

Eigentlich hätte er lieber darüber gesprochen, wieso sie ihn für traumhaft hielt. Was sollte das heißen? Und bedeutete es, dass er sie vielleicht in sein Schlafzimmer bugsieren konnte?

„Ich bin mir sicher.“

„Danke. Das ist wirklich lieb von dir. Und um deine Großzügigkeit völlig auszureizen: Könnte ich bitte ein Stückchen vom Garten zum Spielen haben?“

„Ich habe keine Ahnung, worauf du hinauswillst.“ Seinen Garten? Wozu?

„Ich vermisse es, zu gärtnern. Meine Mom und ich haben immer den ganzen Sommer im Garten rumgepuzzelt, aber jetzt sind meine Eltern umgezogen, und ich wohne in einer Etagenwohnung, also kann ich nicht mehr in der Erde wühlen. Ich dachte mir, dass ich ein paar Blumen pflanze, solange ich hier bin, oder Unkraut zupfen. Du weißt schon, ein bisschen Spaß haben.“

„Buddel herum, so viel du willst“, erwiderte er. Wieso glaubte sie, da erst fragen zu müssen?

„Einer von uns sollte vielleicht vorher mit dem Gärtner sprechen. Ich bezweifle, dass alle begeistert sind, wenn ich mir ein Eckchen abknapse für ein paar bunte Blumen und eine Tomatenpflanze.“

„Ich sage es Hilde. Sie managt die Gärtner.“

„Danke. Ich liebe Hilde. Sie ist ein As in ihrem Job.“

„Das stimmt. Ich hätte gern mehr Hildes in meinem Leben, vor allem im Büro. Die Angestellte, die normalerweise das Sommerfest der Firma organisiert, ist im Mutterschaftsurlaub, und ihre Stellvertreterin kommt mit der Aufgabe überhaupt nicht klar.“ Er hatte schon mehrmals daran gedacht, Hilde zu fragen, ob sie das Projekt nicht managen wollte.

„Brauchst du Hilfe?“, fragte Nissa. „Ich habe Zeit. Mit einer großen Firmenfeier hatte ich noch nie was zu tun, aber ich könnte Aufträge erledigen oder beim Aufbau helfen.“

Das war Nissa, wie sie leibte und lebte. „Danke dir. Ich sage Bescheid, wenn die Dinge außer Kontrolle geraten.“

„In dem Fall, frag besser Hilde, und ich assistiere ihr.“

Sie sagte es lächelnd und sah so unglaublich schön aus, wie sie hier an seinem Küchentisch saß. James war so ein Idiot, dass er sie hatte gehen lassen, dachte Desmond.

„Würdest du gern zu der Party kommen?“, fragte er, was ihn selbst überraschte und sie offenbar auch, denn sie machte große Augen.

„Klar, wenn das okay ist.“ Sie lächelte. „Ich nehme an, da du der Boss bist, kannst du das entscheiden.“

„Möglicherweise überlegst du es dir anders, wenn ich dir sage, dass meine Eltern kommen werden.“

Sie winkte ab. „Ich habe sie nur ein paar Mal gesehen, aber sie scheinen ganz nett zu sein. Außerdem war ich noch nie bei einer richtigen Firmenfeier.“

„Schön. Ich texte dir die Einzelheiten. Und in der Zwischenzeit sage ich Hilde wegen des Gartens Bescheid und frage den Kapitän, wann wir den Bootsausflug machen können.“ Er lächelte. „So kommt man beim Frühstück zu einer To-do-Liste.“

Nissa klimperte mit den Wimpern. „Dann habe ich ganze Arbeit geleistet.“

4. KAPITEL

NISSA

Draußen war es heiß, doch Nissa fuhr mit offenen Fenstern statt mit Klimaanlage. Hauptsächlich deshalb, weil sie intensiv nach Hund roch. Sie liebte ihren Job bei der Tagesbetreuung für die Tiere, stank danach jedoch wie ein Iltis. Jetzt wünschte sie sich sehnlichst eine Dusche und frische Kleidung. Aber vorher musste sie sich um ein dringenderes Problem kümmern.

Nach dreißig Minuten parkte sie vor dem großen Gebäude, in dem Desmonds Firma ihren Sitz hatte. Sie brauchte unbedingt jemanden, der ihr Vernunft einbläute, und Desmond war nun mal der vernünftigste Mensch, den sie kannte.

