Frau hält Gebärmutter Modell vor ihren Unterleib
Die Gebärmutter ist das einzige Organ, das selbst eine Verletzung erzeugen kann – und diese ohne Narbe wieder heilt. Das passiert jedes Mal, wenn die Gebärmutterschleimhaut während der Menstruation abgeht.
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"Hysterie", "feindlicher Uterus", "das schwache Geschlecht" – jahrhundertelang war der medizinische Blick auf den Frauenkörper von Mythen, Dämonisierung und Herabsetzung geprägt. Sexismus beeinflusst die Forschung bis heute. Das führt unter anderem dazu, dass viele Menschen ein sehr rudimentäres Wissen über die Gebärmutter haben. Oft wird sie in erster Linie als Organ gesehen, das Babys produziert. Und sie ist bis heute Gegenstand des öffentlichen Diskurses. Doch wenn man genauer nachfragt, bemerkt man sehr schnell, dass zwar fast alle eine Meinung zur Gebärmutter haben, aber nur wenige wirkliches Wissen über das Organ und all seine Fähigkeiten besitzen.

Das will die ehemalige BBC-Journalistin, Podcasterin und Hebamme Leah Hazard ändern. In ihrem Buch klärt sie über medizinische Fakten auf und ordnet den birnenförmigen Muskel feministisch ein. Im STANDARD-Interview erzählt sie von den besonderen und einzigartigen Fähigkeiten der Gebärmutter, warum Empfängnis alles andere als ein heroisch männlicher Akt ist und weshalb in der westlichen Welt postnatale Rituale fehlen.

STANDARD: Über die Gebärmutter spricht man in erster Linie im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt. Hat dieses Organ auch noch einen anderen Zweck als Reproduktion?

Hazard: Die Fortpflanzung ist tatsächlich ihre Hauptaufgabe. Aber auch wenn kein Baby in ihr wächst, passieren alle möglichen spannenden Dinge in der Gebärmutter. Sie hat zum Beispiel ein Mikrobiom, ähnlich wie der Darm, und in der Gebärmutterschleimhaut gibt es Zellen, die Hormone produzieren könnten. Studien deuten auch darauf hin, dass es eine Verbindung zum Gehirn gibt. All das kann einen enormen Einfluss auf die Gesundheit einer Person haben.

STANDARD: Es gibt eine Verbindung zum Gehirn? Wie kann man sich das vorstellen? 

Hazard: Wir reden hier von einem Zusammenhang zwischen der Gebärmutter und der psychischen Gesundheit. Dabei muss man aber sehr vorsichtig sein. Über Jahrhunderte wurde ja behauptet, der Uterus würde das Gehirn von Frauen kontrollieren und sie hysterisch machen. Man glaubte sogar lange, die Gebärmutter wandere im Körper herum, wenn sie nicht zur Fortpflanzung genutzt werde. Das ist definitiv nicht richtig. Aber es gibt Studien im Zusammenhang mit Hysterektomie, der Entfernung der Gebärmutter, die zeigen, dass das einen Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten zu haben scheint. Außerdem berichten betroffene Frauen, dass dieser Eingriff ihre psychische Gesundheit negativ beeinflusst – oder auch positiv, je nachdem ob sie eine Leidensgeschichte hatten. Hier ist wissenschaftlich noch vieles unklar, aber das sollte man definitiv weiter untersuchen.

STANDARD: Die Gebärmutter ist ein Organ. Aber sie hat auch enorme gesellschaftliche Bedeutung ...

