In Wien kamen diese Woche führende afghanische Oppositionelle zu einer Konferenz zusammen, um über das weitere politische Vorgehen zu beraten. Unter ihnen Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront und Sohn des als "Löwe von Pandschir" bekannt gewordenen Mujahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud. Im Gegensatz zu seinem Vater stellt der Sohn – auch mangels Alternativen – den Dialog ins Zentrum.

STANDARD: Hat die Roadmap der Opposition für die Zukunft Afghanistans in Wien Fortschritte gemacht?

Massoud: Absolut. Diese Plattform hier ist derzeit eine der wenigen für die demokratischen Kräfte Afghanistans. Es hat sich gezeigt, dass wir hier mehr erreichen können als bei größeren Konferenzen. Was wir zuerst einmal wollen, ist, den demokratischen Kräften in Afghanistan Einigkeit, Klarheit und Hoffnung zu geben und ein Druckmittel, um ihre Position zu stärken.

STANDARD: Zalmay Khalilzad, der ehemalige US-Beauftragte für Afghanistan, schrieb auf Twitter, die USA sollten im Umgang mit dem Taliban-Regime pragmatisch sein, also das Regime aus strategischen Gründen des Kampfs gegen den Terrorismus anerkennen. Was würde das für Afghanistan bedeuten?

Massoud: Zalmay Khalilzad ist einer der Ingenieure der aktuellen Katastrophe. Natürlich versucht er, seinen Fehler mit Pragmatismus zu vertuschen. Aber man kann Dreck nicht mit Dreck abwaschen. Man kann den Terrorismus nicht mithilfe anderer Terrorgruppen bekämpfen.

STANDARD: Sie haben oft gesagt, dass Sie sich von der internationalen Gesellschaft alleingelassen fühlen.

Massoud: Nun, wir schätzen Möglichkeiten wie diese Konferenz, die zeigt, dass noch etwas Hoffnung übrig ist und dass Werte wie Demokratie, Menschenrechte, Frauenrechte, Gleichheit, Wohlstand und Vielfalt für einige immer noch wichtig sind. Leider aber sind unsere Anliegen wegen internationaler Konflikte wie desjenigen in der Ukraine in den Hintergrund gerückt. Wieder einmal ist Afghanistan das Opfer der weltpolitischen Umstände. In diesem Sinne fühlen wir uns wirklich verlassen.

Ahmad Massoud sieht sein Land im Stich gelassen.
Foto: JOE KLAMAR / AFP

STANDARD: Nach der Machtübernahme der Taliban vor fast zwei Jahren wollte das Regime den Eindruck erwecken, dass es sich zum Besseren verändert hat.

Massoud: Das ist eine weitere Sache, hinter der Zalmay Khalilzad und sein Team stecken. Diese Lobbyisten der Taliban erweckten beim amerikanischen Volk und bei der US-Regierung einen falschen Eindruck. Die Taliban haben seit ihrer Gründung mit Täuschung, Lügen und Tricks gearbeitet. Deshalb haben wir auch auf greifbare Ergebnisse gedrängt, bevor eine Entscheidung für eine Anerkennung getroffen wird. Die Taliban haben ihre Versprechen zum Beispiel zu Frauenrechten nicht nur nicht gehalten, sondern den Extremismus noch weiter verschärft und Frauen alles verboten. Nun denken die USA darüber nach, die Taliban-Regierung trotzdem anzuerkennen? Das ist ein Verrat und eine Sünde. Anfang Mai beim internationalen Treffen in Doha wird wohl auch die Uno die schwierige Entscheidung treffen, ob sie ihr Entwicklungsprogramm abzieht oder unter den aktuell schwierigen Bedingungen weiterarbeitet. Ich hoffe, dass sie dabei an das Schicksal der Menschen in Afghanistan denkt.

STANDARD: Der Verhandlungsort Doha hat in Afghanistan einen schlechten Ruf, dort wurde 2020 eine Friedensvereinbarung zwischen den USA und den Taliban unterzeichnet, die aber keinen Frieden brachte.

Massoud: Das stimmt. Die Menschen in Afghanistan verdienen es, selbst zu entscheiden, welche Regierung sie wollen. Die Taliban repräsentieren nicht die Menschen in Afghanistan.

STANDARD: Wahlen sind aber derzeit nur eine weit entfernte Utopie.

Massoud: Ja, das ist derzeit nur ein Traum. Die Taliban machen keine Anstalten, in Dialog zu treten oder einen Prozess einzuleiten, der ihre Macht legitimieren würde. Wir müssen deshalb alle Arten von Druck in Betracht ziehen, um sie zu dem Punkt zu bringen. Ich hoffe, dass die Menschen nicht aufhören, für ihre Werte zu kämpfen.

Die Taliban haben ihren Extremismus weiter verschärft, sagt der Chef der Widerstandsfront, Ahmad Massoud. Einen Dialog mit der Opposition lehnen die Machthaber in Afghanistan ab.
Foto: EPA / Ebrahim Noroozi

STANDARD: Wann ist Ihrer Meinung nach der Punkt erreicht, an dem Menschen sich großflächig wehren?

Massoud: Sie wehren sich schon. Aber leider sieht die Welt nicht hin. Frauen stehen auf und kämpfen allein gegen all diese Tyrannei und diesen Extremismus in ihrem Land. Aber die Taliban wenden massive Brutalität an, um die Nation zum Schweigen zu bringen. Aller Widerstand hängt auch von der internationalen Unterstützung ab.

STANDARD: Die Taliban behaupteten am Dienstag, den Drahtzieher des IS-Anschlags auf den Kabuler Flughafen 2021 getötet zu haben. Reine Taktik?

Massoud: Klar. Warum sollten sie es jetzt sagen, so knapp vor dem Treffen von Doha und während unserer Konferenz? Sie wollen ihre Position als Terrorbekämpfer stärken. Außerdem: Was machen die Taliban nicht, was der IS macht? (Manuela Honsig-Erlenburg, 27.4.2023)