Der Uniformierte hinter dem Empfangstresen musterte ihre Jeans und das rosa T-Shirt mit dem aufgedruckten Hundelogo zwar irritiert, meldete sie aber kommentarlos an, und wenig später marschierte sie in Desmonds Büro.

Er saß hinter einem wuchtigen Schreibtisch. Alles, was sie bisher vom Gebäude gesehen hatte, war beeindruckend, aber die Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten, verschlugen ihr die Sprache. Sie boten eine atemberaubende Aussicht über das Wasser, Blackberry Island und den Sound dahinter.

Desmond sprang auf. „Nissa! Dich habe ich nicht erwartet. Ist alles in Ordnung?“

Sie deutete auf die Fenster. „Ist dir bewusst, was da hinter dir liegt? Wie schaffst du es, zu arbeiten? Es ist wunderschön! Im Winter kannst du sogar die Stürme über dem Sound sehen. Wow. Einfach wow. Ich liebe es! Ich bin zwar kein Bürotyp, aber wenn ich hier arbeiten müsste, ließe es sich aushalten.“

„Leider haben die meisten meiner Angestellten keine solche Aussicht. Aber der Pausenraum liegt im Stockwerk unter uns und hat Fenster in dieselbe Richtung.“

„Das war nett von dir, dass du gerade den Raum für die Pausen ausgewählt hast.“ Sie strich ihre Jeans glatt und atmete tief aus, dann verkündete sie: „Ich will einen Hund.“

Sie trat einen Schritt auf Desmond zu. „Ich bin jetzt vier Tage dort, und die sind so lustig und süß und anhänglich. Hunde sind klasse. Sie lieben aus vollem Herzen und freuen sich so, einen zu sehen, und ich will einen. Oder alle. Und du musst mir das ausreden. Ich bete mir selbst immer wieder vor, was wir letztens besprochen haben: Ich bin zu lange nicht zu Hause, meine Wohnung ist winzig, und es ist ein schlechter Zeitpunkt – aber es nützt nichts. Nur ein einziger kuscheliger Hund. Ist das zu viel verlangt?“

Er lächelte sie an. „Eigentlich brauchst du mich für dieses Gespräch gar nicht.“

„Doch, natürlich! Deshalb bin ich ja hier. Damit du vernünftig bist. Ich denke nur immer daran, wie viel Spaß es machen würde, mit dem Hund wandern zu gehen oder zu campen.“

„Er könnte auch mit aufs Boot kommen.“

Sie machte große Augen. „Nein. Hör auf damit. Das ist nicht hilfreich.“

Desmond setzte sich auf die Schreibtischkante. „Du holst dir keinen Hund. Und sobald du zu einem anderen Zeitarbeitsjob wechselst, wirst du nicht mehr so heiß darauf sein.“

„Du zerstörst hier gerade einen Traum.“

„Deine Träume sind zu groß, um sie zu zerstören, und du weißt, dass ich recht habe. Irgendwann wirst du wahrscheinlich einen Hund haben, doch dies ist kein guter Zeitpunkt.“

„Ich weiß. Aber ich will einen!“

„Tief durchatmen. Es sind nur noch anderthalb Wochen.“

„Jetzt will ich schmollen.“

„Wie kann ich helfen? Möchtest du eine Umarmung?“

Oh ja. Eine schöne, feste Desmond-Umarmung, bei der ihr Körper an seinen gedrückt wurde. Allerdings bot er ihr Trost an, wohingegen sie auf ein wenig Umarmungsabenteuer hoffte, und das war nicht fair. Und dann war da noch ihr Geruch …

Hastig trat sie einen Schritt zurück. „Komm mir lieber nicht zu nahe, ich stinke nach Hund. Ich muss nach Hause und unter die Dusche. Danke, dass du mich daran erinnert hast, vernünftig zu sein. Als wir Kinder waren, hatten wir keine Haustiere. Hattest du welche?“

„Haustiere? Nein. Zu viel Dreck und Unordnung. Meine Eltern hatten ja schon ein Problem mit mir.“

