3. September 2020

Jens Grossmann: Seine Linse hat schon viel Leid gesehen

Der Wuppertaler Fotograf Jens Grossmann hat viel von der Welt gesehen. Viel Schönes, aber auch sehr viel Leid. In 50 Ländern der Erde hat er mit seiner Kamera im Auftrag von internationalen Hilfsorganisationen menschliche Tragödien nach militärischen Auseinandersetzungen und die Folgen von Natur-Katastrophen festgehalten, damit sich die restliche Welt ein Bild davon machen konnte. Aber auch zuhause in Wuppertal gibt es für den Fotografen aus Leidenschaft viel zu tun - als eine Art seelischen Ausgleich.

Vom bekannten Wuppertaler Fotograf Jens Grossmann, der mit seiner Kamera häufig im Auftrag von Hilfsorganisationen in Krisengebieten unterwegs hat, hat auch das Foto für den IKW-Flyer produziert – © Andrea Kümpfbeck

Er arbeitet für renommierte Medien wie Geo, Stern oder den Spiegel. Auf der anderen Seite ist Jens Grossmann, der an der Bergischen Universität Kommunikations-Design studierte, auch zuhause in Wuppertal bei Unternehmen und Organisationen ein sehr gefragter Fotograf.

So vertraut auch Oberbürgermeister Andreas Mucke zum zweiten Mal bei einem OB-Wahlkampf auf die gestalterischen Fähigkeiten und innovativen Ideen von Jens Grossmann.

Einige seiner beeindruckende Fotos zieren das Opernhaus-Programmheft der Saison 2016/17. Seine Ausstellung „Das Leben im Chaos – die Welt im Blick“? im Vok Dams ATELIERHAUS fand großen Anklang und ließ so manchen Betrachter nachdenklich und demütig zurück. Anschließend war seine beeindruckende Ausstellung auch noch im Düsseldorfer Landtag zu sehen.

Und auf bei Freiluft-Plakatwand-Kunst-Aktion „Out And About“ von Frank N war der Foto-Künstler Jens Grossmann, dessen eigentliches Auge die Linse seiner Kamera ist, mit mehreren eindringlichen und ausdrucksstarken Fotos vertreten – u.a. mit „Love Nziavake – Ostkongo“.

Ein Querschnitt seiner vielfältigen Arbeit ist auf seiner neuen Web-Seite http://www.jens-grossmann.de oder auf Facebook „Fotografie Jens Grossmann“ unter dem Link

https://www.facebook.com/search/top/?q=fotografie%20jens%20grossmann&epa=SEARCH_BOX

zu sehen.

Jens Grossmann wurde hier auf einer seiner Auslandsreisen einmal selbst zum Foto-Motiv – © privat

Lesen Sie auch das Interview mit Jens Grossmann:

 

FOTOGRAFIE BRAUCHT KEINEN DOLMETSCHER

 

DS: Bei ihren Auslandseinsätzen in Krisengebieten leisten Sie mit Ihrer Kamera regelrecht Aufklärungsarbeit. Was wollen und was können Sie mit Ihrer Arbeit überhaupt erreichen?

Jens Grossmann: „Es ist wichtig, Menschen ein Gesicht zu geben und das Leid nach außen zu tragen. Aber viel entscheidender ist das Leben selbst, dort sind doch Menschen, die weiter um ihr Leben kämpfen. Wenn ich mit Organisationen der Katastrophen- oder Entwicklungshilfe reise, geht es darum Leben, zu retten und Menschen zu ermöglichen, ihr Leben weiterzuleben.“

DS: Wie bereiten Sie sich überhaupt auf solche Einsätze vor?

Jens Grossmann: „Die Vorbereitung beginnt schon, wenn ich von einer Reise heimkehre. Das heißt, ich packe meinen Koffer, damit ich mich vor dem nächsten Einsatz nicht kurzfristig damit beschäftigen muss.“

DS: Welche Ihrer viele Erlebnisse hat Sie am meisten beeindruckt?

Jens Grossmann: „Es beeindruckt mich immer wieder zu sehen, wie überlebensfähig der Mensch in extremen Situationen ist. So zuletzt vor zwei Monaten in Äthiopien wo es derzeit die größte Hungersnot seit drei Jahrzehnten gibt.“

DS: Hat es auch Situationen gegeben, bei denen Sie Ihre Kamera gar nicht erst ausgepackt, sondern gleich geholfen haben?

