Schenken als politisch-soziales Risiko

Beschenkt und beschämt

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erhält am Freitag (29.10.2010) in München (Oberbayern) auf dem Parteitag der CSU nach ihrer Grußrede einen Blumenstrauß vom CSU-Parteivorsitzenden Horst Seehofer.
"Jedem Geschenk wohnt ein Interesse inne", sagt der Philosoph Daniel Hornuff. © Peter Kneffel/ dpa/ lby
Ein Essay von Daniel Hornuff · 24.12.2018
Man verschenkt etwas, der oder die Beschenkte sagt "danke". Wenn das so einfach wäre! Das Schenken ist eine der schwierigsten sozialen Handlungen überhaupt, meint der Philosoph Daniel Hornuff – und es gibt dabei auch Verlierer.
Alle Jahre wieder: In Weihnachtsgeschenke investieren die Deutschen riesige Summen. So wird für 2018 ein durchschnittlicher Pro-Kopf-Betrag von über 470 Euro erwartet. Damit ist wahrscheinlich, dass der Weihnachtsumsatz allein im Einzelhandel erstmals 100 Milliarden Euro überschreiten wird.
Wo derart viel Geld umgesetzt wird, muss das Schenken von überragender Wichtigkeit sein. Und tatsächlich: Das Schenken ist für die meisten überaus positiv besetzt. Wer etwas schenkt, handelt uneigennützig und tut Gutes aus freien Stücken. Und der Beschenkte erhält Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Im Geschenk, so scheint es, verdichtet sich ein achtsames Miteinander zu einem Symbol, das die Niederungen des Egoismus überwunden hat.

Überlegenheit demonstrieren

Doch altruistische Neigungen sind eigentlich nie der Grund für größere finanzielle Einsätze. Und so ist klar, dass derjenige, der ein Geschenk kauft, oft noch ganz andere Gedanken hegt: Was sagt dieses Geschenk über mich, den Schenkenden, eigentlich aus? Welches Zeichen sende ich mit meinem Geschenk dem Beschenkten – und all denen, die beobachten, was ich verschenke? Könnte mein Geschenk vielleicht sogar dazu dienen, anderen meine Überlegenheit zu demonstrieren?
Geschenke sind Werkzeuge, die sich dazu eignen, Menschen zu beschämen. Denn ein Geschenk, das unerwartet kommt, kann niemals vollständig aufgewogen werden. Im Gegenteil: Der Schenkende zwingt den Beschenkten in die Rolle des Dankbaren. Seine Dankbarkeit kann der Beschenkte entweder habituell oder durch Gegengeschenke bekunden. In beiden Fällen aber bleibt es bei einer Reaktion. Und der bloßen Reaktion fehlt das Moment der Initiative. Folglich mangelt es vor allem Gegengeschenken an der Kraft der Selbstlosigkeit.
Dies verleitet Menschen dazu, mehr zu schenken, als sie eigentlich schenken wollen oder schenken können. Sie verausgaben sich im Schenken, weil sie durch Beschenktwerden nicht länger beschämt werden wollen. Anstatt das Geschenk zurückzuweisen, was der denkbar schlimmste Bruch mit der Konvention des Schenkens wäre, wird das Geschenk angenommen, darauf spekulierend, mit dem eigenen Geschenk den anderen endgültig sprachlos zu machen.

Die Hölle, das sind die anderen

Nicht wenige Familien schreiben an Weihnachten neue Kapitel der Existenzialphilosophie: Die Hölle, das sind die anderen mit ihren gut gemeinten Geschenken. Wie im Leben, so bekommt man auch an Weihnachten nichts geschenkt – nicht mal die Geschenke selbst!
Damit liegt auf der Hand, dass Geschenke eine zutiefst politische Dimension besitzen. Was bedeutet etwa der Vorwurf an politische Gegner, sie würden nur billige Wahlgeschenke verteilen? Was, wenn Menschen das Gefühl bekommen, durch politische Repräsentanten beschenkt zu werden? Ist es nicht eine besonders subtile, aber gerade deshalb effektive Machttechnik, Menschen zu beschenken? – und zwar mit dem Ziel der Disziplinierung durch Dankbarkeit? Was also, wenn die ökonomische Logik des Schenkens und die in ihr enthaltenen Abhängigkeiten politisch wirksam werden?
Politik verstrickt sich fatal, wenn sie in Kategorien des Schenkens handelt. Denn jedem Geschenk wohnt ein Interesse inne – was dazu führt, dass zwischen Geschenk und versuchter Korruption im Grunde nie eindeutig zu trennen ist.
Entsprechend gehört es zu den kompliziertesten sozialen Handlungen, jemandem etwas zu schenken, ohne dabei übergriffig zu werden. Ein jedes Geschenk bleibt ein kleines, politisch-soziales Risiko. Wie es ausgeht, entscheidet sich allerdings erst und allein im Akt des Schenkens. Frohes Fest!

Daniel Hornuff, geboren 1981, lehrt an der Kunsthochschule in der Universität Kassel. Er absolvierte ein Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik, Komparatistik, Kunstwissenschaft und Philosophie, promovierte 2009, habilitierte 2013, legte etliche Publikationen vor und hatte zahlreiche Lehraufträge inne.

Der Kunstwissenschaftler Daniel Hornuff
© Privat
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