Nissa wusste, dass er es ernst meinte. „Möchtest du, dass ich sie ausschimpfe, wenn ich sie bei der Firmenfeier sehe?“, bot sie an. „Das kann ich nämlich gut. Ich habe eine super Schimpfstimme. Schließlich habe ich jahrelange Erfahrung im Strengsein, wenn die Situation bei der Arbeit es erfordert.“

Desmonds Mundwinkel zuckten. „Ich würde zwar Geld dafür bezahlen, das zu sehen, aber ich würde dich niemals darum bitten. Außerdem ist das lange her. Heutzutage sind sie viel mehr daran interessiert, dass ich heirate.“

„Warum?“

„Sie wollen einen Erben.“

„Wegen des Imperiums, richtig? Logisch. Meine Eltern wollen auch, dass ich heirate und für sie Enkel produziere.“ Ihr kam ein unerwarteter und unerfreulicher Gedanke. „Hindert es dich daran, eine Beziehung einzugehen, dass ich bei dir wohne?“

„Ich bin gerade zwischen zwei Beziehungen.“

Oha. „Gibt’s eine Warteliste? Oder einen Bewerbungsprozess?“, fragte sie lachend.

„Ein Formular, das man online ausfüllen kann.“

Oh, sie mochte ihn. Immer schon.

„Dann gehe ich jetzt mal lieber, solange ich fest entschlossen bin, mir keinen Hund anzuschaffen“, erklärte sie. „Danke für deine Hilfe.“

„Immer gern. Ich bin jederzeit für dich da, Nissa.“

Auf dem Weg zurück zu ihrem Wagen rief sie sich ins Gedächtnis, dass die Worte, so schön sie auch klangen, rein freundschaftlich gemeint waren und nicht mal ansatzweise bedeuteten, dass da mehr war.

DESMOND

Häufig arbeitete Desmond an den Wochenenden zu Hause in seinem Arbeitszimmer, an diesem Samstag jedoch schaffte er es nicht, sich zu konzentrieren. Der Grund dafür lag auf der Hand: Nissa. Obwohl er sie weder sah noch hörte, wusste er doch, dass sie im Haus war. Oder besser gesagt, draußen im Garten. Wo sie in die Tat umsetzte, was immer sie vorhatte mit ihrem „Grundstück auf Zeit“, wie sie es nannte.

Einer der Gärtner hatte ihr einen Bereich des Gartens zugeteilt, in dem sie schalten und walten durfte, wie sie wollte. Mit ihrem Interesse am Blumenpflanzen konnte er nichts anfangen, aber ihr war das offensichtlich wichtig. Solange sie glücklich ist, sagte er sich. Während sie unter seinem Dach lebte, war er für sie verantwortlich.

Er wandte sich wieder der Tabelle auf seinem Computer zu, doch drei Minuten später fluchte er leise, speicherte die Datei und schloss das Programm. Besser, er ging hinaus, anstatt auf den Bildschirm zu starren, ohne etwas zu sehen.

Der Garten bestand aus gepflegtem Rasen und ordentlichen Blumenrabatten. Vor der Terrasse gab es einen Pool, und dahinter führte ein Plattenweg hinunter zum Bootssteg am Lake Washington. Auf beiden seitlichen Grundstücksgrenzen sorgten dichte, hohe Hecken für Privatsphäre.

Er fand Nissa auf der Südseite hinter dem Haus, wo sie kniend mit einem kleinen Spaten Wurzeln ausgrub.

Sie hatte die langen Haare zu einem Zopf geflochten, trug Jeans, ein T-Shirt und einen großen Hut, der ihr Gesicht beschattete. Gartenhandschuhe schützten ihre Hände. Nichts an ihr war auch nur ansatzweise aufreizend, er beschleunigte seine Schritte trotzdem – als könnte er gar nicht schnell genug zu ihr kommen.

Allein ihr Anblick bereitete ihm gute Laune. Er wartete, bis sie aufblickte, ihn sah und ihn anlächelte – wie sie es immer tat –, und genoss das Kribbeln, das sich bei ihm ausbreitete.

Nissa griff nach einer Schaufel, die in der Erde steckte. Er eilte zu ihr und nahm sie ihr aus der Hand.

