Rassismus gegenüber Osteuropäern

Abwertung mit langer Tradition

09:05 Minuten
Historische Aufnahme zeigt einen älteren Mann mit besorgtem Gesicht, dessen Physiognomie von einem anderen Mann  mit einem speziellen Messinstrument gemessen wird. Ein weiterer Mann im Hintergrund macht dazu Notizen.
Die Nazis hielten viele Osteuropäer für "Untermenschen" - und meinten, die Hierachie der von ihnen postulierten "Rassen" auch messen zu können. © IMAGO / UIG / CPA Media
Jannis Panagiotidis im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 11.01.2023
Audio herunterladen
Die Abwertung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe ist wohl die gängigste Form von Rassismus. Weniger beachtet wird hingegen der Rassismus gegenüber Osteuropäern. Dabei sei er in vielen Köpfen tief verankert, sagt der Historiker Jannis Panagiotidis.
In Berlin hat die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, einen Bericht zum "Rassismus in Deutschland" vorgestellt. Betroffen von Ausgrenzung und Abwertung sind sehr oft People of Colour - aber nicht nur. Auch Menschen aus Osteuropa werden häufig Opfer von Rassismus.
Dass sie als nicht gleichwertig angesehen werden, habe eine lange Tradition, sagt Jannis Panagiotidis, Historiker und stellvertretender Leiter des Forschungszentrums für Geschichte von Transformationen an der Universität Wien.

Nazis und die "slawischen Untermenschen"

In der Geschichte gebe es - besonders in Deutschland - eine sehr starke Tendenz, Menschen aus Osteuropa rassistisch abzuwerten, sagt Panagiotidis. "Das kann man bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Besonders stark war das im Nationalsozialismus der Fall, wo es einen Diskurs über slawische Untermenschen gab, die unterworfen werden und als Sklaven für das großdeutsche Reich arbeiten sollten. Da gibt es eine historische Kontinuität, die man sich genauer anschauen muss."
Die Nachwirkungen dieses historischen Rassismus sind für Panagiotidis bis heute spürbar. In Fahndungsaufrufen der Polizei finde man zum Beispiel immer noch die Formulierung, dass der Täter ein "osteuropäisches Erscheinungsbild" habe: "Was bedeutet das und wo kommt das her, dass Menschen eine Vorstellung davon haben, wie Osteuropäer aussehen?" Man müsse fragen, welche "Bilder in den Köpfen" geblieben seien.

Gute Ukrainer, böse Russen

Der Ukraine-Krieg habe in dieser Hinsicht einiges geändert, sagt Panagiotidis. "Die Ukrainer wurden plötzlich und spontan in der Wahrnehmung ganz stark aufgewertet." Lange habe man sie nämlich eher nicht als gleichwertige, weiße Europäer betrachtet.
Auf der anderen Seite sei es auf einmal wieder sagbar, dass die Russen nur so handeln könnten, weil sie keine Europäer seien. "Das sind kulturrassistische Aussagen, die man vor ein paar Jahren so noch nicht gesagt hätte, die aber angesichts der Gräueltaten jetzt wieder in den Diskurs kommen."
(ckü)
Mehr zum Thema