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Eine Schlangengrube aus Intrigen, Eitelkeiten und Finanzakrobatik

Das Castello di Miramare bei Triest ist die aufwendige Residenz des jüngeren Bruders des österreichischen Kaisers Franz Josef. Dabei lohnt sich ein Blick hinter Glanz und Plüsch. Ein Besuch im Jahr 1861.

Von Franz Nussbaum | 01.09.2013
    Ein festliches Spektakel hier an der kleinen Anlegestelle vor Schloss Miramare. Und die Wellen schlagen an die hellen Steinstufen, es könnte Marmor sein? 1861 erwartet diese Residenz den ersten großen Besuch nach der Fertigstellung des Parterres. Ich habe eine kleine Kopie des Gemäldes dabei auf dem das Ereignis vom 18. Mai 1861, vor gut 150 Jahren, nach Hofmaler-Art aufgehübscht, festgehalten ist. Es herrscht auf dem Bild natürlich Kaiserwetter. Die österreichische Kaiserin, gleichzeitig Königin des Apostolischen Ungarn, Elisabeth, gerufen Sissi, wahrscheinlich nicht identisch mit der Schauspielerin Romy Schneider - ein kleiner Scherz. Sie ist damals 23 Jahre, hat als junge Kaiserin schon sieben harte Lehrjahre unter der alles bestimmenden Schwiegermutter hinter sich.

    Elisabeth ist auf unserem Bild soeben mit einem Beiboot vom k.u.k.-Flaggschiff "Novara" in den winzigen Hafen gerudert worden. Die Kaiserin ist dann in einem fußlangen blau-schwarz gearbeiteten Prunkmantel die wenigen Stufen hinan gestiegen. Sie wird von ihrer Schwägerin, der Erzherzogin Charlotte, vormals Prinzessin von Belgien, mit Handschütteln begrüßt. Charlotte ist die Frau des Kaiserbruders Maximilian. Die beiden festlich gekleideten Damen stehen sich in einer etwas gestelzten Herzlichkeit gegenüber. Charlotte ist drei Jahre jünger als Sissi. Einen Begrüßungsdialog können wir nur erraten. Er ist uns nicht in Sprechblasen übermittelt. Vielleicht:

    "Herzallerliebste Elisabeth, ich hoffe, Du hattest eine angenehme Anreise. Wir freuen uns narrisch über Euren kaiserlichen Besuch. Manches an unserem Märchenschloss ist natürlich noch nicht fertig. Ich darf Dich gleich durch alle Räume führen. Du hast Dich ja prächtig auf Madeira erholt. Ich sag das mit neidloser Anerkennung!"

    Geübte Lippenleser würden abwinken, die Freundlichkeit ist nur erlogen. Sie könnten vielleicht auch folgende Begrüßung ablesen:

    "Hallo, meine Liebe. Was macht die Schwindsucht, hüstelst Du noch? Oder sind es bei Dir nur psychosomatische Unpässlichkeiten? Ja, drei Geburten in nur vier Jahren fordern ihren Preis. Aber dafür haben Dich ja die Habsburger auch eingekauft. Aber nachdem Du nun im dritten Anlauf endlich einen Stammhalter geliefert hast, wird Dich Franz Josef etwas in Ruhe lassen. Ihr habt ja sowieso getrennte Schlafzimmer, heißt es?"

    So etwas sagt man natürlich nicht öffentlich. Christian Ulrich kennt die Geschichten um Miramare:

    "Fakt ist, die Damen waren sich spinnefeind. Kaiserin Sissi, aus einer Wittelsbacher Nebenlinie, war mit ihrem Kaiser Franz Josef mit einem staubtrockenen Langweiler verheiratet. Er soll in seiner Pedanterie einer automatischen Schreibmaschine für maschinelle Unterschriften gleichgekommen sein. Man muss allerdings fairerweise berücksichtigen, er wurde schon in seiner Kinderzeit von seiner dominanten Mutter deformiert. Und diese Kaiser-Mutter, dazu das Hofprotokoll bevormunden und schikanieren auch die unsichere Elisabeth.

    Charlotte aus Belgien gilt dagegen wegen ihrer reichen Mitgift als eine der besten Partien im europäischen Heiratsmonopoly. Sie bekam aber nur den jüngeren Bruder des Kaisers ab. Ein Zweitgeborener, ohne Chance auf eine Krone."