Erst jetzt bemerkte sie ihn und grinste. „Kommst du schauen, was ich mache? Ich bin im Abrissmodus, also urteile nicht voreilig. Wenn später die neuen Pflanzen in der Erde sind, wirst du ein Farbenmeer sehen.“

„Warum hast du mich nicht um Hilfe gebeten?“

Sie schüttelte langsam den Kopf. „Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Kannst du überhaupt mit den Händen arbeiten?“

„Sehr lustig. Also, was soll raus?“

Sie deutete auf ein paar Pflanzen. „Diese da, bitte. Ich will nicht zu viel ausgraben. Im September wird der Garten in seiner ursprünglichen Pracht wiederhergestellt. Irgendwie tut mir dein Gärtnerteam leid. Sie haben fast geweint, als ich ihnen gesagt habe, was ich machen will.“

„Das bezweifle ich.“ Er setzte die Schaufel an. „Soll ich mit ihnen sprechen?“, fragte er und hob die Pflanze aus dem Boden.

„Was? Nein. Ich habe es dir nur erzählt, ich wollte nicht petzen. Dein Garten ist wunderschön gestaltet und gepflegt. Die Jungs sind stolz auf ihre Arbeit, und nun tauche ich auf und bringe alles durcheinander. Ich komme mir unglaublich selbstsüchtig vor. Aber ich kann nicht anders. In der Erde zu wühlen macht mich glücklich.“ Nach kurzem Schweigen fügte sie lachend hinzu: „Dir dabei zuzusehen, wie du in der Erde wühlst, ist übrigens auch nicht schlecht.“

„Freut mich, wenn ich helfen kann.“ Er wurde schnell damit fertig, die Pflanzen auszugraben, die sie ihm ansagte. Danach warfen sie sie auf den Kompost.

„Was kommt als Nächstes?“, fragte er, während er ihr half, den Weg zu fegen.

„Ich gehe Blumen kaufen. Heute früh habe ich mit meiner Mom telefoniert, und sie hatte gute Tipps.“

„Wie geht’s deiner Mom?“

„Gut. In ein paar Wochen werden sie und Dad herkommen und Shane und mich besuchen.“

„Sie können gern hier wohnen“, sagte er. Es wäre nett, mal wieder Zeit mit Shane und mit Nissas Eltern zu verbringen. Sie waren immer freundlich zu ihm gewesen, hatten ihn in die Familie aufgenommen und an ihren Traditionen teilhaben lassen. In ihrer Familie hatte er sich normal gefühlt.

„Sie hatten vor, bei Shane zu wohnen, aber ich biete es ihnen gern an“, erwiderte sie. „Shane freut es bestimmt.“ Sie lächelte verschmitzt. „Anscheinend hat er immer noch diese neue Freundin. Das wären dann schon vier Wochen Beziehung. Du weißt, wie selten das bei ihm vorkommt. Wenn meine Eltern bei ihm übernachten, schränkt ihn das womöglich ein.“

Desmond lachte leise. „Da bin ich ja froh, wenn ich die Sache unterstützen kann.“

Sie warf ihm einen Blick zu. „Meinst du, es ist was Ernstes?“

Nach kurzem Zögern erwiderte er: „Shane hat mir nicht viel von ihr erzählt.“ Das stimmte. Allerdings sagte er nicht, dass Shane seine Gründe dafür hatte, wieso er sich auf nichts Festes einlassen wollte. Gründe, von denen Nissa nichts wusste und die er deshalb nicht erwähnen würde. Shane war sein bester Freund, und er würde niemals dessen Vertrauen enttäuschen.

„Wann willst du denn die Blumen kaufen?“, fragte er und hoffte, dass ihr der Themenwechsel nicht auffiel.

„Jetzt. Bei Fred Meyer gibt’s welche im Sonderangebot.“ Es war der Name einer örtlichen Supermarktkette.

„Oder du könntest dem Gärtner sagen, welche du haben möchtest, und er würde sie aus der Gärtnerei mitbringen.“

Sie seufzte. „Wow, du führst wirklich ein behütetes Leben. Ich weiß noch nicht genau, was ich möchte. Ich will sehen, was schön aussieht und mich anspricht. Außerdem ist das Kaufen der Pflanzen der halbe Spaß. Es befriedigt mich, sie nach Hause zu bringen und sie dann eigenhändig einzupflanzen.“

„Wenn du es sagst …“

Sie streifte die Handschuhe ab. „Das klingt zweifelnd, und das nehme ich als Herausforderung. Okay, jetzt kommst du mit zum Einkaufen. Offenbar musst du die Lust des Pflanzenkaufens selbst erleben.“ Nach kurzem Schweigen fügte sie hinzu: „Es sei denn, du hast was anderes vor.“

„Nein, keineswegs.“ Und wenn, hätte er es verschoben. Viel lieber verbrachte er den Rest des Vormittags mit Nissa.

