"In der Backstube bin ich fast nicht mehr" Über den Kaffee-Irrsinn und andere Bürokratie-Ärgernisse

Ab 2024 gelten für Backwaren, die vor Ort verzehrt werden, wieder 19 Prozent Mehrwertsteuer. In die Bäckerei von Georg Schneider kehrt damit wieder ein kleines Stück Bürokratie zurück – und gesellt sich zu anderen steuerrechtlichen Kuriositäten und bürokratischen Überforderungen.

Georg Schneider inmitten von Aktenbergen
Georg Schneider ist selten in der Backstube zu finden. Er muss sich gemeinsam mit vier Vollzeitkräften um den steigenden bürokratischen Aufwand kümmern. - © Sascha Schneider

Ab dem 1. Januar 2024 wird die Ermäßigung der Mehrwertsteuer wieder rückgängig gemacht und es muss wieder unterschieden werden. Verzehr im Haus: 19 Prozent, Verzehr außer Haus: sieben Prozent. Bäcker Georg Schneider wird seine Verkäuferinnen und Verkäufer wieder regelmäßig dazu anweisen müssen, darauf zu achten. Und er wird die Preise erhöhen müssen. "Eigentlich wäre es am fairsten, beim Verzehr im Haus zwölf Prozent mehr zu verlangen und die Preise für die Mitnahme gleich zu lassen", sagt Schneider, "aber das ist nicht wirklich überall umsetzbar."

Mit der Reduzierung der Mehrwertsteuer wollte die Bundesregierung den Gastronomiebereich während der Corona-Pandemie unterstützen. Und auch wenn die Rücknahme der Ermäßigung natürlich ärgerlich ist, hat Georg Schneider damit nicht das größte Problem. Ihn stören vor allem die Unterschiede an sich bei der Mehrwertsteuer und die vielen Ausnahmeregelungen.

Wirrwarr beim Kaffee

Am Beispiel Kaffee zum Mitnehmen lässt sich das sehr gut veranschaulichen. Der Kaffee selbst wird mit 19 Prozent besteuert, Milch nur mit sieben Prozent. Bei einem Kaffee mit einem Schuss Milch werden 19 Prozent fällig. Ist der Kaffee zu mindestens drei Vierteln mit Milch zubereitet, also beispielsweise ein Latte Macchiato, werden sieben Prozent fällig. Handelt es sich aber um pflanzliche Milch, also aus Hafer oder Soja, werden wiederum 19 Prozent fällig. Und das ist bei Weitem nicht das einzige Beispiel zum Wirrwarr bei der Mehrwertsteuer. Der Bundesrechnungshof hat die Politik auch in diesem Jahr wieder ermahnt, bei diesem Thema für mehr Klarheit und Fairness zu sorgen.

Kassenbon: Müll und Ärger

Was bei Betrieben und bei Kunden auch seit einiger Zeit für Ärger sorgt, ist die Bonpflicht. In vielen Geschäften erhalten Kundinnen und Kunden einen Kassenbon, auch wenn sie ihn nicht wollen. Neben der Tatsache, dass dafür je nach Größe des Geschäfts tausende Euro ausgegeben werden, gibt es hier auch ein Müllproblem. Vor allem, weil die Bons aus sogenanntem Thermopapier bestehen, mit Chemikalien beschichtet sind und damit in den Restmüll und nicht in den Papierkorb gehören, was viele Menschen gar nicht wissen. Für dieses Problem hat Georg Schneider aber eine Lösung gefunden: "Einige Kunden haben sich sehr aufgeregt über den unnötigen Müll und für uns war die Flut an Zetteln ebenso unerträglich. Deswegen haben wir jetzt auf einen digitalen Bon umgestellt." Mit dieser Lösung, die in etwa genauso viel kostet wie die herkömmlichen Bons, wird die Bäckerei den Anforderungen des Finanzamts gerecht und vermeidet Müll. Kunden, die dennoch einen Bon wollen, kriegen ihn, auch digital mittels QR-Code.