    Charlotte von Belgien ist die Tochter des ersten Königs des noch jungen Landes Belgien, neu auf der europäischen Landkarte. Christian Ulrich:

    "Ihr Vater kommt aus dem Hause Sachsen-Coburg-Gotha. Charlotte war im Vergleich mit Sissi hochgebildet: Philosophie, Geschichte, Naturwissenschaften, spielt vorzeigbar auf jedem Flügel, bevorzugt Johann Sebastian Bach. Sie ist auch eine talentierte Malerin, beherrscht vier Sprachen fließend. Sie gilt als sehr willensstark, besitzt jenes Gen, dass sie zum Herrschen bestimmt sei! Ihre Bildungsvorteile gegenüber der kaiserlichen Schwägerin soll Charlotte gerne etwas ausgespielt haben."

    Vielleicht beim abendlichen Kreuzworträtseln? Und dieser Besuch in Miramare ist indirekt der Beginn einer interessanten neuen Entwicklung. Es fällt, lese ich, in die Phase der Abnabelung dieser Kaiserin Elisabeth aus dem goldenen Kerker und von dem ganzen Getue in Wien. Sissi beginnt ein vollkommen freies Eigenleben, avanciert zu einer Reiseweltmeisterin.

    Und nicht von ungefähr stehen hier auf diesem Begrüßungsgemälde vor Miramare die beiden Ehemänner, Kaiser Franz Josef und dessen Bruder Maximilian, beide in nobel geschnittenen Galauniformen etwas steif wie protokollarische Schaufensterpuppen. Sie stehen nur dekorativ dabei.

    Nun könnte man unser Gespräch ja auch als Boulevardgeschwätz abtun, das den Zeitschriften bei Friseuren und in Arztpraxen vorbehalten ist. Doch der unvorbereitete Besucher von heute muss in Miramare arg aufpassen, dass er hier nicht in eine Tunke aus Herz-Schmerz-Saft und geschönter Hofberichterstattung ertrinkt. Christian Ulrich:

    "Noch mal zurück zu Elisabeths damaligem Besuch in Miramare. Knapp zwei Jahre später kommt, statt des vormals schüchternen, blassen Hascherls Sissi, kommt eine höchst selbstbewusste junge Frau von ihren fluchtartigen Reisen an den Wiener Hof zurück. Elisabeth präsentiert sich derart souverän und strahlend schön, als habe sie anonym ein Coaching gemacht."

    Und nun wenden wir uns dem Schloss zu. Miramare steht aus blendend weißen Steinen, es ist Kalkstein, es steht auf einem massiven Felsvorsprung, direkt an der Adriabucht von Grignano. Es ist bautechnisch ein zweieinhalb-stöckiger Mix aus "romantischem Historismus". Ein schwieriges Wort. Wie kann man es übersetzen? Christian Ulrich:

    "Wer in Potsdam Friedrich Schinkels Schloss Babelsberg kennt, das ist auch romantischer Historismus, also mit vielen Türmchen. Babelsberg ist aber 20 Jahre älter als Miramare."

    Und nun zu den handelnden Personen unseres Sonntagsspaziergangs: Der Kaiserbruder und Erzherzog Maximilian wird als romantischer Jungspund mit 22 Jahren Kommandant, also Oberbefehlshaber der k.u.k.-Kriegsmarine hier an der Adria. Ob man das militärisch mit 22 Jahren kann oder nur "darstellt" und in schnittigem Marineblau an der Adria spazieren trägt? Fragezeichen. Wir lesen:

    Der gut aussehende Maximilian verliebt sich in diese und jene. Stößt sich auf Weltreisen die sogenannten Hörner ab, fängt sich dabei auch eine "Kavalierskrankheit" ein. Und Max verliebt sich fast gleichzeitig auch in diese 5-Sterne-Bucht von Grignano. An sich nur ein karstfelsiger Anlegeplatz mit ein paar ärmlichen Fischerhütten.

