Kenneth Hoffelner und Sohn Yannis ÖBB Rollstuhlfahrer
Kenneth Hoffelner und sein Sohn Yannis am Bahnsteig. Sie stehen in der Kälte und warten auf einen Niederflurzug. Aber der kummt net, kummt net. Das spielt es immer wieder seit dem Schulbeginn im September.
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Eigentlich wollte Kenneth Hoffelner auf die Öffis umsteigen. Jetzt fährt er wieder öfter mit dem Auto. "Kauft euch ein Klimaticket, haben sie gesagt. Fahrt mit der ÖBB, haben sie gesagt." Hoffelners Stimme klingt bitter. Er hat versucht, mit der ÖBB zu fahren. Doch allzu oft blieb es beim Versuch. Denn Kenneth Hoffelner hat einen Sohn mit Behinderung. Bei der Geburt von Yannis, seit kurzem 14 Jahre alt, wurde dessen Gehirn nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt, er hat infantile Zerebralparese, ist auf einen Rollstuhl angewiesen.

Man könnte meinen, es sollte in Österreich keinen Unterschied ausmachen, ob Yannis, der mit seinem Vater eine Bahnfahrt antreten will, im Rollstuhl sitzt oder nicht. Doch es macht einen Unterschied aus, einen großen Unterschied.

Kenneth und Yannis stehen in der Kälte und warten auf einen Niederflurzug. Aber der kummt net, kummt net. Das hat es seit Schulbeginn gespielt, den ganzen Herbst lang und auch im Winter. Die Familie wohnt im Tullnerfeld, der Zug nach Wien braucht eine gute halbe Stunde, das wäre perfekt – wenn sich die Züge an den ÖBB-Fahrplan hielten. Wer im Rollstuhl sitzt, ist auf einen Niederflurzug angewiesen. Hoffelner plant die Fahrten stets am Vorabend mit der Scotty-App, in der Früh checkt er noch einmal alles nach.

 Info spät oder gar nicht

Doch nicht nur einmal ist es ihm passiert, dass er von einer "geänderten Zugausstattung" informiert wurde, als er mit Yannis längst unterwegs war. Es kam auch vor, dass gar keine Info bei ihm ankam – und dann, wieder einmal, statt der niederflurigen Zuggarnitur eine uralte, eine mit hohem Einstieg. "Zwei Ausfälle pro Woche, das ist der Schnitt", sagt Hoffelner. "Wir sind im Winter auch schon mal eine Stunde lang am Bahnsteig gestanden und haben gewartet."

Yannis geht bzw. rollt in Wien-Währing zur und in die Hans-Radl-Schule, eine Schwerpunktschule für Kinder und Jugendliche mit Körperbehinderung. Ihr Motto stammt von Adorno: "Jeder Mensch muss ohne Angst verschieden sein können." Kenneth ist Lehrer im 20. Bezirk, und er sagt, dass er wegen der ÖBB schon oft zu spät kam und Kollegen für ihn einspringen mussten. Angenehm ist das nicht. Doch wenn Yannis einen Logopädietermin versäumt, weil ein Zug nicht daherkam, wird die Sache nicht nur unangenehm, sondern teuer.

SLIÖ-Obfrau Feuerstein: "Abenteuer"

Bernadette Feuerstein, Obfrau von SLIÖ (Selbstbestimmt Leben Initiativen Österreich), bestätigt: "Bahnreisen sind für Behinderte oft ein Abenteuer." Bei Feuerstein wurde, als sie vier Jahre alt war, eine progressive spinale Muskelatrophie (SMA) diagnostiziert, seit 58 Jahren ist sie Rollstuhlfahrerin. Als in Wien die U1 zu fahren begann, war sie Mitorganisatorin rollender Proteste. "Es hat lange gedauert, bis wir jetzt so weit sind, dass alle Stationen mit Liften ausgestattet sind."

Feuerstein hat ein Klimaticket, sie fährt gerne mit der Bahn und bescheinigt der ÖBB "ein redliches Bemühen". Aber auch diverse Mangelzustände. Es gebe zu wenige Niederflurzüge, zu wenig Personal, es gebe ein Manko in der Kommunikation. Nachrichten über Zugausfälle erhält auch Feuerstein manchmal erst dann, "wenn keine Chance mehr besteht auszuweichen. Beim Schienenersatz hab ich garantiert keine Garantie, dass der barrierefrei ist. Und ich kann mich halt leider nicht einfach in ein Taxi setzen."

Im Rollstuhl, also diskriminiert

Viele Behinderte seien auf Fahrtendienste angewiesen, die oft viele Fahrgäste "einsammeln" und lange unterwegs sind. Feuerstein: "Fahrtendienste sind kein adäquater Ersatz für den öffentlichen Verkehr, sondern eigentlich eine Notlösung." Wer im Rollstuhl sitze, sei bis zu einem gewissen Grad jedenfalls diskriminiert, meint Feuerstein. "Uns ist es nicht möglich, spontan unterwegs zu sein." Die SLIÖ-Obfrau sieht die ÖBB in der Pflicht. "Bei kurzfristigen Zugausfällen wären unter Umständen auch finanzielle Entschädigungen angebracht – ähnlich wie es sie im Flugverkehr gibt."

Die ÖBB verweist auf Anfrage des STANDARD darauf, dass bereits 75 Prozent aller Züge barrierefrei im Rollstuhl zugänglich seien, 2025 sollen es mehr als 90 Prozent sein. Schon seit 2008 würden nur barrierefreie Schienenfahrzeuge beschafft. Derzeit seien 450 der 1.037 Bahnhöfe im Netz der ÖBB barrierefrei zugänglich. Dadurch stehe bereits gut 87 Prozent aller Fahrgäste ein barrierefreier Bahnhof zur Verfügung. Eine Häufung von Problemen speziell in Ostösterreich wird indirekt bestätigt und auf diverse Faktoren zurückgeführt – notwendige Instandhaltungsmaßnahmen, stockende Lieferketten, unplanbare Störungen. "Wir bitten für die entstehenden Unannehmlichkeiten um Entschuldigung", heißt es.

ÖBB: "Es ist nicht angenehm"

Kenneth Hoffelner ist kein Querulant, aber irgendwann hat er begonnen, sich aufzuregen. Zuerst innerlich, dann per E-Mail. "Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Soll mein Sohn sich darauf einrichten, einen Großteil seines Lebens auf dem Bahnsteig zu verbringen?", wollte er von der ÖBB wissen. Zurück kamen Phrasen wie: "Es ist ärgerlich, wenn man auf barrierefreie Fahrzeuge angewiesen ist und dann doch eine alte, nicht barrierefreie Garnitur einfährt. Da kann ich Ihren Frust sehr gut nachvollziehen." Oder: "Es ist nicht angenehm, auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein, und dann wird man von einer alten nicht barrierefreien Garnitur überrascht. Das kann ich vollkommen nachvollziehen." Oder: "Sicherlich wird die nächste Fahrt mit der ÖBB positiver verlaufen."

Und stets wurde das "Anliegen an die zuständige Fachabteilung zur Qualitätsverbesserung weitergeleitet". Hoffelner hat "diese Hilflosigkeit, die so frustrierend ist", letztlich nicht mehr ausgehalten. Dann ist er wieder ins Auto eingestiegen. (Fritz Neumann, 18.1.2024)