Jens Grossmann: „Einen solchen Moment gab es auf Haiti nach dem schweren Erdbeben. Ein provisorischer OP war in einem Klassenzimmer eingerichtet. Dort wurde ich von einem Arzt gefragt, ob ich mit am Tisch arbeiten könnte, da zu wenig Personal vor Ort war. Ich habe dann die Aufgabe des Anästhesisten übernommen. Der Mann hat überlebt.“

Ein Jens-Grossmann-Foto bei „Out And About“ – © Jens Grossmann

DS: Wie bekommen Sie es hin, dass Leid, dass Sie vor Ort sehen, nicht zu nah an sich herankommen zu lassen?

Jens Grossmann: „Der Blick durch die Kamera schützt in gewisser Weise. Da haben es die schreibenden Kollegen schwerer, die das Elend detailliert und emotional geschildert bekommen. Ich mache währenddessen meine Fotos und schaue mich weiter um. Ich höre dann nur aus der Ferne das Weinen und Schreien, wenn Menschen ihre Geschichte erzählen. Außerdem arbeite ich fast immer ohne Dolmetscher. Für die Fotografie ist das besser.“

DS: Sie begeben sich ja bei Ihren Krisen-Einsätzen auch selbst in Gefahr. Halten Sie sich für einen mutigen Menschen?

Jens Großmann: „Ich kann nicht sagen, ob ich mutig bin. Ich meine aber, in extremen Situation einen klaren Kopf behalten zu können.“

DS: Sie haben viele Menschen, die Sie in Krisengebieten kennengelernt haben, portraitiert. Haben Sie irgendeinen dieser Menschen später einmal wiedergetroffen?

Jens Grossmann: „Ich bin ein Jahr nach dem Taifun Haiyan auf die Philippinen gereist, um den Wiederaufbau zu dokumentieren. Im Gepäck hatte ich einen Stapel Bilder von Orten, die mir besonders in Erinnerung geblieben sind. Diese Orte habe ich erneut aufgesucht, um von der gleichen Position aus noch einmal zum Vergleich zu fotografieren. Und dies nach Möglichkeit mit den Menschen, die ein Jahr zuvor auf den Bildern zu sehen waren. Dies waren sehr berührende und schöne Momente.“

DS: Habe Sie sich eine Deadline gesetzt, an der Sie sagen: Jetzt ist Schluss mit dem Fotografieren in Krisengebieten?

Jens Grossmann: „Natürlich. Zunächst in ganz praktischer Weise. So habe ich erst mit 44 Jahren eine Familie gegründet. Meine gleichaltrigen Freunde haben dagegen schon erwachsene Kinder. So entwickelte sich meine Lebensplanung mit dem Beruf. Bei meinem bisherigen Leben hätte ich keine Verantwortung für eine Familie übernehmen können. Das war mir absolut bewusst. Ich werde weiterhin reisen und in ähnlicher Weise arbeiten. Aber ich werde Hotspots wie zum Beispiel Syrien, Afghanistan oder Pakistan meiden, so sehr mir diese Länder auch ans Herz gewachsen sind. Das unkalkulierbare Risiko, das einen Journalisten an solchen Orten immer begleitet, ist mit Kind tabu. Für Partnerinnen, Familie und Freunde war die latente Ungewissheit schon immer sehr schwer – trotz einer gewissen Routine, die sich im Laufe der Jahre entwickelt hat. Aber jetzt trage ich eine andere Verantwortung.“

DS: Solche Foto-Kampagnen, wie die beiden mit Andreas Mucke, müssten doch fast schon so etwas wie Wellness-Urlaube für sein oder ist das für Sie ein ganz anderer Stress?

Jens Grossmann: „Wellness-Urlaube waren das natürlich nicht. Die Herausforderung war eine ganz andere und auch da komme ich beim Fotografieren ins Schwitzen.“

Ein Foto von Jens Grossmann auf einer Plakatwand an der Hohlenscheidter Strasse – © Jens Grossmann

DS: Wie schalten Sie eigentlich richtig ab?

Jens Grossmann: „Beim Urlaub an der See. Viel frische Luft und gutes Essen tun mir gut.“

DS: Haben Sie eigentlich schon einmal geschafft, die Kamera eine Woche lang nicht anzurühren?

Jens Grossmann: „Na klar. Das ist ganz einfach. So bleibt die Kamera im Urlaub zuhause.“

DS: Lassen Sie sich eigentlich selbst gern fotografieren?

Jens Grossmann: „Ungern. Ich fühle mich im Hintergrund wohler. Aber wenn, dann lieber von einem Profi, der schnell arbeiten kann.“

Text & Interview: Peter Pionke

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