Fünf Minuten später saßen sie in ihrem Auto und waren auf dem Weg zu Fred Meyer. Sie hatten kurz darüber diskutiert, wessen Wagen sie nehmen sollten, aber sie hatte auf ihrem bestanden, mit dem Argument, dass er weinen würde, wenn sie Pflanzen in den Kofferraum seines teuren Mercedes stellte, und sie dafür nicht verantwortlich sein wollte. Und so fand er sich auf dem Beifahrersitz ihres Honda CRV wieder.

Während der Fahrt war er sich ihrer Nähe sehr bewusst. In dem kleinen Auto war nicht viel Platz, sie saßen dicht beieinander. Es wäre leicht, den Arm auszustrecken und die Hand auf ihren Oberschenkel zu legen.

Tu es nicht, sagte er sich streng. Nissa ist eine Freundin. Sie ist wichtig für dich, also solltest du sie nicht anmachen. Außerdem stand er in der Schuld ihrer Familie. Die würde es nicht wollen, dass sie sich mit einem herzlosen Mann einließ.

Desmond war überrascht, wie viele Leute in dem großen Supermarkt unterwegs waren. Nissa musste ein paar Runden drehen, bis sie einen Parkplatz in der Nähe der Gartenabteilung fand.

„Was machen denn die vielen Menschen hier?“, fragte er beim Aussteigen.

Sie warf ihm über das Wagendach einen Blick zu. „Es ist Samstag. Die meisten Leute erledigen samstags ihre Einkäufe. Bei Fred Meyer gibt es Lebensmittel, Kleidung und Möbel. Und Gartenbedarf. Es ist ein beliebter und bequemer Supermarkt, wo man alles unter einem Dach bekommt. Warst du noch nie hier?“

„Ich kaufe nicht oft ein.“

„Eher gar nicht. Du lässt einkaufen.“ Sie blickte ihn an. „Ich vergesse immer, wer du bist. Für mich bist du einfach Desmond, mein Freund, den ich schon ewig kenne.“

Etwas, das er nicht deuten konnte, blitzte in ihren Augen auf, dann war es wieder verschwunden.

„Aber da ist auch noch ein Milliardenvermögen und ein globaler Konzern.“

„Es ist keine Milliarde.“

Sie lächelte. „Aber näher an einer Milliarde als an einer Million, stimmt’s?“

„Vielleicht.“ Er wischte eine Erdkrume von ihrer Wange. „Das ändert allerdings nichts.“

„Außer, dass du nie wie wir alle bei Fred Meyer einkaufst, weil du so reich bist.“

„Ich kaufe ja heute hier ein.“

Sie trat zu ihm für eine Umarmung, und Desmond schlang die Arme um sie und zog sie an sich. Es fühlte sich gut an, wenn sie sich so an ihn schmiegte. Warm und weiblich. Er wollte so viel mehr als das. Er wollte, dass sie aufblickte, damit er sie küssen konnte. Dabei dachte er an einen langen, genüsslichen Kuss, wie er für einen Supermarktparkplatz völlig unangebracht war. Aber sie blickte nicht auf, und er wusste ja auch, dass er sich auf nichts in dieser Richtung einlassen sollte.

„Also dann, du“, sagte sie und löste sich von ihm. „Gehen wir Blumen kaufen.“

5. KAPITEL

NISSA

Nachdem am späten Nachmittag alle Blumen eingepflanzt und gegossen waren, räumten sie und Desmond die letzten Gartengeräte weg. Nissa hatte erwartet, dass er die Pflanzen einfach neben dem Weg abstellen und ins Haus verschwinden würde, doch er war ihr bei der harten Arbeit nicht von der Seite gewichen.

„Das hätte ich allein heute nie alles geschafft“, sagte sie. „Du warst eine große Hilfe.“

Er schenkte ihr ein Lächeln, das ein Kribbeln in ihrem Magen erzeugte.