Hazard: In erster Linie ist sie ein Muskelorgan, das stimmt. Aber dieser Muskel kann Dinge, die kein anderer Muskel im menschlichen Körper beherrscht. Er kann sich zum Beispiel auf ein vielfaches seiner eigentlichen Größe, die etwa einer Birne entspricht, ausweiten. Er kann ein komplettes anderes Organ in sich entstehen lassen, die Plazenta, und diese wieder loswerden, wenn sie nicht gebraucht wird. Er schafft ein sicheres Umfeld für einen Fötus. Und er hat eine weitere, ganz besondere Fähigkeit, die kein anderes Organ besitzt: Er kann sich selbst heilen. Während der Menstruation kreiert der Körper eine Verletzung, durch die die Schleimhaut abgeht. Jeden Monat heilt diese Wunde wieder, ohne dabei eine Narbe zu hinterlassen. Das ist wirklich ziemlich beeindruckend.

Aber durch all diese Fähigkeiten ist eine metaphorische Bedeutung entstanden. Die Gebärmutter ist ein Symbol für die Sexualität einer Person, ihre Macht und ihre Autonomie. Als solches wird sie auch als Mittel zur Unterdrückung eingesetzt. Das hat eine lange historische Tradition und ist auch heute noch in vielen Ländern der Fall. Wenn man den Uterus einer Person in irgendeiner Form kontrolliert, kontrolliert man auch ihr Leben und ihre Entscheidungen. Kein anderer Muskel wird so intensiv medizinisch behandelt und mit Gesetzen belegt. Wirklich jeder Mensch hat eine Meinung dazu, was dieses Organ tun sollte.

Mit dem Buch "Wo alles beginnt. Die ungeahnte Power der Gebärmutter" will Autorin Leah Hazard dem Uterus den Raum geben, der ihm gebührt. Hoffmann und Campe, € 24,–
Hoffmann und Campe

STANDARD: Dazu schreiben Sie in Ihrem Buch ausführlich. Würden Sie es als feministisch bezeichnen?

Hazard: Auf jeden Fall. Auch wenn das für manche ein Reizwort ist. Ich habe den Eindruck, viele Menschen denken, ein feministisches Buch richtet sich gegen Männer oder hat eine ganz klar proweibliche Agenda. Aber die Definition von Feminismus ist einfach, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind und dass die Gesellschaft beide Geschlechter gleich behandeln sollte. Mit meinem Buch will ich klarmachen, dass der Uterus die gleiche Aufmerksamkeit, den gleichen Respekt und genauso viel wissenschaftliche Erforschung verdient wie jedes andere Organ des Körpers.

In Buchhandlungen findet man in den Medizin- und Wissenschaftsregalen ja jede Menge populärwissenschaftliche Bücher über das Gehirn, guten Schlaf, die Verdauung, die Atmung und viele andere Organe und Probleme des Körpers. Über die Gebärmutter gibt es praktisch nichts. Sie verdient aber einen Platz auf diesem Regal, und diese Lücke will ich schließen.

STANDARD: Man findet darin auch einige überraschende Informationen. Sie schreiben zum Beispiel über die Gebärmutter von Mädchen, bevor sie ihre erste Periode haben. Warum ist das wichtig?

Hazard: Ich denke, man spricht nicht gern über die Gebärmutter von kleinen Mädchen, weil wir das Organ sexualisieren. Da kommen auch Assoziationen mit Pädophilie auf. Aber wie kann man mehr über reproduktive Gesundheit und den weiblichen Körper lernen, wenn man nicht alle Bereiche des Lebenszyklus einschließt? Diese Unwissenheit verursacht in letzter Konsequenz viel Angst und Stress. Als Hebamme habe ich mit Frauen und ihren neugeborenen Babys gearbeitet, und daher weiß ich, dass weibliche Babys häufig eine Art Pseudomenstruation haben. Dabei kommt etwas Blut aus der Vagina, weil sich der Hormonstatus verändert. Die meisten Menschen sind davon völlig schockiert und haben schreckliche Angst, dass etwas nicht stimmt. Sie haben keine Ahnung, dass das ein völlig normaler und harmloser physiologischer Vorgang ist. Über solche Dinge muss man sprechen.

STANDARD: Ein weiterer spannender Fakt ist, dass die Gebärmutter eine Rolle bei der Empfängnis spielt. Sie entscheidet, welche Spermien hineindürfen. Wie kann man sich das vorstellen?

