30 bis 50 Millionen Euro könnte Gustav Klimts
30 bis 50 Millionen Euro könnte Gustav Klimts "Fräulein Lieser" bei seiner Versteigerung erlösen. Sein privater Restitutionsvergleich ist laut STANDARD-Recherchen korrekt gewesen.
REUTERS/LEONHARD FOEGER

Es ist ein Jahrhundertfund, der die Forschungsgemeinschaft seit der Bekanntgabe Ende Jänner hinter den Kulissen weiterbeschäftigt: Gustav Klimts unvollendet gebliebenes und verschollen geglaubtes Porträt Fräulein Lieser (1917), das im April bei "im Kinsky" versteigert wird und zwischen 30 und 50 Millionen Euro einspielen soll.

Grundlage für den Verkauf ist ein privater Restitutionsvergleich zwischen dem gegenwärtigen Eigentümer des Bildes und den Erben der einstigen Auftraggeber, also entweder Adolf Lieser oder seine im Holocaust ermordete Schwägerin Henriette (Lilly) Lieser.

Video: Sensationsfund: Rund 100 Jahre verschollenes Klimt-Bild wird versteigert
APA

Welchem Familienzweig das Gemälde womöglich in der NS-Zeit entzogen wurde, ist nur eine der Fragen, die trotz intensiver Forschung seitens des Auktionshauses ungeklärt blieben. STANDARD-Recherchen werfen ein neues Licht auf diesen Aspekt und die Umstände, unter denen das Bild in der NS-Zeit verschwand. Den ersten entscheidenden Hinweis liefert Provenienzforscherin Monika Mayer, die sich seit vielen Jahren mit der Rekonstruktion der Herkunftsgeschichte von Klimt-Gemälden beschäftigt.

Korrespondenz entdeckt

Als Archivarin des Belvedere war sie mit Fräulein Lieser zwar nie befasst, verweist aus aktuellem Anlass aber auf einen Artikel, der samt Abbildung des Gemäldes am 24. November 1961 in der Tageszeitung Die Presse erschienen war. Unter dem Titel Ist dieses Bild wirklich von Klimt? wird über verschiedene Meinungen zur Autorschaft des (unsignierten) Bildes informiert, das "bei der Übersiedlung eines Geschäfts in der Innenstadt" entdeckt worden sei. Erwähnt wird Werner Hofmann, der sich "dafür interessiert, um es im zukünftigen Modernen Museum im Schweizergarten zu zeigen".

1961 berichtete die
1961 berichtete die "Presse" über das Klimt-Bild.
Privat

Der österreichische Kunsthistoriker und Gründungsdirektor des Museums des 20. Jahrhunderts (bis 1969) hatte bereits zwei Jahre vor der Eröffnung 1962 (im 20er-Haus, heute Belvedere 21) mit dem Aufbau der Sammlung des späteren Mumok begonnen. Hofmann starb 2013 in Hamburg. Aber eventuell haben sich zeitnah zur damaligen Auffindung Korrespondenz oder andere Dokumente erhalten?

Fund im Mumok-Archiv

Im digitalisierten Aktenindex des Belvedere finden sich keine Anhaltspunkte dazu. Ende Jänner übermittelte DER STANDARD eine Anfrage an das Mumok-Archiv. Da dessen Bestände noch nicht digitalisiert sind, müssen infrage kommende Ordner von einer Mitarbeiterin manuell gesichtet werden. Das Warten lohnte sich: Es sind insgesamt sechs Briefe, die bemerkenswerten Aufschluss geben.

Sie datieren zwischen 27. November und 15. Dezember 1961 – ein Zeitraum, in dem Werner Hofmann das Gemälde persönlich in Augenschein genommen und mit dem damaligen Besitzer, einem gewissen Adolf Hagenauer, gesprochen hatte, um es als Leihgabe zu bekommen. Diese Bemühungen sollten sich allerdings zerstreuen.

In einem Brief an Hagenauer reagiert Hofmann angesichts der "Umstände, die seinerzeit dazu geführt haben, dass dieses Bild bei Ihnen deponiert wurde", verständnislos, "wenn Sie nun über diese Vorgeschichte hinwegsehen und das Kunstwerk so betrachten, als wäre es seinerzeit von Ihnen erworben worden". Weiters droht Hofmann die Finanzprokuratur über den "bekanntgewordenen Sachverhalt mit der Bitte Prüfung in Kenntnis zu setzen", da "erbloser Nachlass dem Staat heimfiele".

