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Zum Start des Raiffeisen-Prozesses «Finanzgenies» vor Gericht – die grössten Schweizer Wirtschaftsprozesse

Ein Mythos liegt am Boden. Das Verfahren um die Swissair-Pleite beschäftigte die Gerichte jahrzehntelang.

Mit dem Verfahren gegen Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz startet am Dienstag der grösste Wirtschaftsprozess in vielen Jahren. Und er weckt ungute Erinnerungen: Unzählige Bundesordner und Gutachten, kaum Wirtschaftsexperten bei den Ermittlungsbehörden, die besten Anwälte auf der Angeklagtenseite – und die unerbittlich tickende Uhr der Verjährung: Bei grossen Fällen von Wirtschaftskriminalität stösst das Justizsystem hierzulande regelmässig an seine Grenzen.

Die Gier nach dem schnellen Geld produziert regelmässig neue Wirtschaftsstrafverfahren – mit Tausenden von geschädigten Kunden. Und dann gibt es noch die richtig grossen Fälle. Die folgenden vier stechen dabei heraus.

Der Swissair-Prozess

Er gab seinen Top-Job bei Nestlé auf, um die Swissair als Konzernchef zu retten – und wurde so zum Angeklagten: Mario Corti während der Gerichtsverhandlung im März 2007.

Das bis heute spektakulärste Wirtschaftsstrafverfahren in der Schweiz drehte sich um die Swissair-Pleite. Fünf Jahre lang ermittelte die für Wirtschaftsfälle zuständige Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen 19 Personen, darunter viel Wirtschafts- und Politprominenz: Der Zürcher Regierungsrat Eric Honegger, die Politikerin Vreni Spoerry, der Industrielle Thomas Schmidheiny und der CS-Spitzenbanker Lukas Mühlemann zierten damals den Verwaltungsrat der nationalen Fluggesellschaft.

Auch die Geschäftsleitung sollte zur Verantwortung gezogen werden. Allen voran Philipp Bruggisser, der mit seiner waghalsigen Hunter-Strategie die Airline in die oberste Liga bringen wollte, und sein Nachfolger Mario Corti, der seinen sicheren Top-Job beim Food-Konzern Nestlé aufgab, um die Swissair vor dem Niedergang zu retten.

Ungetreue Geschäftsbesorgung, Gläubigerschädigung, Misswirtschaft, Urkundenfälschung – die Liste der angeblichen Verfehlungen war lang. Die Angeklagten sollten mit Freiheitsstrafen von sechs bis 28 Monaten sowie hohen Geldstrafen und Bussen belangt werden. Knapp zwei Monate dauerte der Prozess im Frühjahr 2007 in Bülach. Am 7. Juni 2007 fällte das Bezirksgericht Bülach ein für die Staatsanwaltschaft vernichtendes Urteil: Alle Angeklagten wurden freigesprochen und erhielten fünf- bis sechsstellige Entschädigungen. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf einen Weiterzug. Auch der Versuch des Liquidators der Swissair-Konkursmasse, über eine Verantwortlichkeitsklage gegen 14 Mitglieder der Airline-Spitze an 460 Millionen Franken zu gelangen, scheiterte 2019 vor dem Bundesgericht. Letztlich zahlten die ehemaligen Swissair-Manager einen Bruchteil der einst geforderten Summe an die Gläubiger.

Die juristische Fachzeitschrift «Plädoyer» nahm 2020 mit ironischem Unterton eine kleine Kostenrechnung vor. «Die 19 ins Verfahren involvierten Beklagtenanwälte erstritten Parteientschädigungen von insgesamt 6,3 Millionen Franken. Die Gerichtsgebühren für die beiden Instanzen beliefen sich auf total 3,2 Millionen Franken. Das macht 15’360 Franken pro Urteilsseite.»

Der Chiasso-Skandal

Fluchtgelder aus Italien für dubiose Geschäfte: Die Hauptangeklagten am SKA-Texon-Prozess in Chiasso: Elbio Gada, Ernst Kuhrmeier, Claudio Laffranchi und Alfredo Noseda (v.l.n.r) im Mai 1979.