    Wer sich aber hier eine angemessene Bleibe bauen will, braucht viel Pulver, im doppelten Sinn. Es muss vorab durch umfangreiche Sprengungen überhaupt ein bebaubares Terrain für ein Schloss und für einen Park geschaffen werden. Alle Baumaßnahmen will der Erzherzog privat finanzieren, heißt es. Christian Ulrich:

    "Wenn man die Quellen vergleicht, es gab anfangs gar keine durchgerechnete Baukalkulation für ein Schloss. Was kostet denn ein Zweistöckiges, was kostet dagegen ein vierstöckiger Märchenbau. Wie viel verschlingt die Inneneinrichtung, was kostet ein repräsentativer Park? Es wurde nur munter drauflos gewurstelt und verworfen."

    Fragen wir also nach dem anderen Pulver, dem Geld zur Finanzierung, und lesen:

    Der junge Erzherzog ist hochverschuldet, er konnte im Gegensatz zu Bruder Franz Josef nie mit Geld umgehen. Seine Mutter verwöhnt den leichtsinnigen Max und hilft ihm oft aus der Patsche. Die Baukosten von Miramare verteuern sich auch deswegen, weil ab Baubeginn 1856 die Pläne immer wieder wegen neuer Extrawünsche geändert werden müssen.

    Auch ein belgisches Prinzesslein himmelt den Marine-Charmeur von der Adria an. So kommt die Verliebtheit der stinkreichen belgischen Prinzessin Charlotte dem klammen Erzherzog mit der unkalkulierten Bauwut durchaus zu Pass. Sie ist 16, er ist 24. Auf verliebten Bildern das Traumpaar der Hofberichter-Presse. In den Adelshäusern ist aber, so lese ich, die romantische Liebe auf den ersten Blick nur dem Pöbel erlaubt. In den besseren Ständen gibt es das Casting der Mitgift. Vermählungen werden arrangiert. Kurzum, es folgen zähe Verhandlungen um die opulente Aussteuer der verkauften Braut aus Brüssel. Dem Jüngling mit dem Schuldenberg in der 5-Sterne-Bucht hilft die 1-A-Aussteuer aus Belgien aus seinen finanziellen Bedrängnissen.

    Einiges später, vermählt, beziehen sie provisorisch neben der staubigen Großbaustelle Miramare, da drüben dieses großzügige "Gartenhaus" als Turtelarium.

    Und wir schließen uns hier aber einer Besichtigung an, durch die Privatgemächer im Parterre. Denn nach gut vierjähriger Bauzeit ist damals zu Weihnachten 1860/61 von allen Schloss-Träumen nur das Erdgeschoss bewohnbar. Die höheren Stockwerke werden erst Jahre später, nach Maximilians Hinrichtung in Mexiko fertig. Wir laufen weiter durch den Novara-Saal. Das ist Maximilians aufwendiges Arbeitszimmer. Es ist der erzherzoglichen Luxuskajüte auf seinem Flaggschiff nachgebaut. Die Bibliothek mit einer Goethe-Büste, der kleine Speisesaal, Charlottes Wohnzimmer mit Klavier. Das "gemeinsame" Schlafzimmer, der Ankleideraum und, und, und.

    Alles sehr teuer, sehr anspruchsvoll, mit vielen edlen Hölzern als Staubfängern.

    Und hier bleibt der aufmerksame Besucher plötzlich stehen. Eine Bronzestatue zeigt Maximilian in einer Paradeuniform als Kaiser von Mexiko. Da wäre er höchstens 34. Und wir vergleichen ihn mit den Bildern vor sechs Jahren. Wir sehen den Charming-Maxi stark gealtert, aufgeschwemmt, glanzlos. Zur Erinnerung ein Zitätchen aus frühen Briefen Charlottes:

    "Max ist in jeder Hinsicht eine Vollkommenheit, so vortrefflich, so fromm, so zärtlich. Ich genieße das Glück in vollen Zügen."

    Wie geht es mit dem Glück in vollen Zügen weiter? Christian Ulrich:

    "Dazu sehen wir hier im Historischen Saal ein Gemälde mit einer hoch honorigen Delegation aus dem fernen Mexiko. Mit allerlei Verlockungen und etwas Drängen, auch verbunden mit falschen Versprechungen des französischen Kaisers Napoleon III., bietet man dem thronlosen Paar von Miramare die mexikanische Kaiserkrone an."

