Die letzte Ausgabe der
In der letzten Ausgabe der "Wiener Zeitung" fand sich ein gemeinsames Interview von Franz Vranitzky und Wolfgang Schüssel.
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Universitätsdozent Peter W. schreibt zu meinem "Einserkastl" mit dem Titel "Vranitzky und Schüssel waren die beiden letzten herausragenden Kanzler" kritisch: "Dass Sie Franz Vranitzky (…) und Wolfgang Schüssel auch nur in einen Zusammenhang stellen, empfinde ich als echten Affront Vranitzky gegenüber." Viele, viele Poster äußerten sich im Onlineforum des STANDARD ähnlich. Der Anlass war ein gemeinsames Interview von Vranitzky und Schüssel für die letzte Ausgabe der Wiener Zeitung. Das verlangt nach einer grundsätzlichen Betrachtung über Politiker, die man zwar ablehnen kann, deren Zuschnitt man aber anerkennen muss.

"Herausragend" ist ein Politiker, wenn er von seinem persönlichen Zuschnitt, seiner Qualität des Denkens und auch des Handelns, seinem Wunsch nach Veränderung und seiner Konzeption nach ungewöhnlich ist. Kein bloßer Verwalter, kein billiger Populist, selbstverständlich auch kein undemokratischer und/oder krimineller Schurke.

Vranitzkys Leistungen – Bewältigung der Verstaatlichtenkrise, EU-Beitritt – bauten auf einem Konzept der Modernisierung auf. Dazu kam die moralische Dimension: mit einer Aufarbeitung der SP-Skandale und vor allem der NS-Vergangenheit war es ihm wirklich ernst. Schüssel war ein kühler, fast zynischer Taktiker, aber eben auch ein Mann mit Konzepten. Man musste sie nicht schätzen, aber es waren – grundsätzlich vertretbare – Konzepte: "Weniger Staat, mehr privat." Und außenpolitisch war er überzeugter Europäer, sicherheitspolitisch dachte er weit voraus. Er wollte den Nato-Beitritt, ließ aber davon ab, als ihm die Opposition der überwältigenden Mehrheit der Österreicher klar wurde.

Im Unterschied zu Vranitzky hatte Schüssel aber keine Scheu, mit dem schillernd rechtspopulistisch-rechtsextremistischen Jörg Haider zusammenzugehen, um der ÖVP den Kanzler zu sichern. Das – und anderes – an Schüssel habe ich massiv kritisiert und tue es weiterhin. Schüsse war – im Gegensatz zu Vranitzky – intellektuell arrogant. Er dachte, er würde Haider schon "zähmen". Und er neigte – wieder im Gegensatz zu Vranitzky – dazu, die moralische Dimension der Verstrickung der Österreicher in den Nationalsozialismus zu relativieren. Allerdings zog er auch ein großzügiges Entschädigungsprogramm für NS-Opfer durch.

Was es heißt, "herausragend" zu sein und trotzdem schwere Defizite aufzuweisen, zeigt sich aber an der Ikone Bruno Kreisky. Er war ein wirklich bedeutender Kanzler, ein gesellschaftspolitischer Veränderer und Modernisierer. Aber er trägt einen unauslöschlichen Makel: Er ging ein politisches Bündnis mit dem FPÖ-Obmann Friedrich Peter ein, wissend, dass dieser ein SS-Offizier war. Und als herauskam, dass Peters SS-Einheit tausende Juden ermordet hatte, nahm er Peter in übelster Weise gegen den Aufdecker Simon Wiesenthal in Schutz.

"Herausragend" ist der Gegensatz zu "durchschnittlich". Das bedeutet zunächst noch keine moralische Wertung. Schüssel war von seinen Anlagen und dem Willen zur Gestaltung her herausragend. Aber er glaubte, wie so viele Konservative auch heute noch, dass man mit Rechtsextremisten Politik machen könne. In dem Sinn war er letztlich auch nicht erfolgreich. (Hans Rauscher, 5.7.2023)