Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

PolitkolumneUnterschätzt den Souverän nicht!

«Trottel, einfach dumm» seien all jene SVP-Wähler, die der 13. AHV-Rente zugestimmt haben, schimpfte der sichtlich enervierte Publizist und «Nebelspalter»-Verleger Markus Somm nach dem denkwürdigen Abstimmungssonntag. Sie würden intellektuell schlicht nicht durchdringen, dass ihr als «Ohrfeige» für den Bundesrat gedachtes Votum auf sie selbst zurückfalle. Diplomatischer hatte es ein Jahrzehnt zuvor Joachim Gauck, früherer Präsident der Bundesrepublik Deutschland, formuliert: Unter dem Eindruck der kurz zuvor angenommenen Masseneinwanderungsinitiative warnte er anlässlich seines Schweizbesuchs 2014 vor «Gefahren», wenn Bürger «über hochkomplexe Themen abstimmen».

Immer wieder ertönen Stimmen, damals und heute, hier und dort, welche die Urteilskraft der Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in Zweifel ziehen. Doch: Sind diese tatsächlich überfordert?

Bis zu ein Drittel ist schlecht informiert

Über die Kompetenz der Abstimmenden wissen wir in der Zwischenzeit einiges. Wie hoch sie genau ist, hängt allerdings davon ab, wie man sie misst. Trotzdem besteht ein breiter Konsens in der politikwissenschaftlichen Forschung, wie viele schlecht informiert und inkompetent sind: Sie machen zwischen ein Viertel und ein Drittel der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger aus. Diese kennen Titel und Inhalt einer Vorlage kaum und können ihren Entscheid nicht mit vorlagenbezogenen Argumenten begründen.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Umgekehrt gilt aber auch: Eine qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmenden (meistens mehr) verfügt über ein genügend hohes Kompetenzniveau, weiss über die Vorlage grundsätzlich Bescheid und vermag den eigenen Stimmentscheid zu begründen. Zudem lassen sich vernünftige Entscheidungen auch treffen, indem man der Abstimmungsempfehlung des Bundesrates folgt oder der Partei, der man sich am nächsten fühlt.

Uninteressierte bleiben zu Hause

Gemäss einer breit angelegten Auswertung von 34 Schweizer Volksentscheiden sind nicht diejenigen Stimmenden kompetenter, die länger die Schulbank gedrückt haben, sondern die besonders Motivierten und politisch sehr Interessierten. Eine bemerkenswerte Selbstselektion verstärkt diesen Effekt: Wer gut informiert ist, stimmt viel häufiger ab als die Uninteressierten. Bleiben Letztere in Scharen zu Hause, ist das zwar demokratiepolitisch bedauerlich, sichert aber gleichzeitig eine ausreichend hohe Qualität des Volksentscheides. Weiter fördern intensive Medienkampagnen die Informiertheit der Stimmenden, während stark polarisierte Eliten und eine Häufung an Vorlagen an einem Abstimmungssonntag das Gegenteil bewirken.

Medienpräsenz ist entscheidend

Der entscheidende Faktor ist aber die Komplexität des Themas: Bei abstrakten, eher technischen Vorlagen wie Unternehmenssteuerreformen (2008, 2017) oder die Einführung des konstruktiven Referendums (2000) ist der Anteil schlecht Informierter überdurchschnittlich hoch. Anders ist es bei alltagsnahen Vorlagen, die eine hohe Betroffenheit auslösen, wie die Initiativen zur Armeeabschaffung (1989) oder «6 Wochen Ferien für alle» (2012). Hier liegt der Anteil der sehr gut Informierten bei über 90 Prozent. Bei aussenpolitischen Abstimmungen wie dem UNO-, EWR- oder EU-Beitritt sind es 80 Prozent. Diese Themen geniessen seit Jahren eine hohe Medienpräsenz – und stehen häufig im Abstimmungskalender. Dasselbe gilt übrigens auch für migrationspolitische Vorlagen. So verfügte bei der Masseneinwanderungsinitiative eine überwältigende Mehrheit von 84 Prozent über einen hohen Informiertheitsgrad und war sich der Konsequenzen ihres Entscheids bewusst. 

Kurz und gut: Schimpfereien über das «dumme, einfach dumme» Volk entbehren jeglicher Faktengrundlage. Die Abstimmungsdemokratie steht nämlich grundsätzlich auf einem stabilen Fundament gut informierter Bürgerinnen und Bürger, die sich häufig auf ausgewogene Informationsquellen stützen.

Der Politologie-Professor Adrian Vatter und die promovierte Politologin Rahel Freiburghaus von der Universität Bern überprüfen regelmässig gängige Annahmen zu politischen Themen im Licht der politikwissenschaftlichen Forschung.

Newsletter

7 vor 7

Erhalten Sie täglich die sieben wichtigsten News und Geschichten des Tages.