    Das kann ich mir bildhaft vorstellen wie Maximilian und vor allem die ehrgeizige Charlotte, wie sie durchrechnen: "Können wir Kaiser?" Denn mithilfe dieser unerwarteten Karrierewendung ständen sie plötzlich protokollarisch auf gleicher Augenhöhe mit dem Kaiser von Frankreich, auf Augenhöhe mit Franz Josef und Elisabeth in Wien, mit den Kaisern im fernen Japan und China und mit dem russischen Zaren. Mehr Kaisers gib es damals nicht. Sogar ein deutscher Kaiser wird erst sieben Jahren später gekrönt. Und Sie zeigen auf ein weiteres Gemälde. Christian Ulrich:

    "1864 legt vor Miramare ein Beiboot mit dem neuen Kaiserpaar ab. Die mexikanische Flagge ist aufgezogen. Jubelnde Verabschiedung auf dem Weg zum neuen Glück aus der engen Adria über die Weltmeere in die neue Welt, nach Amerika."

    Aber da drüben geht fast alles schief. Gute drei Jahre später ist Maximilian in Mexiko finanziell pleite. Versprechungen und militärische Unterstützungen werden nicht eingehalten, selbst Gottes Segen vom Papst hilft nicht. Mexikanische Staatsanleihen will damals keiner in Brüssel oder in Wien zeichnen. Der König von Belgien steckt sein Geld lieber in die unermesslichen Bodenschätze des Kongo. Das mexikanische Volk, wer immer das ist, hat die Nase voll. Eine Revolution fegt die Fremden aus Miramare, die auf großem Fuß in Mexiko residieren, einfach hinweg. Christian Ulrich:

    "Das sehen wir hier auf einem Gemälde von Eduard Manet. Wir sehen ein mexikanisches Erschießungskommando. Es richtet den Kaiser hin. Er ist zivil gekleidet. Das Original des Bildes hängt übrigens in der Kunsthalle in Mannheim."

    Und die Kaiserin, für die der Lebenstraum als Herrscherin auf einem Thron in Erfüllung gegangen ist, allerdings nur in einer ironischen Kurzfassung? Bevor sich in Mexiko die Ereignisse überschlagen und die Schüsse fallen, segelt sie eilig nach Europa und bettelt vergeblich in Paris, Brüssel, Wien, sogar beim Papst um finanzielle und militärische Unterstützung. Die gefürchtete Schweizer Garde des Vatikans hätte es aber auch nicht mehr richten können. Wir lesen:

    Charlotte erleidet einen schweren Nervenzusammenbruch. Die herbeigerufenen Ärzte diagnostizieren "Wahnsinn". Zuerst wohnt die Witwe noch zurückgezogen unter bewachter Betreuung im Gartenhaus in Miramare. Dann die restlichen Jahre ihres noch sehr langen Lebens bis 1927 in einem Schloss in Belgien. Bis zu Letzt soll sie in wirren Auftritten darauf gepocht haben, regierende Kaiserin von Mexiko zu sein. Ihre Ehe blieb kinderlos.

    Wir stehen mittlerweile wieder vor dem Schloss draußen. Bis 1914 bleibt Miramare Sommerresidenz der Habsburger. Besuchsweise hält sich auch Kaiserin Elisabeth öfter in Miramare auf. 1882 kommt sie auch in Begleitung von Kaiser Franz Josef und dem Thronfolger Erzherzog Rudolf nach Miramare. Rudolf, der einzige Sohn, begeht dann sieben Jahre später mit seiner Geliebten Selbstmord.

    "Glück" bringt, so gerechnet die teure und zauberhafte Residenz Miramare dem Hause Österreich eigentlich nicht. Und wer heute hier einfach so durchlatscht, sich von Plüsch und den edlen Hölzern belullen lässt, träumt vielleicht auch von einer eigenen Traumschiffreise nach Mexiko. Und dann vielleicht hier an der Seetreppe von Miramare mit dem Beiboot abgeholt werden. Man möchte fast abraten.

    1914, also vor gut 100 Jahren, kommt auch der österreichische Erzherzog und designierter Kaiser-Thronfolger Franz Ferdinand hier vorbei. Er reist auf einem Schiff der k.u.k.-Marine zu einem Manöverbesuch in Richtung Balkan. Und in Sarajevo ist ein bloßer Stadtbesuch geplant. Dabei verübt man dann das Attentat, das dann ganz Europa in den Ersten Weltkrieg ziehen lässt.


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