Der deutsche CDU-Politiker Wolfgang Schäuble bei einer Ehrung für 50 Jahre Mitgliedschaft als Abgeordneter im Bundestag.
Der deutsche CDU-Politiker Wolfgang Schäuble ist seit einem Attentat im Jahr 1990 querschnittsgelähmt. Dass er dennoch arbeiten kann, beweist er als Rekordabgeordneter im Bundestag, dem er seit 50 Jahren ununterbrochen angehört.
IMAGO/Chris Emil Janßen

Wien – Das "Behinderteneinstellungsgesetz" regelt seit Jahrzehnten, dass heimische Dienstgeber verpflichtet sind, eine bestimmte Zahl an körperlich und/oder geistig beeinträchtigten Menschen anzustellen. Im Normalfall muss pro 25 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine begünstigte Person angestellt werden. Kann oder will man das nicht erfüllen, ist laut Gesetz eine nach der Zahl der Dienstnehmerinnen gestaffelte Ausgleichstaxe fällig – monatlich sind das heuer bis zu 435 Euro. Das Geld fließt in einen Fonds des Sozialministeriums, damit werden Inklusionsprojekte und Prämien finanziert. Wie gemeinsame Recherchen des Magazins "Dossier" und der inklusiven Redaktion "Andererseits" ergaben, hat die Regelung die Zahl der behinderten Beschäftigten in den vergangenen Jahren nicht gesteigert. Und: Die Regierungsparteien ÖVP und Grüne waren säumig und zahlten zumindest im September 2020 die Pönale.

Die Zahlen basieren auf "Andererseits" zugespielten Aufstellung über die Lage der Beschäftigungspflicht im September 2020, in der über 20.000 Firmen und Organisationen enthalten sind. Demnach erfüllten von den im Nationalrat vertretenen Parteien (ohne ihre Unterorganisationen) die SPÖ mit 105 Prozent und die FPÖ und die Neos mit jeweils 100 Prozent ihre Verpflichtungen. Ganz anders die beiden Regierungsparteien: Die ÖVP kam nur auf 60 Prozent – und die Grünen konnten damals überhaupt niemanden in ihren Diensten vorweisen, der die Kriterien erfüllt. Allerdings arbeitete laut "Dossier" damals bereits eine Person im grünen Parlamentsklub, die aufgrund der Art ihrer Einschränkung doppelt zählen würde, was den Wert auf über 60 Prozent bringen würde. Die Anstellung von Blinden, Rollstuhlfahrerinnen und besonders jungen und alten Dienstnehmern wird auf diese Art besonders honoriert.

Wie hat sich die Lage bei den beiden Parteien seitdem entwickelt? Sebastian Wünsch, Pressesprecher der grünen Bundespartei, vermeldet auf Nachfrage des STANDARD Positives. Da die Bundespartei weniger als 25 Dienstnehmer und -innen hat, gilt dort keine Anstellungsquote. Anders ist das beim grünen Parlamentsklub. Dort seien aktuell drei begünstigte Behinderte eingestellt, berichtet Wünsch. Da alle einen Rollstuhl benötigen, zählen sie als sechs Stellen im Sinne des Behinderteinstellungsgesetzes, womit die gesetzlich erforderliche Anzahl übererfüllt werde. Von der ÖVP erfolgte vorerst keine Antwort, wird sie nachgeliefert, wird sie ergänzt.

Immer weniger Behinderte haben einen Job

Auf dem Arbeitsmarkt insgesamt hat sich die Situation jedenfalls nicht verbessert. Laut "Dossier" sank die Zahl der Unternehmen, die ihre gesetzliche Pflicht erfüllen, zwischen 2008 und 2022 sogar: Der Anteil sank von 22,7 auf 22,4 Prozent. Noch dramatischer ist die Situation für die Betroffenen selbst. Der Anteil der begünstigten Behinderten, die einen Job haben, sank demnach von über zwei Dritteln (67,9 Prozent) vor 15 Jahren auf nur noch knapp die Hälfte (50,6 Prozent) im Vorjahr.

Zumindest für junge Menschen sollen die diesbezüglichen Chancen künftig verbessert werden. Jugendliche, die wegen fehlender Arbeitsfähigkeit keinen Zugang zum Arbeitsmarktservice (AMS) hatten, soll dieser schrittweise ab dem Jahreswechsel ermöglicht werden. Das präsentierte die Bundesregierung im Juni, ein entsprechendes Gesetz wurde im Ministerrat verabschiedet. Dadurch soll die verpflichtende Fähigkeitsprüfung erst mit 25 stattfinden. Das Gesetz tritt mit 1. Jänner in Kraft, das Angebot werde dann aber noch nicht vollständig in Anspruch genommen werden können, kündigte Minister Kocher (ÖVP) am Dienstag an.

Ob jemand "arbeitsfähig" ist oder nicht, stellt die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) fest. Ist dies nicht der Fall, so fehlt auch der Zugang zum Arbeitsmarkservice (AMS). Diese Personen können derzeit nicht an Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen und hätten später keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Jugendliche mit Behinderung sollen diesen Zugang nun bekommen – indem das Alter für die verpflichtende Prüfung durch die PVA auf 25 angehoben wird. Derzeit findet die Prüfung zumeist im Alter von 15 statt. Nach wie vor können Personen unter 25 freiwillig ein Feststellungsverfahren einleiten.

Novelle soll Jungen mehr Chancen bieten

"Indem wir sicherstellen, dass Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren nicht vorzeitig als arbeitsunfähig erklärt werden, fördern wir die Inklusion und Teilhabe am Arbeitsmarkt", sagte Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) im Vorfeld des "Rats für neue Arbeitswelten", eines beratenden Gremiums beim Wirtschaftsministerium, der heute im Zeichen der Inklusion stand. Wie viele Menschen im Rahmen der Gesetzesänderung zusätzlich beim AMS gemeldet werden, wisse man im Ministerium derzeit nicht. Man halte sich aber Budget dafür bereit – für das kommende Jahr stehen 50 Millionen Euro für dieses Vorhaben zur Verfügung.

"Die Jobsuche für arbeitssuchende Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen ist alles andere als einfach. Das zeigt sich daran, dass sie im Schnitt fast doppelt so lange einen Job suchen", betonte auch AMS-Vorständin Petra Draxl. Sie beobachte, dass verstärkt Unternehmen sagen würden: "Wir wollen nicht die Ausgleichstaxe zahlen", man müsse daher mit Umschulungsmaßnahmen, Lohnkostenzuschüssen und Eingliederungsbeihilfen Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt unterstützen. Ab 1. Jänner werde es auch eine Hotline für jene geben, die von der Gesetzesänderung betroffen sind. (moe, APA, 28.11.2023)