Radikaler Klima-Aktivismus

Proteste einer selbsternannten Avantgarde

07:35 Minuten
Zwei junge Frauen in orangen Warnwesten mit einem Transparent knien auf einer Fahrbahn, um sie zu blockieren. Ihnen gegenüber: PKWs mit leuchtenden Scheinwerfern.
Klimaaktivistinnen der Gruppe "Aufstand der letzten Generation" blockieren eine Ausfahrt der A 24. © picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Michael Wehner im Gespräch mit Ute Welty · 21.02.2022
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Die Klimaprotestbewegung "Aufstand der letzten Generation" will Häfen und Flughäfen blockieren. Die Szene könnte militante Minderheiten mobilisieren, sagt der Politologe Michael Wehner. Radikale Gewaltakte hält er jedoch für unwahrscheinlich.
Auf Autobahnen in Berlin und weiteren deutschen Städten ging mehrere Tage hintereinander nichts mehr, als Aktivistinnen und Aktivisten der Klimaschutzbewegung "Aufstand der letzten Generation" die Fahrbahn blockierten. Nun hat die Bewegung angekündigt, auch Häfen und Flughäfen lahmzulegen.

Störung der Infrastruktur

Nachdem die Bundesregierung ein für den 20. Februar gesetztes Ultimatum verstreichen ließ, sehe die Gruppe sich gezwungen, die Infrastruktur noch stärker zu stören, um ihre Anliegen durchzusetzen, sagte deren Sprecherin Aimée van Baalen . Die Protestierenden fordern ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung und eine klimafreundliche Agrarwende.
Greifen die Aktivistinnen und Aktivisten zu immer radikaleren Mitteln? Tadzio Müller von der Bewegung "Ende Gelände" spekulierte im Herbst bereits darüber, ob sich eine "grüne RAF" formieren könnte, wenn die weltweiten Klimaproteste nicht bald zu effektiven politischen Maßnahmen führen.

Radikalisierte Minderheiten

Die Klimaprotestbewegung habe durchaus "das Potenzial, radikalisierte Minderheiten, die mit der Klimapolitik der Ampelregierung unzufrieden sind, zu mobilisieren und dementsprechend zu militanten Akten bereitzuhalten", sagt der Politologe Michael Wehner von der Universität Freiburg. Dass Aktivismus in gewaltsame Aktionen münden könne, habe die Geschichte der Protestbewegungen immer wieder gezeigt:

Selbsternannte Veränderer der Gesellschaft, die sich als Avantgarde verstehen und die Zeit des Handelns als sehr drängend empfinden, sind auch bereit, entsprechende "Kollateralschäden" einzugehen.

Michael Wehner, Politologe

Insofern halte er es für wichtig, die Klimaprotestbewegung sorgfältig zu beobachten, gegebenenfalls müsse auch der Verfassungsschutz "in die Szene eindringen, um zu schauen, dass das Radikalisierungspotenzial nicht überhandnimmt", so Wehner.

Ein schmaler Grat

Zugleich betont der Politologe, dass er radikale Gewalttaten seitens der Bewegung für unwahrscheinlich hält. Denn die Aktivistinnen und Aktivisten befänden sich auf einer Gratwanderung: "Wenn man zu radikal in seinen Verhaltensweisen wird, droht die Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Bewegung verlorenzugehen."
Die Geschichte der RAF habe zwar deutlich vor Augen geführt, "dass eine kleine Zahl von Militanten durchaus Staat und Gesellschaft in Atem halten kann", sagt Wehner. Die Protestforschung der letzten Jahrzehnte zeige aber, "dass radikale Gewalttaten auf keine breite Akzeptanz in der gesellschaftlichen Mehrheit stoßen." Es sei zu hoffen, "dass es dabei bleibt."
Dem Versuch der Protestierenden, eine politische Entscheidung in ihrem Sinne durch Störaktionen und Ultimaten quasi zu erzwingen, liege "ein komplett falsches Verständnis von parlamentarisch-repräsentativer Demokratie" zugrunde, erklärt Wehner. Allerdings biete die Demokratie "mit ihrer Langsamkeit und mit dem Verschieben von Zukunftsproblemen" auch "argumentative Angriffsflächen" für den Protest.

Veränderte Lebensweisen

Die Aktivistinnen und Aktivisten sollten sich nach Wehners Einschätzung wenig Hoffnung auf politische oder wirtschaftliche Veränderungen machen. Die hätten sich in der Geschichte der Protestbewegungen nur selten eingestellt, erklärt der Politologe.
Nennenswerte Erfolge habe es historisch betrachtet eigentlich nur im Hinblick auf Wertewandel und die Veränderung von Verhaltensweisen gegeben. Dass Massentierhaltung heute zunehmend in der Kritik stehe und "vegane, vegetarische Lebensweisen durchaus in Mode kommen", bestätige diese Erfahrung.
(fka)
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