„Es hat mir Spaß gemacht.“

Nissa war verschwitzt, aber sehr zufrieden. Jetzt würde sie den Sommer über fröhliche Blumen haben.

In der Küche warf Desmond ihr einen Blick zu. „Hilde hat mariniertes Hühnchen und Salat vorbereitet. Ich wollte grillen. Du kannst gern dabei sein, wenn du möchtest. Es sei denn, du hast was anderes vor. Schließlich ist Samstag.“

Was anderes in Form eines Dates? Tja, das kam dieser Tage nicht vor. Tatsächlich hatte Nissa seit ihrer Trennung von James vor über zwei Jahren keine ernsthafte Beziehung gehabt.

„Ich gehe nicht aus“, platzte sie heraus. „Ich meine, ich könnte, aber ich tue es nicht. Oder habe es jedenfalls nicht getan. In letzter Zeit.“

Hastig schloss sie den Mund, um nicht weiter wie eine Idiotin draufloszuplappern.

„Also essen wir zusammen zu Abend?“, fragte Desmond und rettete sie damit, ohne auf ihr Geplapper einzugehen.

„Das wäre schön. Nachdem ich unter der Dusche war. Treffen wir uns in einer halben Stunde wieder hier?“

„Perfekt.“

Als sie beide gleichzeitig versuchten, durch die Küchentür zu gehen, gab es einen peinlichen Moment, dann trat Desmond einen Schritt zurück und ließ ihr den Vortritt. Nissa eilte hinaus, hastete die Treppe hinauf und rannte praktisch in ihr Zimmer, wo sie die Tür hinter sich schloss und sich von innen dagegen lehnte.

„Reden ist nicht so schwer“, flüsterte sie sich zu. „Das machst du, seit du zwei bist. Du weißt doch, wie es geht.“

In der Gegenwart von Desmond waren „wissen“ und „tun“ jedoch zwei völlig verschiedene Dinge.

Nach einer Dusche entschied sie sich für eine Caprihose und ein passendes Träger-Top, beides in strahlendem Apfelgrün. Sie föhnte kurz ihr Haar an und tuschte sich die Wimpern. Als sie nach unten kam, war Desmond im Wohnzimmer an der Bar.

„Ich dachte an ganz altmodische Gimlets“, sagte er.

Von denen hatte sie gehört, aber nie einen getrunken. „Bin dabei.“

Er gab Eis in einen Shaker und fügte die abgemessenen Zutaten hinzu. Auch er hatte geduscht und trug Jeans und ein Polohemd. Beides betonte seinen muskulösen Körperbau. Offenbar machte der Mann Fitnesstraining.

Nachdem er den Shaker verschlossen hatte, schüttelte er ihn und goss die Drinks durch einen Durchschlag in die Gläser. Er reichte ihr eins und ging zur Couch.

Bevor sie sich setzte, streifte sie die Sandalen ab, dann zog sie die Beine unter sich und nippte an ihrem Drink.

„Lecker“, sagte sie. „Sehr erfrischend.“ Sie mochte die Kombination von Limette und Gin Botanical. Der Hauch von Basilikum war eine Überraschung.

„Freut mich, dass er dir schmeckt.“ Desmond lehnte sich in die Polster. „Ich habe mit deiner Mom getextet. Dein Dad und sie werden hier wohnen, wenn sie in der Stadt sind.“

Sie grinste. „Und das ist für dich in Ordnung?“

„Natürlich. Ich bin gern mit ihnen zusammen und freue mich, dass ich mich für ihre Gastfreundschaft revanchieren kann.“

„Werden deine Eltern auch hier wohnen, wenn sie nach Seattle kommen?“

Ein Muskel an seinem Kiefer zuckte. „Nein. Sie übernachten lieber in einem Hotel. In zwei verschiedenen Hotels, um genau zu sein.“

Ungläubig starrte sie ihn an. „Sie wohnen nicht im selben Hotel?“

„Nein. Sie sind seit ein paar Jahren nicht mehr zusammen. Sehr nahegestanden haben sie sich nie, aber vor Kurzem haben sie aufgehört, so zu tun als ob. Meine Mutter verbringt die meiste Zeit in Paris, und mein Dad lebt in New York.“