Hazard: Das ist eine wirklich faszinierende Sache, über die wir einfach nichts lernen in der Schule. Da wird immer noch vermittelt, dass Empfängnis ein heroischer männlicher Akt ist, bei dem die Frau ganz passiv ist, zu dem der Uterus nichts beiträgt. Dabei ist er alles andere als passiv. Am Muttermund zum Beispiel sind kleine Taschen, in denen Sperma aufbewahrt und zu einem späteren Zeitpunkt, wenn eine Empfängnis wahrscheinlicher ist, abgegeben werden kann. Außerdem macht die Gebärmutterschleimhaut peristaltische Bewegungen, wie kleine Wellen, durch die die Spermien tiefer in den Uterus hineingezogen werden, damit sie die Eizelle leichter finden. Der weibliche Körper spielt also eine sehr aktive Rolle bei der Befruchtung.

STANDARD: In Zeiten von Social Media ist Schwangerschaft ein sehr öffentliches Thema. Einerseits wissen wir mehr über die medizinischen Vorgänge dabei, andererseits werden durch Influencerinnen und Influencer Bilder einzementiert, wie die perfekte Schwangerschaft aussehen soll. Wie sehen Sie diese Entwicklungen?

Hazard: Ich finde es gut, wenn Schwangerschaft und Geburt gesellschaftliches Gesprächsthema sind. Gefährlich wird es dann, wenn die transportierte Information falsch oder manipulativ ist. Oder wenn Frauen dadurch in eine sehr enge Vorstellung davon gepresst werden, was es bedeutet, schwanger oder postnatal zu sein.

Fast alle indigenen Kulturen der Welt haben zum Beispiel irgendeine Art von Ritual für die postnatale Mutter und ihren Körper. Es beinhaltet üblicherweise Ruhe, familiäre Unterstützung, Wärme, oft auch spezielle Speisen, die die Neo-Mutter essen soll. Und es gibt einige Rituale, bei denen der Körper mit Stoffbahnen eingewickelt wird, um ihn zu stützen. Aber wir leben in der modernen, industrialisierten westlichen Welt und ruinieren gerne alles. Und vor allem wenn es Frauen betrifft, verabschieden wir uns von allen schönen und nährenden Aspekten und behalten den einen Teil, in dem der Bauch eingepackt wird, bis er wieder schlank und sexuell attraktiv aussieht. Das stützende Ritual wird in etwas Einengendes und in letzter Konsequenz Frauenfeindliches verwandelt, man erwartet von Neo-Müttern, dass sie einer bestimmten Vorstellung entsprechen und nicht ausscheren. Und auf Social Media werden solche optimierenden, kapitalistischen Bilder rund um Mutterschaft oft sogar noch verstärkt. Das hat dann aber wenig damit zu tun, den Körper zu nähren und anzuerkennen, was er geleistet hat.

Porträtfoto von Leah Hazard
Die Hebamme Leah Hazard lebt in Schottland. Mit ihrem Buch will sie tiefsitzende Machtverhältnisse und Mythen über die Gebärmutter aufbrechen.
Marilena Vlachopoulou

STANDARD:  Sie thematisieren auch den Kaiserschnitt. Ein Drittel der westlichen Frauen bringen so ihre Kinder zur Welt, auch viele Celebritys. Es hört sich dann oft viel entspannter an als eine vaginale Geburt. Gleichzeitig sagt die Weltgesundheitsorganisation, nicht mehr als zehn bis zwölf Prozent der Geburten sollten so passieren. Woher kommt diese Diskrepanz?

Hazard: Tatsächlich denken so manche, viele Frauen wünschen sich eine Kaiserschnittgeburt, um Schmerzen zu vermeiden, und deshalb gibt es so viele. Doch die meisten sind Notkaiserschnitte, oft entscheiden das Ärztinnen und Ärzte in der Klinik. Eine Sectio ist keineswegs immer leichter und weniger schmerzvoll. Die Erholung von einem Kaiserschnitt kann sogar viel schmerzhafter und komplizierter sein als die von einer vaginalen Geburt, und der Eingriff kann auch Langzeitfolgen haben. Das wirft die Frage auf, warum in modernen Geburtskliniken so viele Sectios nötig sind.