Grafik Umsatzsteuer bei Kaffee
© Bundesrechnungshof/DHZ

Lieferkettengesetz

Es gibt viele Beispiele für den gestiegenen bürokratischen Aufwand der Betriebe. Das Lieferkettengesetz gehört dazu. Die Politik verpflichtet damit Unternehmen zur Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in globalen Lieferketten. Kleine und mittelständische Betriebe sollten dabei eigentlich ausgenommen sein. Trotzdem sind sie vom neuen Gesetz betroffen, auch Georg Schneider. "Wir haben einen Großkunden, der die Vorgaben erfüllen muss und von uns auch entsprechende Nachweise verlangt. Auch hier wieder ein zusätzlicher Aufwand." Nach der Übernahme der Bäckerei Rager in Augsburg-Haunstetten betreibt Georg Schneider mit seiner Firma Vollwertbäcker Schneider insgesamt 20 Filialen in und um Augsburg mit circa 230 Mitarbeitern. Davon sind insgesamt vier Arbeitskräfte in Vollzeit mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt. Und natürlich er selbst. "In der Backstube bin ich eigentlich fast gar nicht mehr", sagt Schneider. Den bürokratischen Aufwand für sein komplettes Team schätzt der Bäckermeister auf etwa 15 Prozent der Arbeitszeit.

Aufwand bei Übernahme

Mit der Übernahme der neuen Filialen gab es so einige Schwierigkeiten. Mit dem Umzug seines Hauptsitzes von Neusäß nach Augsburg wechselte Schneider auch vom Finanzamt Augsburg-Land zum Finanzamt Augsburg-Stadt. Eine Zeit lang hatte er noch keine neue Steuernummer, sollte aber Steuern abführen. Auch die Übernahme der Leasing-Fahrzeuge der Bäckerei Rager gestaltete sich mehr als schwierig. Es mussten neue Verträge gemacht werden, es kostete Geld und die Autos sind jetzt weniger wert, nur weil Schneider der neue Halter ist. Die Autos werden weiterhin von den gleichen Personen gefahren. Mit den Krankenkassen gab es ebenfalls Probleme. Die Kassen, wie im übrigen auch die Bundesknappschaft, die zuständig ist für die Minijobs, führen seine Filialen unter verschiedenen regio­nalen Betriebsnummern.  Dadurch kam es zu Verwechslungen und Zahlungen fanden nicht den richtigen Weg. Reibungslos lief es einzig und allein bei der Umstellung der Stromverträge.

Elektronische Krankmeldung

Auch mit der neuen elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) hadert Schneider: "Das klappt eher schlecht als recht. Und warum müssen wir als Betrieb eigentlich die eAU abfragen und bekommen sie nicht einfach von der Krankenkasse geschickt?" Jede Krankenkasse habe zudem ihr eigenes Portal, jeder Mitarbeiter seine Mitgliedsnummer. Oft sei die eAU noch nicht übermittelt und es müsse später noch einmal abgefragt werden. "Grundsätzlich finde ich die elektronische Krankmeldung ja gut. Aber so? Oft kommen aus der Politik auch gute Ideen, aber der Verwaltungsapparat macht einen Riesenakt daraus." Vieles im Sozialversicherungsbereich werde auf die Arbeitgeber abgewälzt, stellt Schneider fest. So sei es auch bei der Umstellung der Pflegeversicherung gewesen, als sich die Betriebe die Geburtsurkunden der Kinder ihrer Mitarbeitenden vorlegen lassen mussten, um das dann weiterzugeben. Insgesamt stellt der Bäckermeister fest, dass bei Betriebsprüfungen immer öfter auch Aspekte kontrolliert werden, die früher nicht kontrolliert wurden, und es bei Kontrollen immer mehr ins Detail geht.

Meldepflichten an Statistikämter

Die Liste mit bürokratischem Aufwand ließe sich fast endlos weiterführen. Schneider ist beispielsweise zudem betroffen von Meldepflichten an Statistikämter. Es reicht von jährlichen Meldungen zu Investitionen in Innovationen und Umwelttechnik sowie zum Energieverbrauch bis hin zu monatlichen Meldungen zu geleisteten Stunden seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, unterteilt in ungelernt und qualifiziert, sowie den Lohnkosten.

Schneider kann jedenfalls bestätigen, was eine Sonderumfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) in diesem Jahr ergeben hat: Die Bürokratie hat zugenommen. Handwerksbetriebe sehen den größten Aufwand mit 76 Prozent bei der ständigen Anpassung an neue Gesetze und Vorschriften, auf Platz zwei folgt mit 54 Prozent die steigende Zahl neuer Nachweis-, Dokumentations- und Meldepflichten und auf Platz drei mit 45 Prozent der steigende Umfang dieser Pflichten. Insgesamt eine Milliarde Arbeitsstunden soll die deutsche Wirtschaft laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr für Bürokratie aufgewendet haben, was etwa 65 Milliarden Euro an Arbeitskosten entspricht. Nicht umsonst hat der Nationale Normenkontrollrat den Bürokratieabbau als "Konjunkturprogramm zum Nulltarif" bezeichnet.