„Und wie geht es dir damit?“

„Meine Meinung spielt keine Rolle. Wenn du wissen willst, ob ich mir Sorgen mache, dass sie sich scheiden lassen – mache ich nicht. Es steht zu viel auf dem Spiel. Außerdem führt jeder sein Leben.“

„Aber kein gemeinsames.“

„Du glaubst, dass sie sich früher einmal geliebt haben und es jetzt nicht mehr tun, doch so war es bei ihnen nicht. Sie hatten eine Fusion. Es war eine vernünftige Entscheidung, die beide Firmen gedeihen ließ. Romantik gehörte nicht zum Deal.“

„Das ist traurig.“

„Warum? Es ist das, was sie erwartet und bekommen haben. Selbst als ich klein war, haben sie sich selten gesehen. Sie sind getrennt in Urlaub gefahren. Manchmal haben sie mich mitgenommen, aber oft haben sie mich bei meinem Kindermädchen gelassen.“

Sie hatte ein paar Eckpunkte seiner Vergangenheit gekannt, jedoch keine Einzelheiten.

Desmond blickte sie an. „Eine Heirat aus Liebe ist eine relativ moderne Idee. Hunderte von Jahren wurden Ehe aus geschäftlichen Gründen arrangiert.“

„Das hätte mir nicht gefallen. Ich bin nicht sicher, ob ich eine arrangierte Ehe führen könnte, um den Familienreichtum zu mehren.“

„Damals hättest du keine Wahl gehabt.“

„Hatte deine Mom denn eine?“

„Das weiß ich nicht, sie spricht nicht darüber. Wenn ich mal versucht habe, ihr Fragen zu stellen, hat sie immer gesagt, dass sie mit ihrem Leben überaus zufrieden ist. Und sie wies darauf hin, dass ihre Art Ehe viel vernünftiger sei, weil Gefühle unberechenbar und unnötig seien.“ Er zuckte die Achseln. „Sie sind beide nicht sehr gefühlsbetont. Sie sehen keinen logischen Zweck in Liebe und Zuneigung. Das kommt davon, wenn man kein Herz hat. Liegt wohl in der Familie.“

„Sie haben Herzen.“

„Sie sind nicht gemein oder grausam, sie glauben eben nur nicht an die Liebe. Pflicht, ja. Die verstehen sie. Doch etwas nur aus Liebe zu tun, ist einfach nicht ihr Ding. Oder meins.“

Sie trank ihr Glas aus und stellte es auf den Tisch. „Das kann ich so nicht stehen lassen, Desmond.“

„Solltest du aber. Mir wurde mehr als einmal an den Kopf geworfen, ich sei ein herzloser Bastard.“

„Wer immer das gesagt hat, lag völlig falsch. Du kümmerst dich. Du liebst mich und meine Familie. Ich weiß, dass es so ist.“

Ihre Blicke trafen sich, und ihr wurde klar, dass sie mit dem L-Wort das Gespräch womöglich in eine Richtung gelenkt hatte, die sie nicht hatte einschlagen wollen.

Sie räusperte sich. „Ich meine, du liebst uns, wie man eine Familie liebt. Normale Familien, nicht deine Familie. Ich meinte nicht romantische Liebe. Du liebst mich schließlich nicht oder so. Du liebst uns so, wie wir dich lieben.“

Seine Mundwinkel zuckten, als versuche er, ein Lächeln zu unterdrücken. „Möchtest du, dass ich das Thema wechsle?“

„Ja, bitte.“

„Die Mariners schlagen sich gut.“

Baseball, registrierte sie dankbar. Das war ein sicheres Thema. „Und wie. Ob sie es dieses Jahr wohl in die Play-offs schaffen?“

Später, als sie das Hühnchen grillten, dachte Nissa über Desmonds Aussage, er habe kein Herz, nach. Das glaubte er doch nicht wirklich, oder? Desmond war freundlich und großzügig – natürlich lagen ihm Menschen am Herzen. Aber sie verstand auch, wieso er sich möglicherweise zurückhielt. Seine Ehe mit Rosemary war nicht so gelaufen, wie er es gewollt hatte, so etwas ließ Narben zurück. Genau, wie sie noch immer an der Geschichte mit James zu knabbern hatte – obwohl sie nicht verheiratet gewesen waren. Ein solcher Schmerz konnte einen Menschen verändern.

