Sigrid Undset: "Kristin Lavranstochter"

Eine konservative Feministin

05:59 Minuten
Abgebildet ist das Cover des Buches "Kristin Lavranstochter" von Sigrid Undset.
© Kröner Verlag

Sigrid Undset

Übersetzt von Gabriele Haefs

Kristin LavranstochterAlfred Kröner Verlag, Stuttgart 2021

934 Seiten

46,00 Euro

Von Peter Urban-Halle · 05.01.2022
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Die Heldin dieser nordischen Familiensaga ist widersprüchlich: Kristin Lavranstochter ist aufbegehrend und gehorsam sowie draufgängerisch und vorsichtig. Sie ist eine starke Frau, setzt aber moralische Werte über jeden Individualismus.
Der als Trilogie angelegte Roman "Kristin Lavranstochter" erinnert an die altnordischen Sagas, die im sachlichen Stil von einer Familie oder einem Helden berichten. Dabei geht es um die namensgebende Kristin Lavranstochter, eine fiktive Figur im 14. Jahrhundert.
Ausführlich wird die fromme und geachtete Sippe vorgestellt, in der Kristin aufwächst. Der Vater Lavrans, ebenso stark wie gütig und die einzige durchweg positiv geschilderte Figur des Romans, und die schwermütige Mutter Ragnfrid (manchmal auch Ragnhild, das geht etwas durcheinander), der von den vielen Geburten nur drei Töchter geblieben sind.

Psychologische Tiefe bei den Figuren

Perspektivwechsel, farbige Naturschilderungen und psychologische Tiefe bei den Figuren sind moderne Elemente in dieser Saga. So werden etwa die Gesichter der Personen äußerst detailliert beschrieben, wie das Tor zu ihrem jeweiligen Innern. Der Charakter der Heldin ist widersprüchlich: Kristin ist weltgierig und gottesfürchtig, aufbegehrend und gehorsam, draufgängerisch und vorsichtig.
Sie widersetzt sich dem verehrten Vater und löst ihre Verlobung mit dem etwas biederen Simon auf, um den gut aussehenden Erlend heiraten zu können, der nicht den besten Ruf genießt. In breiten Schilderungen erfahren wir von Kristins Kindheit, ihrem Aufenthalt als Laienschwester in einem Kloster, ihrer Bekanntschaft mit Erlend, der sie erst vor Strolchen rettet und dann verführt, und schließlich ihrem zähen Kampf mit den Eltern bis zur ertrotzten Hochzeit.

Mensch als Geschöpf Gottes

Ohne Kristins Gottessuche freilich ist der Roman kaum zu verstehen. Bei Undset ist der Mensch ein Wesen mit freiem Willen, aber vor allem ein Geschöpf Gottes. Kristin kämpft auch mit sich selbst. Ihre Verstöße gegen die Ordnung der Gesellschaft und der Religion lassen sie einen Bußgang nach Nidaros (heute Trondheim) zum Grab des heiligen Olav unternehmen.
Husaby, Erlends vernachlässigtes Gut, bringt sie wieder auf Trab. In rascher Folge bringt sie fünf Söhne zur Welt. Aber jeder Erfolg, jede Freude und Hochgestimmtheit scheint nur dazu zu dienen, uns auf Niederlagen und Katastrophen vorzubereiten. Wir sind gespannt, was im dritten Band, der „Das Kreuz“ heißt, auf Kristin, Erlend und uns als Leser noch zukommt.

Historisches Epos

Sigrid Undset ist eine konservative Feministin. Ihre Heldin ist eine starke Frau, setzt aber ethisch-moralische Werte wie Treue, Pflicht, Verantwortung und Glaube über jeden Individualismus, was in unserer Zeit moralistischer Identitätskorrektheit beinah erfrischend fremd wirkt.
Es geht um die Einordnung in einen größeren Zusammenhang: in Familie, Gesellschaft, Volk. Denn „Kristin Lavranstochter“ ist nicht zuletzt auch ein nationaler Roman: ein historisches Epos, das uns ausgiebig spätmittelalterliche Sitten, Gesetze und Verhältnisse in Norwegen schildert. Undset bekam für ihre Trilogie 1928 den Literaturnobelpreis.

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