Kaiserschnittgeburten sind keinesfalls schlecht, sie können Leben retten. Aber wir müssen Wege suchen, wie man sie wieder reduzieren kann. Man fährt ziemlich drüber, wenn man sagt, der Körper einer Frau ist nicht in der Lage ist, ein Baby auf die Welt zu bringen, wir schneiden sie lieber auf. Ein guter Geburts-Outcome ist ja wesentlich mehr als nur ein gesundes Baby und eine gesunde Mutter. Wir wissen, dass Schwangerschaft und Geburt fundamentale, lebensverändernde Erlebnisse sind. Es ist keinesfalls so, dass die vaginale Geburt immer die beste ist. Aber ich plädiere dafür, dass jede Person dabei unterstützt wird, die für sie beste Entscheidung zu treffen.

STANDARD: Es gibt auch viele Frauen, die nie Kinder bekommen. Verändert das die Bedeutung der Gebärmutter für sie?

Hazard: Nein. Weil auch Frauen, die nie ein Kind gebären, ihr ganzes Leben lang eine Gebärmutter haben. Und die kann die Lebensqualität massiv beeinflussen, durch gynäkologische Probleme, starke oder schmerzhafte Menstruation, Myome oder Endometriose. Und natürlich kommen alle, die einen Uterus haben, in die Menopause. Und nicht nur Frauen sind davon betroffen. Für das Buch habe ich mit Ryan Sallans, einem US-Transaktivisten, darüber gesprochen, warum er sich für eine Gebärmutterentfernung entschieden hat und welche Auswirkungen das auf sein Leben hatte.

STANDARD: Gebärmutterentfernung oder Hysterektomie wurde ja eine Weile lang häufig durchgeführt, vor allem bei älteren Frauen mit abgeschlossenem Kinderwunsch galt das als probates Mittel, gesundheitliche Probleme in dem Bereich zu lösen. Ist es gut, dass dieser Trend mittlerweile stark zurückgeht?

Hazard: Eine Hysterektomie ist ein großer Eingriff, und tatsächlich verbessert er für manche Menschen die Lebensqualität enorm, bei schweren Blutungen etwa oder Tumoren. Aber bei vielen löst so eine Operation auch großen Kummer aus, kann körperliche und psychische Folgen haben. Deshalb sollte man so eine Entscheidung auf keinen Fall leichtfertig treffen. Eine Gynäkologin hat einmal zu mir gesagt, wenn man eine gesunde Gebärmutter hat, sollte man sie so lange wie möglich behalten. Die Gründe für so einen Eingriff sollten also schon sehr triftig sein und wirklich eine Verbesserung der Lebensqualität bewirken.

STANDARD: Was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste, das Frauen – und Männer – über die Gebärmutter wissen sollten?

Hazard: Meine Botschaft ist recht simpel. Wenn Sie eine Meinung zur Gebärmutter haben wollen, dann machen Sie Ihre Hausaufgaben. Fast jeder Mensch scheint zu wissen, was die Gebärmutter tun sollte und was nicht, wie sie genutzt werden sollte und was in ihr passieren darf. Aber wenn man ein bisschen tiefer gräbt, merkt man schnell, dass nur sehr wenige Menschen wissen, wo der Uterus genau liegt, wie er aussieht, wie die Periode funktioniert, wie eine Schwangerschaft beginnt. Sie kennen nicht einmal die Basisinformationen. Jeder und jede sollte sich deshalb informieren und so viel wie möglich über die Gebärmutter lernen. Das kann dann auch die Meinung darüber ziemlich verändern. (Pia Kruckenhauser, 11.6.2023)