Das musste es sein, denn wenn Desmond dachte, er sei herzlos wie seine Eltern, dann lag er so was von falsch.

NISSA

Als Nissa am Mittwoch nach der Arbeit in die Küche kam, stand Hilde an der Kücheninsel, auf der mehrere Schranktüren nebeneinander aufgereiht waren.

„Was ist denn hier los?“, fragte sie.

„Wir renovieren die Küche. Mr. Desmond hat das Budget abgesegnet und einen Dekorateur beauftragt, aber die Entscheidung für das Design überlässt er mir.“

Nissa drehte sich langsam um ihre eigene Achse und ließ die riesige Küche auf sich wirken. Vermutlich würde ihre gesamte Wohnung in den Raum passen und es wäre noch Platz für ein oder zwei Terrassen. Die Schränke reichten bis zur Decke, und die Kücheninsel war gut platziert. Der Herd wirkte abgenutzt, und die Schrankgriffe waren altmodisch.

„Wurde hier was gemacht, als Desmond eingezogen ist?“, fragte sie.

Hilde schüttelte den Kopf. „Nein. Mr. Desmond hat sein Bad renovieren und das Haus streichen lassen. Oben wurde ein neuer Teppichboden verlegt, aber sonst nichts. Diese Küche ist etwa zwanzig Jahre alt.“

„Dann wird’s ja mal Zeit. Was haben Sie denn schon?“

Hilde öffnete einen Schrank und zog verschiedene Broschüren, Farbkarten und drei unterschiedliche Aufrisszeichnungen hervor.

„All das hier, aber es ist ja nicht meine Küche.“ Hilde klang gestresst. „Mr. Desmond muss das entscheiden, doch er will einfach nicht.“

Nissa grinste. „Dann werde ich ihm erklären müssen, dass das so nicht geht. Und zwar gleich.“ Sie ging den langen Flur hinunter zu Desmonds Arbeitszimmer. Die Tür stand offen, und er saß am Schreibtisch. Seine Aufmerksamkeit war auf den Computer gerichtet.

Desmond war jemand, der sich extrem auf eine Sache fokussieren konnte. Sie gönnte sich ein paar Sekunden lang die Fantasie, wie es wäre, wenn seine ganze Aufmerksamkeit auf sie fokussiert wäre, dann räusperte sie sich leise.

Er blickte auf und lächelte.

Es war ein gutes Lächeln, eins, das sie willkommen hieß und zeigte, dass er sich freute, sie zu sehen. Als ob sie ihm wichtig wäre. Deute da nicht zu viel hinein, ermahnte sie sich, dann lehnte sie sich an den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Du wirst in der Küche gebraucht“, sagte sie.

„Ach ja?“

„Ja. Du musst ein paar Entscheidungen zur Renovierung treffen, und heute ist der perfekte Zeitpunkt dafür.“

Sein Lächeln verschwand. „Das ist nicht mein Ding. Hilde kümmert sich darum.“

„Es ist dein Haus, und du hast das letzte Wort. Ob es dein Ding ist oder nicht, es ist deine Verantwortung. Komm schon, Desmond. Schau dir ein paar Muster an. Deute hoheitsvoll auf eins, und wir werden uns beeilen, deinem Wunsch zu folgen. Den Teil wirst du mögen, glaub mir.“

Sein Mund verzog sich nicht, aber seine Augen blitzten humorvoll auf. „Menschen folgen den ganzen Tag meinen Wünschen. Das brauche ich zu Hause nicht auch noch.“

„Dann tu es mir zuliebe.“ Sie ließ einen Arm sinken und zeigte mit dem anderen den Flur hinunter. „Ab in die Küche. Jetzt.“

„Du bist so herrisch.“

Autor

Nina Crespo
Foto: ©privat
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Judy liebte es schon immer Liebesromane zu lesen, dachte aber nie daran selbst welche zu verfassen. „Englisch war das Fach in der Schule, was ich am wenigsten mochte, eine Geschichtenerzählerin war ich trotzdem immer gewesen,“ gesteht sie. Als alleinerziehende Mutter mit vier Kindern, wagte Judy den Schritt zurück auf die...
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