Mary – Kritik

Abel Ferrara unternimmt eine metaphysische Abenteuerfahrt durch Israel und New York. Mary schließt an die Meisterwerke des Regisseurs aus den neunziger Jahren an.

Mary

Marie Palesi (Juliette Binoche) will nicht zurück nach New York. In Israel hat die Schauspielerin einen Jesus-Film mit dem Regisseur und Hauptdarsteller Tony Childress (Matthew Modine) abgedreht, in dem sie Maria Magdalena verkörpert. Anschließend weigert sie sich, Childress in die Heimat zu begleiten. Stattdessen beginnt sie in Israel eine Art Pilgerfahrt, umgeben von den Wirren des Nahostkonflikts.

Abel Ferraras Mary spielt fortan hauptsächlich in New York, dennoch bleibt Israel als zweiter Schauplatz präsent, als gespenstischer Hintergrund und mysteriöse Brechung eines Films, der auch ohne diese zweite Ebene verwirrend genug ist.

Tony Childress macht sich daran, sein Filmprojekt zu bewerben und begibt sich zu diesem Zweck in die Fernsehtalkshow von Ted Younger (Forest Whitaker). Dieser führt in seiner Sendung regelmäßig konzentrierte Interviews mit Gästen zu komplexen religiösen Fragestellungen. So ernsthaft wie die Show ist auch Younger selbst, ein tendenziell schwermütiger Afroamerikaner, der langsam aber sicher in eine existenzielle Glaubenskrise rutscht, für die Childress´ Film nur einer unter mehreren Auslösern ist.

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Bald wird klar, dass dieser zutiefst verunsicherten Persönlichkeit und nicht dem egomanischen Regisseur Ferraras Hauptinteresse gilt. Denn Childress ist von Anfang an auf dem Holzweg und findet als auf sich selbst zurückgeworfenes Künstlersubjekt keinen Ausweg aus der selbstgewählten Isolation. Auf dem Höhepunkt der Selbstzerstörung wird er sich schließlich mit seinem vergötterten Filmmaterial vereinen. Gleichzeitig verliert er endgültig jeglichen Bezug zur sozialen Realität.

Der Titel von Childress´ Opus Magnum lautet „This Is My Blood“. Bei einem Regisseur wie Ferrara ist dies wörtlich zu verstehen. Um nichts weniger als die psychische, physische und metaphysische Existenz des Menschen geht es in seinen Werken spätestens seit dem delirierenden Künstlerportrait The Driller Killer (1979). Stets konfrontiert Ferrara seine Helden mit den Abgründen der eigenen Existenz. Im Zentrum der Filme steht meist eine Figur, die diese Herausforderung annimmt, anstatt ihr auszuweichen. Matthew Modine selbst verkörperte in The Blackout (1997) einen solchen Protagonisten, vielleicht den eindrucksvollsten der gesamten Filmografie Ferraras.

Hier jedoch bleibt Childress von Anfang bis Ende der selbstgerecht unkonventionelle Hipster, der es sich in seinem Rebellendasein gemütlich macht und deshalb Palesi und Younger in ihren Selbstzweifeln nicht nur nicht versteht, sondern ihnen latent aggressiv entgegentritt. Younger dagegen stürzt sich, wie einst Modine als Matty in The Blackout oder Harvey Keitel in seinen denkwürdigen Rollen in Bad Lieutenant (1992) und Snake Eyes (Dangerous Game, 1993), Hals über Kopf in die Abgründe des eigenen Unbewussten.

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Das vielleicht Sonderbarste an Mary ist, dass Youngers – und parallel dazu Palesis – Selbstfindungstrip in erster Linie auf der religionstheoretischen Ebene abgehandelt wird. In langen Passagen betreibt Younger in seiner Fernsehshow Bibelexegesen, seine Verzweiflung gerinnt stets zum philosophischen Argument, anstatt sich, wie in früheren Ferrara-Filmen, in Gewalt- und Drogenexzessen niederzuschlagen. Dennoch verliert Younger auch in völlig nüchternem Zustand zunehmend die Kontrolle über den eigenen Körper, seine Bewegungen geraten ins Stocken, das Sprechen degeneriert zu einem Stammeln, das seine Äußerungen oft jedes semantischen Gehalts beraubt.

Mary ist, wie gesagt, ein sonderbarer Film, aber mindestens ebenso sehr ein faszinierender. Und ein Solitär auch im Werk seines Regisseurs. Einerseits schließt Mary in vieler Hinsicht an Ferraras Meisterwerke der neunziger Jahre von King of New York (1990) bis New Rose Hotel (1999) an, andererseits markiert er einen Neuanfang, insbesondere produktionstechnisch. Denn Mary ist der erste Film des Regisseurs, der primär mit europäischem Geld finanziert ist und konsequenterweise auch thematisch nicht mehr im amerikanischen Genrekino verwurzelt ist. Ferrara, schon lange ein Favorit vor allem der französischen Cinephilie, ist, ob freiwillig oder nicht, in der europäischen Festivalszene angekommen.

Erhalten haben sich jedoch nicht nur der metaphysische Anspruch. Geblieben ist auch eine filmische Form, die die Unterscheidung zwischen subjektiven und objektiven Bildern, zwischen dem Blick auf die Figuren und dem Blick der Figuren selbst, kollabieren lässt. Der emotionale und philosophische Exzess des Filminhalts nimmt von den Bildern und Tönen selbst Besitz. Mehrfache Überblendungen, begleitet von hypnotischer Musik, zerstören die Kontinuität des Handlungsraumes. Ferraras New York, ein unzusammenhängendes Nebeneinander von Neonlichtern und Bildschirmen, verwandelt sich in einen Ort, der außerhalb von Youngers Wahrnehmung nicht existiert. Andererseits jedoch ist Younger selbst kein handelndes Subjekt, sondern dient in erster Linie als Projektionsfläche für die Bilder, Töne und Gedanken des Films.

Die letzte Überraschung hat Abel Ferrara ganz am Schluss parat: Er gönnt seinem Film und seinen Figuren ein waschechtes Happy End. Nicht immer ist erkennbar, was an Mary filmästhetisch durchdachtes Konzept ist und was kreatives Chaos. Doch dieses konsequente, kraftvolle Finale spricht dafür, dass die Regie auch im Rest des Werkes genau weiß, was sie tut.

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Kommentare


Doormat Demon

Ein richtig abgefuckter Film ist das






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