Der Knall in der Tessiner Bankenwelt fand sogar in der «New York Times» grosse Beachtung. Die Filiale Chiasso der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) hatte im Geschäft mit italienischem Fluchtgeldern eine vermeintliche Goldader entdeckt. Zwischen 1961 und 1977 schleuste sie 2,2 Milliarden Franken aus Italien über die Liechtensteiner Briefkastenfirma Texon in Form von Betriebskrediten zu italienischen Firmen zurück. Offiziell warb die SKA-Filiale bei den Steuervermeidern damit, dass die Milliarden im Euromarkt sicher und ertragreich angelegt würde.

Im April 1977 flog die Sache auf: Texon, deren Geschäfte von Chiasso aus geleitet wurden, hatte illegal, weil ohne Bankkonzession gehandelt und zudem 190 Millionen Franken an Verrechnungssteuern sowie 80 Millionen Franken Negativzinsen hinterzogen.

Die Tessiner Hauptverantwortlichen wanderten ins Gefängnis. Der damalige Generaldirektor der SKA, Heinz Wuffli, musste seinen Hut nehmen. Der SKA entstand aus dem Skandal ein Verlust von 1,4 Milliarden Franken.

Das «Finanzgenie» Werner K. Rey

Als er noch gefeiert wurde: Werner K. Rey, Verwaltungsratspräsident der Omni Holding, im Jahr 1988.

Der in der Schweizer Firmenwelt gänzlich unbekannte Geschäftsmann Werner K. Rey trat 1976 mit dem Kauf des renommierten Schuhherstellers C.F. Bally ins Rampenlicht. Noch bevor sich die etablierte Wirtschaftswelt vom Coup erholen konnte, verkaufte Rey die Preziose an den Oerlikon-Bührle-Konzern. Gewinn aus der schnellen Transaktion: 30 Millionen Franken.

Nicht minder schnell agierte Rey danach beim Aufbau seines Finanzimperiums unter dem Dach seiner Omni Holding. Wahllos kauft er Firmen in der Schweiz und im Ausland und brachte seine Holding an die Börse. Mit 35 Jahren war er in der Mitte der Schweizer Wirtschaft angekommen. Obwohl die Finanzierung seiner Deals kaum durchschaubar war, wurde er in den Medien als Finanzgenie gefeiert.

1991 implodierte das auf 12 Milliarden Franken geschätzte Imperium, das fast gänzlich mit Fremdkapital aufgebaut worden war. Die Staatsanwaltschaft in Bern eröffnete ein Verfahren wegen Betrugs, Urkundenfälschung und betrügerischen Konkurses. Rey setzte sich auf die Bahamas ab. 1998 wurde er an die Schweiz ausgeliefert und in Bern wegen Betrugsversuches zulasten der Berner Kantonalbank zu vier Jahren Haft verurteilt, die Staatsanwaltschaft hatte zehn Jahre gefordert. Weitere Verfahren wurden eingestellt, weil die anderen Anklagepunkte 2007 verjährt waren.

Reys Schuldenberg wird auf zwei bis drei Milliarden Franken veranschlagt. Die jahrelange Auseinandersetzung der Justiz mit dem gescheiterten Finanzgenie kostete allein den Kanton Bern 4,3 Millionen Franken an Gerichtskosten, für die Rey bis heute nicht aufgekommen ist.

Der «Sanierer der Nation»

Der als Heilsbringer für OC Oerlikon gelobte Manager fand sich vor dem Bundesstrafgericht wieder: Hans Ziegler 2009 als Angeklagter.

Er verströmte die Aura eines biederen Buchhalters. Doch Hans Ziegler war ein gerissener Zocker. Der Berater, der sich gerne Firmen in Schieflage annahm, was ihm den bewundernden Ruf «Sanierer der Nation» eintrug, setzte sein Insiderwissen in zahlreichen Fällen für verdeckte Börsengeschäfte ein.

Im Juni 2021 verurteilte ihn das Bundesstrafgericht wegen Verletzung von Geschäftsgeheimnissen, wirtschaftlichen Nachrichtendienstes und Ausnützens von Insiderinformationen und brummte ihm neben einer Busse eine bedingte Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf. (Lesen Sie hier mehr zum Fall.)

Das Urteil ist noch nicht definitiv, weil die anklagende Bundesanwaltschaft Berufung eingelegt hat.

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