"Moralisch Denkende"

Noch deutlicher wird Hoffmann in einem an einen Bekannten der Familie Hagenauer, der in die damalige "Entdeckung" des Bildes involviert war, adressierten Schreiben. Demnach seien Versuche, "den derzeitigen ‚Besitzer‘ – sagen wir besser: den mit der Verwahrung Beauftragten – zu einer Leihgabe zu bewegen", fehlgeschlagen.

Dabei sei die Rechtslage keineswegs eindeutig, da es kein Schriftstück gebe, "aus dem die Übertragung der Besitzrechte" an die Familie Hagenauer hervorgehe. Und weiter: "Die Tatsache, dass das Bild aus jüdischem Besitz stammt und dass seine Besitzerin in den Gaskammern umgekommen ist, scheidet für den rechtlich und moralisch Denkenden die Möglichkeit aus, das Bild zu veräußern oder dem Vermögen der Familie einzugliedern."

Damit ist ein Entzug in der NS-Zeit und die über Hagenauer an Hofmann überlieferte Identität der damaligen Besitzerin erwiesen: nicht Silvia Lieser, Witwe nach Adolf Lieser und Mutter von Margarethe verehelichte De Gelsey, die im Juni 1938 in Budapest an Leukämie starb; sondern Lilly Lieser, die im Jänner 1942 zuerst ins Ghetto nach Riga deportiert und Anfang November 1943 in Auschwitz vergast worden war.

Aber wer war Adolf Hagenauer? Er war der Spross einer von seinem Großvater 1873 gegründeten Delikatessenhandlung an der Adresse Tuchlauben 4, die sich auf Importe aus England oder Frankreich spezialisiert hatte und auch als k. k. Hoflieferant firmierte. Nach dem Tod seines Vaters 1943 wurde er Inhaber des Familienbetriebs.

Eingefrorenes Vermögen

Zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Nationalsozialisten war er dort Geschäftsführer. Seinem im Österreichischen Staatsarchiv erhaltenen Antrag auf eine NSDAP-Mitgliedskarte im Mai 1938 zufolge war er außerdem seit 16. Juli 1933 illegales Parteimitglied. Ob er das Klimt-Bild anstelle einer Zahlung für Lebensmittel übernahm, muss eine Mutmaßung bleiben.

Jedenfalls war Lilly Liesers Vermögen nach dem "Anschluss" eingefroren worden. Aus den Erlösen der zwangsweisen Verkäufe ihrer Liegenschaften, darunter das Palais in der Argentinierstraße 20 sowie das benachbarte Wohnhaus 20a, musste sie Reichsfluchtsteuer und Judenvermögensabgabe abführen. Bis zu ihrer Deportation stand ihr fast vier lange Jahre kaum Bargeld zur Verfügung. Laut einer ihrer ehemaligen Mieterinnen habe Lieser in dieser Zeit vom Verkauf ihrer Habseligkeiten gelebt.

In den Akten der Rückstellungsverfahren wird weiters ein Zeuge erwähnt, der von Mitte 1939 bis Ende Dezember 1941 Liesers Diener gewesen sei: ein gewisser Hans Jürka, bei dem es sich um Adolf Hagenauers Schwager gehandelt haben dürfte. Damit ist eine Verbindung zu Lilly Lieser dokumentiert.

Schreibfehler

Einen Hinweis auf diesen Familienzweig hatten die Kunsthistoriker schon seit Jahrzehnten, genauer seit dem ersten Klimt-Werkverzeichnis, das 1967 von Fritz Novotny, damals Direktor des Belvedere, und Johannes Dobai publiziert wurde.

Die nachfolgenden Autoren Alfred Weidinger (2006) und Tobias Natter (2012, 2017) haben die historischen Besitzerangaben zu Fräulein Lieser einfach übernommen, ohne sie je zu prüfen. Andernfalls hätte ihnen der Schreibfehler auffallen müssen: "Wien, Lieser-Lankiewits" vermerken sie als erste Provenienz einhellig, tatsächlich sollte der zweite Name aber "Mankiewicz" lauten.

Dobai bezog sich dabei wohl auf Ida Mankiewicz, die im September 1942 aus der Krankenabteilung des Altersheims des jüdischen Ältestenrats in der Seegasse nach Theresienstadt deportiert wurde, wo sie im Dezember 1943 umkam. Sie war eine ältere Schwester von Lilly Lieser und die Großmutter des Opernkenners Marcel Prawy. (Olga Kronsteiner, 20.2.2024)