Axon
Nervenzellen kommunizieren konstant miteinander. Die verästelten Dendriten nehmen Signale auf, die schlauchartigen Axone, die von Schwann-Zellen umhüllt werden, leiten Impulse der Zelle weiter.
Getty Images/iStockphoto

Nervenverletzungen im peripheren Nervensystem, etwa an Armen, Händen oder Beinen, gehen oft mit motorischen Funktionseinbußen und Verlust der Empfindungsfähigkeit einher. Ist ein Nerv komplett durchtrennt, muss chirurgisch eingegriffen werden. Liegen die beiden Nervenstümpfe zu weit auseinander, um direkt vernäht zu werden, erfolgt eine Transplantation von Spendernerven zur Überbrückung. Goldstandard hierbei sind sogenannte autologe Nerventransplantate, also die Transplantation von Spendernerven aus dem Körper der Betroffenen selbst.

Dabei opfert man allerdings einen gesunden Nerv, meist den Suralisnerv aus dem Unterschenkel. Da der Suralis ein sensorischer Nerv ist, kann das außerdem die Erfolgswahrscheinlichkeit bei der Regeneration motorischer Nerven negativ beeinflussen. Ein alternativer Ansatz ist die Verwendung von Röhrchen aus einem resorbierbaren Material, etwa aus tierischem Kollagen. Diese Röhrchen werden an beiden Seiten mit den abgetrennten Nervenstümpfen im Körper verbunden. Idealerweise bildet sich innerhalb des Röhrchens der Nerv selbstständig neu.

Zellen, Gel und Magnete

Dies ist eine praktische Eigenschaft des peripheren Nervensystems: Schwann-Zellen, eine Form von Gliazellen, die eine im Nervensystem stützende Funktion übernehmen, bilden Zellbahnen zwischen den Nervenstümpfen, sogenannte Büngner-Bänder. Diese dienen als Gerüst, an denen sich die Axone orientieren und nachwachsen - also jene Teile von Nervenzellen, welche die elektrischen Impulse weiterleiten. Idealerweise erfolgt auf diese Weise eine vollständige Regeneration des verletzten Nervs. Bisher ist diese Technologie allerdings auf Defektstrecken von wenigen Zentimetern beschränkt.

Aktuelle Forschung an der Fachhochschule Technikum Wien könnte diese Beschränkung eines Tages aufheben. Carina Hromada, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FH Technikum Wien, arbeitet im Rahmen ihrer Dissertation daran, Büngner-Bänder künstlich herzustellen und damit die Natur unter kontrollierten Bedingungen im Labor zu kopieren. Dazu verwendet sie Schwann-Zellen von Rattennerven.

Zellkulturen aus Nerven

"Es handelt sich also um eine primäre Zellkultur, also Zellen, die direkt aus Nerven isoliert wurden", sagt Hromada. Diese Zellen bettet sie in ein Gel aus dem Eiweiß Fibrin, welches bei der menschlichen Blutgerinnung eine wichtige Rolle spielt. "Das Ganze hat die Form eines Rings", erklärt Hromada.

Dieser Ring wird auf eine eigens entwickelte mechanische Konstruktion gespannt, die die Zellenstruktur oben und unten mittels je eines Hakens fixiert. Im unteren Haken ist zusätzlich ein winziger Magnet integriert. "Mittels eines externen, von einem Motor gesteuerten Magneten kann man dieses Ring-Hydrogel-Konstrukt dann auseinanderziehen", erklärt die Forscherin. Durch den kontinuierlichen mechanischen Zug bilden sich die gewünschten längsausgerichteten Zellstrukturen.

Dieser zum Patent angemeldete Vorgang dauert etwa eine Woche und findet in einem Bioreaktor bei konstant 37 Grad Celsius statt. In dieser Zeit wird der Zellring um 20 Prozent gegenüber seiner ursprünglichen Länge gedehnt. Danach wird der Ring an zwei Stellen gekappt, sodass man zwei einsatzfähige, künstliche Büngner-Bänder erhält.

Verletzungen überbrücken

Ein Vorteil dieses Forschungsansatzes ist es, dass damit die derzeit noch auf circa zwei bis drei Zentimeter begrenzte Einsatzfähigkeit von in Patienten und Patientinnen eingesetzten Nervenröhrchen erweitert werden könnte. "Bisher scheitert es daran, dass die Schwann-Zellen in dem Röhrchen nur bis zu einer bestimmten Länge komplett durchwachsen und so die Büngner-Bänder ausbilden können", erklärt Hromada. "Bei unserem Ansatz hat man demgegenüber schon ein fertiges, die Verletzung überbrückendes Büngner-Konstrukt, und die Axone brauchen nur noch von der einen Seite zur anderen zu wachsen." Der Einsatz im Menschen sei allerdings noch Zukunftsmusik, betont die Forscherin. Zuvor müsste die neue Technik in Tierversuchen getestet werden.

Im Labor geht sie indes noch einen Schritt weiter. Hier bringt sie das im Bioreaktor gezüchtete Büngner-Konstrukt in Kontakt mit Gewebe aus sensorischen Neuronen. In diesem Gewebe wachsen in der Folge Axone. Das Resultat sind vollständige künstliche Nerven. Diese sind jedoch nicht zur Implantation gedacht, sondern könnten in der medizinischen Forschung als Modell genutzt werden, an dem man beispielsweise neu entwickelte Medikamente testen kann. Damit ließen sich Tierversuche ersetzen oder zumindest reduzieren. (Raimund Lang, 22.7.2023)